Geldpolitik

EZB-Geldpolitik wirkt wohl weniger restriktiv

Geopolitische Veränderungen, Klimawandel und digitale Transformation könnten dazu führen, dass die Zinsen im Euroraum länger hoch bleiben. EZB-Direktorin Isabel Schnabel nimmt auch die Kommunikation der Notenbank in die Pflicht.

EZB-Geldpolitik wirkt wohl weniger restriktiv

Zinsen dürften hoch bleiben

EZB-Direktorin Schnabel sieht Anzeichen für strukturelle Veränderungen

Geopolitische Veränderungen, Klimawandel und digitale Transformation könnten dazu führen, dass die Zinsen im Euroraum länger hoch bleiben. Isabel Schnabel, Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB), nimmt auch die Kommunikation der Notenbank in die Pflicht.

mpi Frankfurt

Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) ist womöglich weniger restriktiv als angenommen. Der sogenannte natürliche Zins, bei dem die Wirtschaft weder stimuliert noch gedämpft wird und die Inflation stabil ist, dürfte in den vergangenen Jahren gestiegen sein. Zu diesem Schluss kommt EZB-Direktorin Isabel Schnabel am Mittwoch auf der Konferenz „The ECB and its Watchers“ in Frankfurt.

„Der außergewöhnliche Investitionsbedarf, der sich aus strukturellen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Klimawende, der digitalen Transformation und geopolitischen Veränderungen ergibt, kann den natürlichen Zinssatz nachhaltig erhöhen“, sagte Schnabel. Die Unsicherheit bezüglich der Prognose sei jedoch hoch. Einen ähnlichen Befund hatte bereits unter anderem die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) erstellt. Die EZB hat den Anstieg des natürlichen Zinses in einer Analyse im Median auf 30 Basispunkte beziffert.

Zinsen dürften über dem Vor-Corona-Niveau bleiben

Sollte der natürliche Zins im Euroraum höher liegen als in der Vergangenheit, wäre die aktuelle Geldpolitik weniger restriktiv als angenommen. Möglicherweise würde dadurch das Tempo der Zinssenkungen nach Beginn der Zinswende sinken. Allgemein wird angenommen, dass die Zinssätze im Euroraum auch mittelfristig deutlich über dem Niveau von vor der Pandemie liegen dürften.

Die geopolitischen Spannungen führte EZB-Präsidentin Christine Lagarde auf der Veranstaltung als ein Aufwärtsrisiko für die Inflation an. „Wir prognostizieren für dieses Jahr ein Wachstum der Arbeitsproduktivität von 0,1%, bevor es in den Jahren 2025 und 2026 auf 1,2% ansteigt“, sagte sie. „Die Entwicklung der Inflation könnte jedoch anders verlaufen, wenn sich in einem neuen geopolitischen Umfeld herausstellen würde, dass die Produktivitätsverluste für europäische Unternehmen teilweise struktureller Natur sind.“ Der spanische Notenbankchef Pablo Hernández de Cos wies auf der Konferenz hingegen darauf hin, dass die geldpolitische Transmission derzeit stärker sein könnte als angenommen. Die Kreditkonditionen für Unternehmen seien außerordentlich straff.

Rolle der Finanzmärkte

Schnabel wies in ihrer Rede darauf hin, dass womöglich nicht nur strukturelle Veränderungen den wahrscheinlichen Anstieg des natürlichen Zinssatzes begründen. Auch die Kommunikation der Zentralbank und die Reaktion der Finanzmärkte darauf könnten hier eine Rolle spielen. „Studien deuten darauf hin, dass der jüngste Anstieg der realen langfristigen Zinsen teilweise darauf zurückzuführen sein könnte, dass die Finanzmarktteilnehmer die Straffung der Geldpolitik sowie die jüngste Kommunikation der Zentralbanken als eine Verschiebung der Überzeugungen der Notenbanker über die Höhe des natürlichen Zinssatzes interpretieren“, sagte Schnabel.

Sollte diese Annahme zutreffen, würde dies bedeuten, dass die EZB aus der Betrachtung der Marktpreise wenig über den natürlichen Zinssatz lernen kann. „Anstatt auf die Finanzmärkte zu blicken, die nur ein Spiegel unserer selbst sein könnten, müssen wir gründlich prüfen, ob sich die grundlegenden Kräfte, die die Wirtschaft langfristig antreiben, verändert haben, und diese Ansichten umsichtig kommunizieren“, lautet das Fazit Schnabels.

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