Haushaltsdebatte

„Herr Bundeskanzler, stoppen Sie diesen Irrsinn“

Friedrich Merz und Olaf Scholz greifen sich in der Generaldebatte im Bundestag zum Bundeshaushalt 2023 scharf an – und sorgen für johlenden Applaus.

„Herr Bundeskanzler, stoppen Sie diesen Irrsinn“

Von Angela Wefers, Berlin

Die Generalaussprache zum ersten Bundeshaushalt der Ampel-Regierung geriet zum Schlagabtausch zwischen Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). In der Aussprache zum Kanzleretat für 2023 machte Merz den Auftakt und griff die Regierung von Scholz außergewöhnlich scharf an. „Herr Bundeskanzler, stoppen Sie diesen Irrsinn aus Ihrer Koalition, solang wir die Zeit dafür noch haben“, rief Merz in Richtung Regierungsbank zur Entscheidung, trotz der Energieknappheit die letzten drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke vom Netz zu nehmen – wenn auch etwas verzögert.

Scharfe Rückattacke

Mögen es die schlechten Umfragewerte der SPD sein oder der Druck, unter dem die Regierung angesichts der starken Inflation und der Sorge um die Energiesicherheit steht: Der Kanzler gab sich in Reaktion auf Merz wenig staatsmännisch und schoss scharf zurück. „Längst erledigt“, rief er dem CDU-Parteichef und Unionsfraktionsführer mehrfach auf Kritikpunkte zu, die dieser am Kurs der Ampel geübt hatte. „Wir haben uns auf Probleme vorbereitet, über die Sie damals noch nicht einmal gesprochen haben“, schiebt Scholz mit Blick etwa auf den Bau von Flüssiggasterminals, die Verlängerung der Kohleverstromung oder die Möglichkeit für Unternehmen, die Energieart zu wechseln, ein. „Es ist schon erledigt, bevor Sie es ausgesprochen haben.“ Wer bislang glaubte, Olaf Scholz sei ein stets hanseatisch verhaltener, wenig emphatischer Mensch ohne die Verve eines großen Redners, der konnte bei der Generalaussprache seine Angriffslust erleben. Der SPD-Politiker schaltete in den Wahlkampfmodus um und wies vehement alle Vorwürfe zurück.

Der Union warf Scholz vor, das Land in 16 Jahren Regierungszeit in diese schwierige Lage manövriert zu haben, etwa in die einseitige Abhängigkeit von russischen Energielieferungen. Nur einmal verhaspelte er sich kurz, als er merkte, dass auch er der Vorgängerregierung angehört hatte und sich damit selbst kritisiert hätte. Das sicher sorgfältig vorbereitete Redemanuskript blieb unbenutzt auf dem Pult liegen. Merz genoss es in der ersten Reihe der Abgeordnetenbank sichtlich, dass ihm diese gezielte Provokation gelungen war. Er strebt nach dem Kanzleramt. Die SPD-Fraktion dankte es dem Kanzler mit johlendem Applaus und pries ihn am Ende sogar mit Standing Ovations.

„Ampel in Blockadehaltung“

Merz konstatierte, in Deutschland sei 2022 mehr Gas verstromt worden als in vielen Jahren vorher. Reserven bei Biomasse, Braunkohle und Atomkraft stünden bereit, den Strommarkt zu versorgen, dies scheitere aber an der Ampel-Regierung. „Wir sind in einem Land, wir sind in einer Zeit, in der Gas gespart werden muss, gespeichert werden muss“, rief er aus. Der Ampel warf er vor, mit ihren „Blockadehaltungen gegenüber an­deren Formen der Stromerzeugung“ in Deutschland die Gaskraftwerke hochzufahren.

„Wir haben ein Stromproblem“, hielt Merz fest. Wenn die Preise heruntergehen sollten und die Hilfsmaßnahmen nicht so überborden sollten, dass sie den Haushalt überfordern, müsse man auf der Angebotsseite alles tun, damit genug Energie verfügbar sei. Er rief Scholz dazu auf, die Kernkraftwerke am Netz zu belassen. Die Entscheidung zur Atomkraft, den Ausstieg weiterzuverfolgen und nur zwei der drei verbliebenen Kernkraftwerke für den Notfall betriebsbereit zu halten, beruhige womöglich die Basis der Grünen vor allem in Niedersachsen, mutmaßte der CDU-Politiker. „In Wahrheit halten Sie mit dieser Politik das ganze Land zum Narren und beschädigen möglicherweise unwiderruflich die deutschen Unternehmen, den gesamten Wirtschaftsstandort und vor allem alle mittelständischen Unternehmen in unserem Land.“ Niedersachsen wählt Anfang Oktober einen neuen Landtag. Das dritte Atomkraftwerk – das AKW Emsland in Niedersachsen – geht nach der Entscheidung von Bundeswirtschaftsminister­ Robert Habeck (Grüne) definitiv Ende des Jahres vom Netz.

FDP sucht Orientierung

Habeck hatte in der General­aussprache keine Gelegenheit für eine Replik. Der Bundeswirtschaftsminister spricht in der Haushaltswoche traditionell erst am Donnerstag zu seinem Etat. Zu den Besonderheiten des Tages gehörte es, dass FDP-Fraktionschef­ Christian Dürr CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt Beifall zollte, als der von der Ampel die Rückgabe der in­flationsbedingt deutlich erhöhten Mehrwertsteuereinnahmen forderte. An die FDP richtete Dobrindt dann später die Frage, was sie in der Regierung mache. Ihre Wünsche und Vorhaben torpedierten die übrigen beiden Partner doch.