Löhne

Inflation frisst Lohnplus auf

Die Tariflöhne steigen – und trotzdem haben die Arbeitnehmer weniger Geld zur Verfügung. Schuld ist die Inflation. Nun werden Forderungen nach einem Ausgleich lauter.

Inflation frisst Lohnplus auf

ast Frankfurt

Die Tariflöhne in Deutschland sind im ersten Quartal dieses Jahres überdurchschnittlich gestiegen. Das gab das Statistische Bundesamt (Destatis) am Montag bekannt. Gleichzeitig führt die Inflation aber zu einem deutlichen Rückgang der Reallöhne. „Die Inflation zehrte somit den Nominallohnanstieg im ersten Quartal 2022 mehr als auf“, fassten die Statistiker zusammen. Erste Forderungen nach einem Inflationsausgleich werden laut – Ökonomen hingegen warnen vor einer Lohn-Preis-Spirale.

Die extrem steigenden Verbraucherpreise (siehe oben stehender Text) schmälern die Kaufkraft der Arbeitnehmer zunehmend – und sind damit eine Gefahr für die Erholung der Wirtschaft nach der Coronakrise. Zwar legten die Tariflöhne im Vorjahresvergleich um 4% zu. Allerdings verteuerten sich Waren und Dienstleistungen im selben Zeitraum um 5,8%, sodass die Arbeitnehmer weniger Geld zur Verfügung haben.  Der reale, preisbereinigte Verdienstrückgang beträgt demnach 1,8%.

Die deutlichen Zuwächse bei den Tarifverdiensten sind den Wiesbadener Statistikern zufolge zudem auf Sonderzahlungen im Rahmen der Coronavirus-Pandemie zurückzuführen. Deutlich überdurchschnittlich fiel das Plus in den Bereichen „Erziehung und Unterricht“ (+5,0%), sowie „Öffentliche Verwaltung, Verteidigung; Sozialversicherung“ (+4,6%) aus. In diesen Bereichen machten sich vor allem die Corona-Prämien bemerkbar, die sowohl die Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst der Länder als auch die meisten Landes- und Kommunalbeamten erhielten.

Auch die überdurchschnittliche Tarifentwicklung im verarbeitenden Gewerbe von 4,8% lässt sich vorrangig auf Sonderzahlungen zurückführen, vor allem in der Metall- und Elektroindustrie. Im Baugewerbe (+4,7%) wurde zu Jahresbeginn ebenfalls eine Corona-Prämie ge­zahlt. Zudem wuchsen die Gehälter allesamt deutlich unterhalb der Inflationsrate im selben Zeitraum.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) forderte bereits am Wochenende lautstark einen Inflationsausgleich. Der Funke-Mediengruppe sagte er, er werde sich zwar nicht in die Tarifverhandlungen einmischen. „Aber ich sage offen, dass auch anständige Löhne dazu beitragen müssen, die Preisentwicklungen hier im Land abzufedern“, sagte der Politiker. Die stärkste Inflation seit der Ölkrise in den 1970er Jahren sei schließlich nicht das Ergebnis überzogener Lohnforderungen, sondern von Störungen in den Lieferketten und verteuerter Energie.

Ökonomen hatten in den vergangenen Wochen hingegen verstärkt vor einer sogenannten Lohn-Preis-Spirale gewarnt. Diese tritt auf, wenn Arbeitnehmer aufgrund der höheren Lebenshaltungskosten durch die gestiegene Inflation mehr Gehalt fordern und die Unternehmen die höheren Arbeitskosten dann wiederum auf ihre Preise aufschlagen. Anlass zu dieser Sorge hatte etwa die Forderung der Eisen- und Stahlindustrie nach 8,2% mehr Lohn geliefert. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung geht davon aus, dass die Reallohnverluste für die meisten Arbeitnehmer noch bis Jahresende anhalten dürften. „Im kommenden Jahr ist eine Trendwende möglich“, sagte der wissenschaftliche Direktor des IMK, Sebastian Dullien. „Allerdings dürften auch dann nicht sofort alle Reallohnverluste aufgeholt werden, die sich aus der hohen Inflation 2022 ergeben.“

Von der Politik erwartet der Ökonom gezielte Entlastungspakete, die die Kaufkraft stabilisieren. Rentner und Studierende könnten von den bisher durch die Ampel-Koalition beschlossenen Entlastungen kaum profitieren. „Außerdem deckt die Entlastung noch nicht die gestiegenen Nahrungsmittelpreise ab“, sagte Dullien. „Da die Reallöhne 2023 noch unter dem Niveau von 2021 liegen dürften, sind außerdem weitere staatliche Einmalzahlungen für das kommende Jahr notwendig.“

Rekordzahl offener Stellen

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) meldete derweil am Montag so viele offene Stellen wie nie. Der Stellenindex BA-X der Behörde kletterte um einen Punkt auf 139 Zähler. „Dies macht deutlich, dass der gemeldete Arbeitskräftebedarf trotz der aktuellen wirtschaftlichen und politischen Unwägbarkeiten weiterhin sehr hoch ist“, erklärte die BA.

Der Stellenzuwachs zieht sich demnach durch fast alle Branchen – angeregt von den gefallenen Corona-Beschränkungen und der üblichen Frühjahrsbelebung. Nur in der Landwirtschaft, im öffentlichen Dienst, der Versorgungswirtschaft und im Bildungswesen gab es kleinere Rückgänge. Die Behörde veröffentlicht am Dienstag ihren Monatsbericht für Mai. Analysten erwarten, dass die Zahl der Arbeitslosen weiter gesunken ist.