Konjunktur

Italiens fragiles Wirtschafts­wunder

Der Wachstumsmotor in Italien läuft überraschend stark. Das liegt in erster Linie an den großzügigen Unterstützungsmaßnahmen. Entscheidend ist nun, ob es zu einem selbsttragenden Aufschwung kommt.

Italiens fragiles Wirtschafts­wunder

Von Gerhard Bläske, Mailand

Wer in den Pfingstferien in Italien war, dürfte überrascht gewesen sein. Die Touristen, zumindest aus Deutschland und der Schweiz, sind zurück. Restaurants und Geschäfte sind voll. Auch die Industrie produziert auf hohem Niveau, der Export brummt. Dazu kommen gewaltige nationale Unterstützungsmaßnahmen und vermutlich bald die erste Tranche aus dem europäischen Wiederaufbauprogramm. Die Regierung bereitet sich darauf vor, ihre Wachstumsprognose für 2021 auf womöglich über 5% anzuheben. Carlo Bonomi, Chef des Industrieverbandes Confindustria, spricht von einem „Wirtschaftswunder“.

Die Zahl der Corona-Ansteckungen sinkt massiv, weil Italien bei den Impfungen gut vorankommt. Das ist die Voraussetzung für die Wirtschaftsbelebung. Nun will Premierminister Mario Draghi die zweite Stufe zünden. Seine Pläne für vereinfachte Strukturen und Ausschreibungen hat er bereits vorgestellt. Nun sollen in rascher Folge eine Justiz-, eine Verwaltungs- und eine Steuerreform folgen sowie Maßnahmen zur Liberalisierung der Märkte.

Entscheidend wird nun sein, ob all das bald auch zu einem selbsttragenden Aufschwung führt, ob und vor allem wann die vielen Hilfsmaßnahmen für Haushalte, Selbständige und Unternehmen zurückgefahren werden. In einigen Branchen werden bereits Arbeitskräfte gesucht. Außerdem schwelt eine Debatte, das weltweit einzigartige Kündigungsverbot noch einmal zu verlängern. Draghi will den Kündigungsschutz nur noch für Branchen verlängern, die noch tief in der Krise stecken, etwa für die Textilindustrie. Die EU hält das Kündigungsverbot ohnehin für unnütz und teuer, weil es nur denen nutze, die einen festen Job haben, nicht aber jüngeren Leuten und Frauen, die oft nur zeitlich begrenzte Arbeitsverträge haben. Doch die Gewerkschaften drohen mit Streiks.

Banken in Sorge

Es hängt jetzt vieles vom Timing ab – und davon, ob die Mittel aus dem europäischen Wiederaufbauprogramm, dessen erste Tranche schon im Juli ausgezahlt werden könnte, in Projekte investiert werden, die dem Land auf Dauer auf die Sprünge helfen: durch öffentliche Investitionen in das Bildungswesen, in das schnelle Internet, in Kinderbetreuungsmaßnahmen, in Straßen- und Bahnverbindungen, in den ökologischen Umbau der Energieversorgung und in die Digitalisierung. Die Missstände von Postämtern bis zur öffentlichen Verwaltung sind hinlänglich bekannt.

Erfahrungen aus der Vergangenheit stimmen Beobachter nicht zuversichtlich, und auch die Vorhaben Draghis gelten nicht durch die Bank als überzeugend. Er will Milliarden in Unternehmen wie Alitalia und das Ex-Ilva-Stahlwerk in Taranto stecken, die seit jeher hochdefizitär sind. Die Staatsbank Cassa Depositi e Prestiti (CDP) steigt gerade beim Autobahnbetreiber Autostrade per l’Italia ein und hat ein Budget von 44 Mrd. Euro, um sich an privaten Unternehmen zu beteiligen. Außerdem dürfte Rom mehrere Milliarden zahlen, um Partner für Banken wie Monte dei Paschi und Carige zu finden. Es droht eine Pleitewelle, sobald die derzeitigen Staatshilfen sowie Moratorien und Staatsgarantien für Bankkredite auslaufen: Das wird auch unabsehbare Folgen für die Banken haben, weil damit auch hohe Kreditausfälle drohen.

Steuererhöhungen etwa bei der Erbschaftsteuer oder die Einführung einer Vermögensteuer lehnt Draghi ab. Für ein dauerhaftes Anspringen des Konjunkturmotors müssen nicht nur die Reformen zünden und die öffentlichen Investitionen wachsen. Es braucht vor allem Hilfen aus Europa: die Staatsanleihenkaufprogramme der Europäischen Zentralbank (EZB), die trotz Italiens hoher Verschuldung sehr günstige Finanzierungsbedingungen sicherstellen, die rund 200 Mrd. Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds sowie die dauerhafte Aussetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Die verbreitete Sorge ist, dass all das nicht ausreichen und Italien dauerhafte Transferleistungen aus Europa brauchen wird.