"Maßgeschneiderter Brexit-Deal ist möglich"

Britische Denkfabrik erhöht Wachstumsprognose

"Maßgeschneiderter Brexit-Deal ist möglich"

hip London – Das Nationale Institut für Wirtschafts- und Sozialforschung (NIESR) hat seine Wachstumsprognose für Großbritannien unter Verweis auf die weltwirtschaftliche Erholung erhöht. Statt mit einer Expansion von 1,7 % rechnen die Volkswirte der renommierten britischen Denkfabrik für das laufende Jahr nun mit 1,9 %. Der Preisauftrieb habe dagegen seinen Gipfel überschritten und werde ab diesem Quartal rückläufig sein.In Sachen EU-Austritt zeigten sich die Volkswirte verhalten optimistisch. Grundlage ihres Hauptszenarios ist ein “Soft Brexit”, der nahezu vollständigen Zugang zum gemeinsamen Markt der Staatengemeinschaft bietet. “Ein maßgeschneiderter Brexit-Deal ist aus unserer Sicht möglich”, sagte Amit Kara, Head of UK Macroeconomic Forecasting, bei der Vorstellung der Schätzungen in der Bibliothek des Instituts in Westminster. “Das würde Gegenleistungen erforderlich machen. Das sind politische Entscheidungen.” Ungewissheit nimmt abDie im Dezember erzielte Einigung zwischen London und Brüssel, Phase 2 der Austrittsverhandlungen einzuleiten, habe die Ungewissheit ein wenig gemildert. “Es gibt keine Zauberformel”, sagte Kara. “So ein Deal ist letztlich eine politische Übereinkunft.” Die Vereinbarungen zu Irland legten nahe, dass beim Marktzugang ein relativ hohes Niveau angestrebt wird. Zudem habe das Wachstum zuletzt rund um den Erdball positiv überrascht. Wäre die Weltwirtschaft nur in dem Maße gewachsen wie unmittelbar nach dem EU-Referendum 2016 erwartet, könnte die britische Volkswirtschaft im vergangenen Jahr nur ein Wachstum von 1,2 % vorweisen. Dank des höchsten Beitrags des Außenhandels seit 2011 expandierte sie jedoch um 1,8 %. Vom Arbeitsmarkt drohe kein Inflationsdruck. “Die Löhne werden ein wenig nach oben gehen, aber wir erwarten keinen großen Anstieg”, sagte Kara. Der Wirtschaftsprofessor David Bell von der University of Stirling wies darauf hin, dass die Zahl der Stunden, die Arbeitnehmer gerne zusätzlich arbeiten würden, seit der Rezession die Zahl der Stunden, die sie reduzieren wollen, übertrifft.NIESR unterstellt auch für 2019 ein Wachstum von 1,9 %. Zu den Voraussetzungen gehört, dass die Bank of England den Leitzins alle sechs Monate um 25 Basispunkte erhöht – das nächste Mal im Mai. Die Geldpolitiker der Notenbank hatten in ihren jüngsten Äußerungen erkennen lassen, dass sie vor weiteren Taten gerne noch etwas mehr Daten sehen würden. Robert Wood, der bei BoA Merrill Lynch für Großbritannien zuständige Volkswirt, rechnet vor diesem Hintergrund mit einer 9:0-Entscheidung für den Status quo, wenn das geldpolitische Komitee der Zentralbank am Donnerstag seine Zinsentscheidung bekannt gibt. Auch die Barclays-Volkswirte Fabrice Montagne und Sreekala Kochugovindan gehen nicht davon aus, dass die Bank of England abwarten und keinen anderen Ton in der Kommunikation anschlagen wird. Was das Timing der Zinsschritte angeht, unterscheiden sich die Vorhersagen der NIESR-Volkswirte und der Ökonomen der privaten Banken allerdings erheblich. Wood rechnet mit lediglich drei Zinsschritten in drei Jahren. Barclays hat die nächste Erhöhung erst im November auf der Rechnung.NIESR-Direktor Jagjit Chadha verwies gestern auf die Auswirkungen der Unsicherheit über die Form der künftigen Handelsbeziehungen. Zum einen verringere sie die Erwartungen an den Handel mit der EU. Zum anderen führe sie dazu, dass Investitionen aufgeschoben oder im Ausland getätigt würden. Chadha sprach von einem “asymmetrischen Schock” für die britische Volkswirtschaft, der die wirtschaftliche Aktivität unter das Niveau drücke, das sie sonst erreicht hätte. Es gebe bislang leider nur wenig Hinweise auf mögliche positive Auswirkungen des Brexit. Ironischerweise habe der sehr aktive Welthandel die Folgen des Austrittsvotums abgeschwächt, und das in einem Moment, in dem sich die Briten in gewisser Weise für weniger Handel entschieden hätten.Das Institut hat auch ein Szenario für den Fall entworfen, dass die Gespräche mit Brüssel scheitern und nach WTO-Regeln Handel getrieben werden muss. Dann werde die Wirtschaft 2029 um 7 % kleiner sein als unter den Annahmen des Hauptszenarios, heißt es. Das entspreche etwa 2 000 Pfund weniger pro Kopf.