Im InterviewJoyce Chang, JP Morgan

„Reshoring ist mit hohen ökonomischen Kosten verbunden“

Die Fragmentierung im Welthandel könnte laut einer Studie von J.P. Morgan etwa 5% der globalen Wirtschaftsleistung kosten. Die Chefanalystin der US-Bank, Joyce Chang, erklärt im Interview, weshalb sich die Fragmentierung zudem negativ auf die Bedeutung des Dollar auswirkt.

„Reshoring ist mit hohen ökonomischen Kosten verbunden“

Im Interview: Joyce Chang

„Friendshoring wird teuer“

Die Chefanalystin der US-Bank J.P. Morgan warnt vor den Folgen der geoökonomischen Fragmentierung

Von Martin Pirkl und Christoph Ruhkamp, Frankfurt

Der Technologiekonflikt des Westens mit China und die Erosion bestehender Beziehungen im Welthandel könnten etwa 5% der globalen Wirtschaftsleistung kosten. Die Chefanalystin der US-Bank J.P. Morgan, Joyce Chang, erklärt im Interview, weshalb sich die Fragmentierung zudem negativ auf die Bedeutung des Dollar auswirkt.

Frau Chang, die politischen Spannungen zwischen „dem Westen“ auf der einen Seite und China auf der anderen Seite haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Bremst die geoökonomische Fragmentierung den Welthandel?

Es wird viel von einer Deglobalisierung gesprochen – manchmal etwas vorschnell. Denn das globale Handelsvolumen schrumpft nicht, ebenso wenig wie Chinas Anteil am Welthandel. Im Gegenteil: Es wächst, wenn auch langsamer als in der Vergangenheit. Auch die Handelsziele ändern sich, es entstehen neue Korridore. Nationale Sicherheitsprioritäten führen dazu, dass sich Handelsströme verschieben. Die USA und China bewegen sich im Handel voneinander weg. Die USA importieren beispielsweise inzwischen genauso viel aus Mexiko wie aus China. Seinerseits exportiert China mehr als bisher in die Emerging Markets. Es haben sich neue Handelskorridore gebildet.

Wie nennen Sie diesen Prozess?

Es handelt sich eher um eine Geofragmentierung, die sich aus westlicher Sicht in einer bewussten Risikominimierung durch eine Verringerung der Abhängigkeiten von China äußert. Die neuen Handelsrestriktionen beziehen sich vor allem auf Rohstoffe und fortgeschrittene Technologien, insbesondere im Halbleiterbereich. Entsprechende Produkte unterliegen in den regionalen Wirtschaftsräumen, üblicherweise gerechtfertigt mit nationalen Sicherheitsinteressen, zunehmend Produktions- und Exportbeschränkungen.

Die Interviewte: Joyce Chang ist Global Head of Research und Managing Director bei JP Morgan. Damit ist sie die ranghöchste Wirtschaftswissenschaftlerin der gemessen an der Bilanzsumme größten Bank der USA. Zu Changs Spezialgebieten zählen Schwellenländer sowie geopolitische Entwicklungen. Vor ihrem Wechsel zu JP Morgan 1999 arbeite sie für Merrill Lynch und Salomon Brothers. In der Stiftung German Marshall Fund engagiert sie sich für die transatlantischen Beziehungen.

Geht es da wirklich um nationale Sicherheit?

Der Versuch, Abhängigkeiten von Staaten mit einer anderen politischen Ausrichtung zu reduzieren, hat das Ziel, die nationale Sicherheit zu stärken und Lieferketten abzusichern. Gleichzeitig ist es aber auch Protektionismus.

Gibt es auch Gewinner dieser Entwicklung?

Ja, Mexiko und Indien sind beispielsweise Gewinner, weil sie sich nicht auf einer Seite positionieren und Verbindungen zu allen unterhalten. Auch in Konnektor-Ökonomien wie Polen und Marokko verlagern sich Produktionsprozesse.

Welche Auswirkungen hat die Fragmentierung auf die globale Wirtschaftsleistung?

Europäische Unternehmen verlegen derzeit einen Teil ihrer Produktion nach Asien – aus Kosten- und geopolitischen Gründen. Die USA ziehen sich in den Technologiesektoren aus China zurück. Alle Länder wollen diversifizieren. Deshalb gibt es Friendshoring- und Reshoring-Entwicklungen. Dies ist jedoch mit hohen ökonomischen Kosten verbunden. Besonders der Technologiekonflikt kostet durch die Restriktionen rund 5% des globalen BIP. Allein Friendshoring hat das Potenzial, die Wirtschaftsleistung um rund 1,5% zu verringern.

Sind die Restriktionen, die es im Handel gibt, sinnvoll?

Jedenfalls sind die Restriktionen nicht immer umsetzbar. Ein Beispiel dafür sind Batteriezellen. Wer in den USA oder Europa staatlich gefördert Elektroautos herstellen will, wird nicht ohne Batteriezellen aus China auskommen, weil es im Westen noch gar nicht genug davon gibt. Deshalb hat die EU auch ihre geplanten Zölle auf Elektroautos aus Großbritannien um drei Jahre aufgeschoben. So lange dauert es mindestens, bis in Europa genug Batteriezellen hergestellt werden, um den eigenen Bedarf zu decken. Noch hat China ein Quasi-Monopol auf Batteriezellen, da es in den letzten 30 Jahren ein Monopol auf die Raffinierung Seltener Erden aufgebaut hat und die Lieferkette für Elektrofahrzeuge dominiert. Bis sich das ändert, wird es fünf bis sieben Jahre dauern.

Gehört zur Fragmentierung, dass die Bedeutung des Dollar abnimmt?

Es gibt Stimmen, die die De-Dollarisierung als Mythos erachten. Aber tatsächlich halten die Emerging Markets weniger Dollar und setzen stärker auf Goldreserven. Rund 20% des Rohstoffhandels werden inzwischen nicht mehr in Dollar abgewickelt. Vor nicht allzu langer Zeit wurden sämtliche dieser Geschäfte in Dollar abgewickelt. Vielfältige Sanktionen – unter anderem gegen Russland – führen inzwischen dazu, dass ein immer größerer Teil des Rohstoffhandels in Yuan stattfindet. Als Reservewährung, in der gespart wird, ist der Dollar zwar unangefochten, China ist aber für 120 Länder der Welt zum wichtigsten Handelspartner geworden.

Sind die Emerging Markets ein Gewinner des Konflikts?

Ich würde eher sagen, dass die Emerging Marktes stärkere Beziehungen, aber zugleich auch Abhängigkeiten zu China aufgebaut haben.

Das Wachstum der chinesischen Wirtschaft fällt 2023 im historischen Vergleich gering aus. Welche Schwächen hat China derzeit?

Der Immobilienmarkt macht ein Viertel des BIP aus – und jetzt steht er massiv unter Druck. Zudem ist der inländische Konsum schwach. Um den Immobiliensektor und den Konsum zu stärken, hat China eine expansive Fiskalpolitik betrieben, in deren Folge die Gesamtverschuldung Chinas auf 282% des BIP gestiegen ist. Darüber hinaus wird der Wandel des Landes von einem Schwellenland zu einem Industrieland durch die großen Kapitalabflüsse in den letzten zwei Jahren erschwert. Auch das ist herausfordernd.

Kann das Immobilienproblem eine Bankenkrise auslösen?

Nein, das glaube ich nicht. Ein systemisches Risiko für den Finanzsektor, ausgehend vom Gewerbeimmobiliensektor sehe ich nicht – weder in China noch global. Für die chinesische Konjunktur ist die Immobilienkrise allerdings ein großes Problem, insbesondere im Zusammenhang mit der Erschwinglichkeit von Wohnraum.

Und was sind derzeit die größten konjunkturellen Risiken für Deutschland?

Billiges Gas aus Russland und Exporte nach China haben die deutsche Wirtschaft bis vor kurzem stark geprägt. Ersteres ist weggefallen und die Handelsbeziehungen zu China sind angespannt. Hinzu kommt, dass ganz Europa ein Wachstumsproblem hat, weil der Konsum zurückgegangen ist. Für Deutschland und die Eurozone wird entscheidend sein, dass der Konsum wieder anzieht, ansonsten bleibt das Wirtschaftswachstum schwach.

Das Interview führten Martin Pirkl und Christoph Ruhkamp.

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