Verschuldung

Target2 – das falsche Ziel

Die Target2-Salden im Euroraum werden regelmäßig leidenschaftlich diskutiert, insbesondere in Deutschland. Sie stellen aber nicht die von vielen befürchtete „Schuldenunion durch die Hintertür“ dar.

Target2 – das falsche Ziel

Die Target2-Salden der nationalen Zentralbanken bei der Europäischen Zentralbank (EZB) werden regelmäßig leidenschaftlich diskutiert, insbesondere in Deutschland. Eine populäre Sichtweise besagt, dass die übermäßig generöse EZB diese Salden maßgeblich mitverursacht und somit einen demokratisch nicht legitimierten Nettofinanzrisikotransfer von südeuropäischen Ländern in den Norden der Währungsunion ermöglicht: die berühmte „Schuldenunion durch die Hintertür“.

Die erneute Ausweitung dieser Salden nach dem Start des EZB-Anleihekaufprogramms 2015 und neue Höchststände im Zuge der EZB-Krisenmaßnahmen im Kampf gegen die wirtschaftlichen Pandemiefolgen haben dieser Debatte erneuten Schwung verliehen. Stellt die Ausweitung dieser Salden also wirklich einen Risikotransfer zwischen Ländern des Euroraums dar? Es gibt Grund zur Skepsis.

Große Kapitalflüsse

Ein Eurozonen-Mitglied kann Target2-Forderungen aufgrund von Leistungsbilanzüberschüssen oder Kapitalzuflüssen akkumulieren. Während der europäischen Staatsschuldenkrise wurden große Teile privater Forderungen in öffentliche Target2-Forderungen umgewandelt, ohne jedoch die Nettoauslandssalden eines Landes insgesamt zu tangieren. Bei den EZB-Anleihekaufprogrammen sind primär technische Faktoren am Werk. Gebietsfremde Gegenparteien der Zentralbanken greifen entweder direkt über eine Zweigstelle im Euroraum oder indirekt über eine Korrespondenzbank auf das Target2-System zu. Das führt zu grenzüberschreitenden Kapitalflüssen in signifikantem Umfang.

Der entscheidende Punkt: Target2 beeinflusst die Nettoauslandsforderungen eines Landes nicht, und Nettoauslandsforderungen können nur steigen, wenn ein Leistungsbilanzüberschuss oder ein Bewertungseffekt aufgrund positiver Preisbewegungen von Vermögenswerten vorliegt. Ist also ein Nettofinanzrisikotransfer zwischen Ländern die Sorge, sollte die Leistungsbilanz im Rampenlicht stehen. So wird etwa eine durch private Einlagenflucht bedingte Target2-Erhöhung einer nationalen Zentralbank durch eine höhere Verbindlichkeit einer inländischen Geschäftsbank gegenüber einem nichtinländischen Anleger ausgeglichen. Ein Mitgliedstaat könnte im Extremfall beschließen, nichtinländische private Verbindlichkeiten weniger vorteilhaft zu behandeln und zwischen verschiedenen Arten von Euro-Verbindlichkeiten zu un­terscheiden.

Target2 stellt also lediglich eine Verschiebung von Risiken innerhalb eines Landes, von privatem hin zu öffentlichem Risiko und vice versa dar, ohne das Gesamtrisiko gegenüber dem Ausland zu verändern. Eventuelle Verluste des öffentlichen Sektors aus Target2-Forderungen, welche lediglich bei einem Auseinanderbrechen der Eurozone überhaupt auftreten könnten, würden im Übrigen nach dem Eurozonen-Kapitalschlüssel aufgeteilt, was bei privaten Verbindlichkeiten nicht der Fall wäre. Aus einer Risikoperspektive ist es daher unerheblich, welche nationale Zentralbank die Target2-Forderungen auf ihrer Bilanz führt.

Salden nicht deckeln

Maßnahmen, die die Target2-Salden explizit deckeln, würden neben dem Eurosystem-Hauptziel der Preisstabilität eine Einführung weiterer politischer Ziele bedeuten. Dies würde etwa beinhalten, bestimmte grenzüberschreitende Kapitalströme und den Zugang von Banken zu Refinanzierungsoperationen des Eurosystems künstlich zu beschränken, was im Widerspruch zu einer gemeinsamen Geldpolitik für den Euroraum stehen würde. Jede institutionelle Änderung, die den Zahlungsfluss über Target2 einschränken würde, würde sich prozyklisch auswirken und die Existenz einer gemeinsamen Geldpolitik untergraben, da sie auch suggerieren würde, dass der Wert eines Euro vom Herkunftsland abhängt. Das wiederum würde das gesamte Konzept einer Währungsunion in Frage stellen. Eine Einschränkung der Target2-Salden würde somit zu spekulativen Angriffen auf die Eurozone einladen.

Mehr Integration nötig

Eine Währungsunion, die per Definition ein gemeinsames Zahlungsmittel teilt, impliziert, dass jeder Mitgliedstaat notwendigerweise eine nationale Zahlungsbilanz in Form der Nettoposition seiner nationalen Zentralbank innerhalb von Target2 mit der EZB unterhält, welche eine geordnete Korrektur interner realer Wechselkursfehlstellungen über relative Preisänderungen erlaubt. Dieser Mechanismus, der als Ersatz für das nicht mehr vorhandene Instrument der nominalen Wechselkursanpassung dient, hat der Peripherie in der Euro-Schuldenkrise Zeit verschafft, um die externen Bilanzen schrittweise und nachhaltig zu adjustieren.

Der Weg zu einer dauerhaften Reduzierung der Target2-Salden besteht folglich in Fortschritten bei der europäischen Integration und im Erreichen des EZB-Inflationsziels. Die Koordination von Geld und Fiskalpolitik ist hierbei entscheidend. Die aktuelle Strategieüberprüfung der EZB sollte auch dazu beitragen, die Rolle der Geldpolitik am Rande der effektiven Zinsuntergrenze zu gestalten und kommunizieren, was insbesondere auch das Zusammenspiel mit den Fiskalagenten beinhaltet. Das „Next Generation EU“ Covid-19-Aufbaupaket könnte ebenfalls ein wichtiger Schritt in diese Richtung sein.

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