Handelsgipfel

WTO-Verhandlungen alarmieren Wirtschaft

Beim Gipfel der Welthandelsorganisation droht ein jahrzehntealtes Moratorium für Zölle im Datenaustausch und Dienstleistungshandel zu fallen. Was die entscheidenden Gespräche in Genf so brisant macht.

WTO-Verhandlungen alarmieren Wirtschaft

rec Genf

Furcht vor Zöllen auf die Übertragung von Daten via Internet sorgt für Nervosität in der deutschen Wirtschaft. Die Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) können solche Zölle im E-Commerce abwenden, indem sie beim laufenden WTO-Gipfel abermals ein entsprechendes Moratorium verlängern. Doch das ist diesmal alles andere als sicher: Unter Beteiligten mit Kenntnis von den Verhandlungen herrscht der Eindruck vor, „dass es scheitert“, erfuhr die Börsen-Zeitung am Rande der entscheidenden Gespräche in Genf.

Am Hauptsitz der WTO verhandeln Vertreter der 164 Mitgliedstaaten seit Sonntag auf höchster Ebene drängende Fragen der globalen Handelspolitik. Knapp ein Dutzend Themen stehen auf der Agenda der 12. Ministerkonferenz – von Ernährungssicherheit über Impfstoff-Patente und Klimaschutz bis zur Streitschlichtung. Für Einigungen ist bis Mittwochabend Zeit. Selbst bei einer Verlängerung ist nicht ausgeschlossen, dass die Minister ohne greifbare Ergebnisse auseinandergehen.

Die Verhandlungen sind in allen wesentlichen Bereichen nach wie vor in der Schwebe. Scheitert der WTO-Gipfel, könnte sich dies zu einer schweren Belastung nicht zuletzt für Unternehmen und Verbraucher auswachsen. Das gilt vor allem für die Digitalwirtschaft. Indem die WTO-Mitglieder seit jeher auf Zölle verzichten, ermöglichen sie die ungehinderte und günstige Übertragung von Daten über Grenzen von Ländern und Kontinenten hinweg. Andernfalls sehen hochrangige Organisationen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) und der Industrieländerclub OECD hohe Kosten auf die Weltwirtschaft zukommen.

Entsprechend besorgt sind Wirtschaftsverbände. Die Schäden seien schwer zu beziffern, die Folgen unabsehbar, falls das Moratorium scheitert, heißt es. „Keiner hat sich damit auseinandergesetzt, was dann passiert.“ In Reihen der EU-Kommission ist von einer befürchteten „Operation am offenen Herzen“ die Rede, sollte das Moratorium fallen, berichtet ein Teilnehmer der Gespräche in Genf.

Auch in der europäischen und der US-Wirtschaft steht das Thema weit oben auf der Prioritätenliste. In einem gemeinsamen Positionspapier drängen der europäische Wirtschaftsdachverband Business Europe und die US-Handelskammer: Das Moratorium zu verlängern sei „eine absolute Notwendigkeit, um erhebliche Störungen des Handels und der Investitionen zu vermeiden“.

Bislang haben sich die WTO-Mitglieder noch bei jeder Ministerkonferenz auf eine Verlängerung geeinigt. Dem Vernehmen nach könnte Indien dies nun blockieren. Die Regierung in Neu-Delhi und jede andere hätte dann das Recht, Zölle im Online-Handel mit Daten und Dienstleistungen einzuführen, ohne gegen gemeinsame Handelsregeln zu verstoßen. Das würde massive Unsicherheit in vielen Unternehmen schüren.

Bei der WTO kommt es auf jedes Mitglied an, weil Beschlüsse Konsens erfordern. Schert Indien aus, ist das Moratorium hinfällig. Unklar ist, ob die indische Regierung das Moratorium wirklich auslaufen lassen will oder es als Faustpfand einsetzt, um an anderer Stelle Zugeständnisse zu erreichen. Dass Indien seine Zustimmung zum Moratorium lediglich als Verhandlungsmasse einsetzt, sei nun die „Resthoffnung“, heißt es in Kreisen der deutschen Wirtschaft.

Indien steht beispielsweise unter Druck, Subventionen in der Landwirtschaft zu kürzen. Dieser Konflikt behindert WTO-Beschlüsse zur globalen Nahrungsmittelsicherheit. Im Streit über Impfstoffe drängt Indien federführend auf einen Patentverzicht, was EU-Kommission und Bundesregierung ablehnen.

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