Verfassungsreform

Chile: Beistand erwünscht

Nachdem die Chilenen den Entwurf für die Verfassungsreform abgelehnt haben, stehen für die Regierung stürmische Zeiten an. Deutschland sollte seinen chilenischen Freunden beistehen – das Land ist wichtig nicht zuletzt für die heimische Industrie.

Chile: Beistand erwünscht

Chile ist eine Republik am anderen Ende der Welt, ein mittelgroßer Markt mit weniger als 20 Millionen Einwohnern. Und doch ist es ein Land, auf das Deutschland unbedingt achten muss. Denn Chile besitzt nicht nur viele jener Rohstoffe, die heimische Industrien für einen klimagerechten Umbau benötigen werden – wie etwa die weltgrößten Vorräte an Kupfer sowie erhebliche Vorkommen an Lithium und anderen Metallen. Die Wüsten im Norden und die stürmischen Küsten Patagoniens bieten zudem ideale Voraussetzungen für die Produktion von grünem Wasserstoff, dem wohl wichtigsten klimaneutralen Treibstoff der Zukunft. Und Chile besitzt, im Gegensatz zu vielen anderen Staaten in abgelegenen Weltgegenden, einen robusten institutionellen Rahmen, der essenziell ist für langfristige Kooperation, vor allem in so entscheidenden Branchen wie Energie und Rohstoffe.

Daran wird auch das Scheitern des Verfassungsreferendums am Sonntag nichts ändern. Ganz im Gegenteil. Denn die Chilenen, die 2019 noch leidenschaftlich für ein stärkeres Engagement des Staates in Grundfragen wie Krankenversicherung, Bildung und Rente auf die Straßen gingen und die im Oktober 2020 mit 78% Zustimmung die Ausarbeitung eines neuen Grundgesetzes verlangt hatten, haben nun einen Entwurf abgelehnt, der das lange wirtschaftsfreundliche Land ruckartig in einen „plurinationalen Staat“ verwandelt hätte. Damit haben sie dem Reformeifer der im März angetretenen Regierungskoalition aus Linksalternativen und Kommunisten einen deutlichen Hinweis gesendet: Ja, das Land will eine neue Verfassung. Aber diese soll für alle Bürger gelten und nicht nur für jene, die das bisherige Grundgesetz aus der Diktaturzeit nicht einschließen wollte.

Der chilenische Präsident Gabriel Boric hat noch am Wahlabend signalisiert, die Botschaft des Referendums verstanden zu haben. Und er hat umgehend einen Kabinettsumbau angekündigt. Eine Lösung der Verfassungsfrage wird er nur im Dialog mit den parlamentarischen Blöcken links und rechts der Mitte finden. Diese hatten einerseits die Ablehnung des extremen Entwurfs gefordert, aber gleichzeitig­ ihren Willen bekundet, an einer neuen, gemäßigten Grundordnung mitzuwirken.

Die Chilenen haben am Sonntag von ihren Politikern verlangt, verantwortungsvoll mit den enormen Chancen umzugehen, die ihr Land in den nächsten Jahrzehnten bekommen kann. Aber dafür muss es gerechte Grundregeln erlassen. Deutschland sollte seinen chilenischen Freunden auf diesem Weg eng zur Seite stehen.

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