LeitartikelEnergiebranche

Der Staat muss helfen

Staatliche Garantien für Siemens Energy sind ordnungspolitisch zweifelhaft. In diesem Fall muss die Bundesregierung aber dennoch Hilfe leisten.

Der Staat muss helfen

Siemens Energy

Der Staat muss helfen

Von Michael Flämig

Siemens Energy ruft nach der Bundesregierung, und am liebsten würde man eine klare ordnungspolitische Antwort geben. Staatshilfe? Kommt gar nicht in die Tüte. Sonst wird den Aktionären Steuergeld in den Rachen geworfen. Außerdem kann man Windräder auch auf anderen Kontinenten einkaufen. Und wenn der Staat eindeutig Nein sagt, überdenken die Banken vielleicht doch noch ihre Weigerung, weitergehende Risiken zu übernehmen. Das Fazit: Von Finanzkrise bis zur Pandemie-Folgenbekämpfung hat sich eine Vollkasko-Mentalität etabliert, die darf nun nicht in einem weiteren Fall genährt werden. Punkt. Aus.

Wirklich? Alles irgendwie richtig und intellektuell nachvollziehbar. Es vermittelt das gute Gefühl, die Fahne der Rechtschaffenheit hochzuhalten. Aber leider: Die reine Lehre passt in diesem Fall nicht.

Too big to fail

Erstens: Siemens Energy ist ein Riese in der Branche. Mit „Too big to fail“ hat man zwar wahrlich schlechte Erfahrungen gemacht. Aber die Entscheidung über Produktion und Arbeitsplätze in einem großen Fertigungsunternehmen in Europa zu halten, ist ein Wert an sich. Siemens Energy hat weltweit gut 90.000 Beschäftigte, davon mehr als 5.000 in Forschung und Entwicklung.

Zweitens sind halbstaatliche Akteure wichtige Energy-Kunden. Sie kaufen Windparks oder Gaskraftwerke. Insofern ist es im Interesse der Regierung, einen wichtigen Anbieter auf dem Markt zu stützen, damit der Wettbewerbsdruck hoch bleibt.

Langfristig wird die Branche boomen

Dies führt unmittelbar zum dritten Punkt: Die Branche für erneuerbare Energien mag aktuell in einer katastrophalen Lage sein. Windprojektentwickler wie Orsted stornieren Mega-Vorhaben, und selbst chinesische Anbieter berichten über fast vollständig pulverisierte Gewinne. Aber mittel- bis langfristig kann es überhaupt keinen Zweifel geben: Die Branche wird boomen. Außerdem profitiert Siemens Energy perspektivisch von Plänen der Europäischen Kommission, die lokale Wertschöpfung der Windkraftanlagenhersteller bei Ausschreibungen stärker zu berücksichtigen. Es bessern sich mithin auch die Ertragspotenziale. Das Geld ist also in der langfristigen Perspektive gut investiert. Diese Sichtweise über den Jahresabschluss hinaus kann sich der Staat im Gegensatz zu Banken leisten.

Dies wäre – viertens – trotzdem kein Grund, staatliche Garantien ohne Sinn und Verstand freizugeben. Aber man kann es nicht oft genug betonen: Es geht hier nicht um Finanzspritzen, sondern um reine Bürgschaften. Siemens Energy muss dafür wie gegenüber jeder Bank eine Gebühr bezahlen. Wichtiger noch: Die Ausfallraten derartiger Bürgschaften sind historisch gesehen marginal.

Klimawende nur mit Windkraft

Der letzte Punkt: Wer die Klimawende schaffen will, der kommt an Windkraft nicht vorbei. Diese Transformation ist nicht nur für die Wirtschaft, sondern für die Gesellschaft eine so zentrale Aufgabe, dass ein Abweichen von der reinen Lehre angesichts des geringen Ausfallrisikos richtig ist.

Dies heißt nicht, dass der Staat freigiebig sein darf. Es ist völlig richtig, dass der Bund die Siemens AG ins Boot zieht. Die ehemalige Alleineigentümerin wehrt sich nach Kräften. Aber die Siemens AG hat ihre Energy-Tochter auch deswegen in die Freiheit entlassen, weil die Margen den eigenen Ansprüchen nicht genügten und der Umbruch der Branche zu viele Risiken barg. Weil der Konzern mit gut 25% immer noch der größte Aktionär ist und weil der Grundstein für die heutigen operativen Probleme der Windkraftgesellschaft Siemens Gamesa in den Zeiten der alleinigen Eigentümerschaft gelegt wurde, steht er nun in der Pflicht.

Es ist gut, dass die Siemens AG von Energy einen Teil des Pakets an der indischen Siemens Ltd. kaufen will. So kommt das frische Kapital in die Kasse, das aktuell angesichts des niedrigen Aktienkurses nicht über die Börse hereingeholt werden kann. Die Probleme dieser Transaktion sind riesig, beispielsweise sind steuerliche Aspekte zu beachten. Ob ein Tausch des Assets gegen Geld aus Sicht der Regierung ohne Beteiligung an den Garantien ausreichend ist, ist schon aus Gründen der Optik sehr fraglich.

Staatliche Garantien für Siemens Energy? Ordnungspolitisch ist das zweifelhaft. In diesem Fall ist es trotzdem der richtige Weg.

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