Immobilienmarkt

Dicke Luft in Chinas Kartenhaus

Die Krise der Immobilienentwickler in China ist ein gewaltiges Finanzstabilitätsrisiko, das Peking gezielt verschleiert.

Dicke Luft in Chinas Kartenhaus

Unter den führenden Wirtschaftsnationen ist China diejenige, deren Immobilienmarkt den wuchtigsten Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt, zum Vermögen der privaten Haushalte und zur laufenden Konjunkturentwicklung leistet. Ein sensibles Thema in einer Zeit, da Chinas Wachstum aus der Spur gekommen ist und mörderisch überschuldete Immobilienentwickler weder ihren Zahlungsverpflichtungen noch ihren vorverkauften Wohnimmobilienprojekten rechtzeitig nachkommen können. Und in der Banken mit einer Boykottwelle beim Hypothekendienst geprellter Wohnungskäufer konfrontiert werden. Dass sich die chinesische Regierung zu all diesen Problemen schmallippig gibt, mag nicht sonderlich verwundern, Chinas staatliche Wirtschaftslenkungskunst ist seit jeher von selektiver Wahrnehmung und höchstmöglicher Intransparenz in der Kommunikation nach außen geprägt.

China befindet sich in einer seit rund 20 Jahren währenden Immobilienblase, aus der nie richtig Luft abgelassen wurde. Dass städtische Wohnimmobilienpreise in rasch wachsenden Volkswirtschaften kräftiger nach oben zeigen als die Anstiegsrate der Durchschnittseinkommen, in die eine große Landbevölkerung mit eingeht, versteht sich fast von selbst. Für das Bankensystem eines Landes ist dies kein ernstes Stabilitätsproblem, solange sich die Verschuldung der privaten Haushalte so weit in Grenzen hält, dass konjunkturelle Ab­schwünge oder Häuserpreiskorrekturen ohne einen Massenausfall bei Hypothekenkrediten abgefedert werden können. Die 2009 vom US-Hypothekenmarkt ausgegangene globale Fi­nanzkrise hat dies eindrucksvoll bestätigt.

In China ist man trotz einer erheblich gestiegenen Inflation und der traditionell für ihren Sparfleiß bekannten privaten Haushalte noch weit von einer solchen Krisensituation entfernt. Das schwache Glied sind hier private Immobilienentwickler, deren rasantes Wachstum in den letzten Jahren auf dem Vorverkauf der für Chinas Großstädte typischen Hochhaus-Wohnanlagen gründet. Die so eingeworbenen Mittel werden für die Fertigstellung bereits versprochener, aber noch nicht angegangener Immobilienprojekte und den Schuldendienst gegenüber Bank- und Bondgläubigern verwendet. Das flotte Wachstumsmodell beruht auf einer Verschuldungsspirale, die zu weit ausgedehnt wurde und nun die Dynamik des chinesischen Wohnimmobilienmarktes kompromittiert.

Mit der Bilanzvorlage des weltweit am höchsten verschuldeten Immobilienentwicklers, Evergrande, kam im letzten Sommer reichlich verspätet das böse Erwachen. Als ein Pleitekandidat mit weitgehend ungedeckten Verbindlichkeiten von 300 Mrd. Dollar entpuppte sich Evergrande schon in der Einzelfallbetrachtung als Finanzstabilitätsrisiko. Da die Branchenkonkurrenz aber mit ähnlichen Geschäftsmodellen und ähnlich waghalsigen Verschuldungsrelationen hantiert, kommt nun ein Dominostein nach dem anderen ins Wackeln. Peking spielt auf Zeit, bewahrt Evergrande vor dem Konkurs und lässt die Schuldenrestrukturierungspläne versprechen, die immer weiter hinausgeschoben werden. So bleiben Bondanleger und breitere Öffentlichkeit gezielt im Dunkeln.

Im Hintergrund will man dafür sorgen, dass Evergrande von staatlich kontrollierten Banken und anderen Vehikeln Mittel herübergeschoben bekommt, um bei den von der Liquiditätskrise bedrohten Immobilienprojekten weitermachen zu können. Die gleiche Taktik wird bei anderen großen Bauträgern angewandt, die sich bereits Zahlungsausfälle am Bondmarkt zuschulden kommen lassen haben und mittlerweile, obwohl börsennotiert, keinerlei Bilanzpublizität mehr leisten.

Das Verschleierungsgebot ist mittlerweile Staatssache, nachdem im Juli lose organisierte Gruppen von Wohnungskäufern damit begonnen hatten, ihre Hypothekenkredite auf vorbezahlte Objekte in Immobilienprojekten, die wegen der Bauträgerkrise verzögert oder unterbrochen wurden, nicht zu bedienen. Daraus ist eine landesweite Boykottaktion von geprellten Kreditnehmern entstanden, die Chinas Finanzregulatoren in Angst und Schrecken und damit auch Aktionismus versetzt. Nun soll unter Regie der Zentralbank an einer Fondslösung gearbeitet werden, die Mittel für eine Beschleunigung von hypothekenseitig boykottierten Immobilienprojekten mobilisiert. An der verheerenden Zukunftssituation der Immobilienentwickler und den Kreditrisiken der sie nun erst recht weiter alimentierenden Banken ändert dies freilich nichts. Hauptsache aber, es werden keine Karten mehr auf den Tisch gelegt, die Immobilienmarktteilnehmer beunruhigen könnten.

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