Brüssel

Die Streikfreude der Belgier

In dieser Woche hat einmal wieder ein Generalstreik das ganze Land lahmgelegt. Die Belgier zeigen erneut, warum sie nach den Franzosen das wohl streikfreudigste Völkchen in Europa sind.

Die Streikfreude der Belgier

Am Donnerstag war es am Brüsseler Flughafen Zaventem wieder einmal so weit: Ein „Spontanstreik“, wie er hier häufiger mal vorkommt, sorgte für ein kleines Chaos und stundenlange Verspätungen. In diesem Fall waren es Mitarbeiter des Gepäckabfertigers, die kurzfristig für mehrere Stunden in den Ausstand getreten waren, um gegen hohe Arbeitsbelastungen zu protestieren. Nachdem sie einige Zusagen erhalten hatten, ging es weiter. Doch es war wohl nicht das letzte Mal, dass es in diesem Sommer am größten belgischen Airport geruckelt hat. So haben die belgischen Piloten des Billigfliegers Ryanair schon neue Ausstände angekündigt, ebenso wie das Kabinenpersonal.

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Die An- und Abreisen rund um den EU-Gipfel in dieser Woche sind von Flughafenstreiks nicht beeinträchtigt worden. Aber auch das hatte es hier schon gegeben: Angela Merkel wird sich sicherlich noch erinnern können, wie sie wegen eines Streiks zu einem Gipfel über die südöstlich von Brüssel gelegene Luftwaffenbasis Beauvechain anreisen und die letzten 40 Kilometer dann mit dem Auto zurücklegen musste. In dieser Woche dürften die europäischen Staats- und Regierungschefs allerdings ganz froh darüber gewesen sein, dass sie bei der Abreise aus Brüssel auf eigene Limousinen und Flugzeuge zurückgreifen konnten. Denn am Dienstag war Generalstreik in Belgien angesagt, der insbesondere die Bus- und Metrolinien in Brüssel, aber auch den Bahnverkehr landesweit nahezu komplett stillgelegt hat.

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Dies hatte auch böse Folgen für Reisende von und nach Deutschland: Denn der Streik erfasste auch die ICEs der Deutschen Bahn, die die belgische Hauptstadt im Zweistundentakt und mit einer Fahrtzeit von nur drei Stunden mit Frankfurt verbinden. Viele Reisende hatte dies überrascht. Wer wagemutig war, versuchte spontan noch auf eine Bummelzugstrecke mit mehrmaligem Umsteigen über die Niederlande auszuweichen. Wie zu hören war, hat dies in einigen Fällen noch geklappt. In anderen nicht. Zumindest war es für alle Beteiligten ein gutes Training für mögliche 9-Euro-Ticket-Touren in den Sommermonaten durch Deutschland.

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Dass die Belgier ein deutlich streikfreudigeres Völkchen sind als die Deutschen, ist natürlich keine neue Erkenntnis aus dieser Woche. Schon seit vielen Jahren zeigen immer wieder Statistiken und Analysen: An die Streikbereitschaft der Franzosen kommen die Belgier zwar nicht heran. Aber die durchschnittlichen Ausfalltage durch Streiks können schon zehnmal so hoch liegen wie in Deutschland. Einer Zehn-Jahres-Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung von 2021 zufolge kam Belgien auf durchschnittlich 91 Tage je 1000 Beschäftigten und Deutschland auf nur 18 Tage im Jahr. Eine frühere ähnliche Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) summierte die belgischen Streiktage auf 79 und die deutschen auf nur 7. Frankreich stand in beiden Fällen mit 114 beziehungsweise 123 Ausfalltagen je 1000 Beschäftigten einsam an der Spitze in der EU.

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In diesem Jahr haben schon die verschiedensten Berufsgruppen in Belgien die Arbeit niedergelegt – zum Teil landesweit, zum Teil auch nur in einzelnen Regionen oder Städten: die Gefängniswärter gehörten dazu, Lehrkräfte in Schulen und Hochschulen, Polizisten, Busfahrer, Mitarbeiter der belgischen Post in verschiedenen Verteilzentren oder auch Brüsseler Taxifahrer. Allerdings ist das Verständnis für die Ausstände selbst in Belgien begrenzt, wie sich bei dem Generalstreik am Dienstag zeigte, bei dem unter anderem höhere Löhne und Gehälter gefordert wurden. Regierungschef Alexander De Croo zeigte wenig Verständnis und verwies darauf, dass in Belgien die Kaufkraft doch durch die automatische Index-Anpassung der Löhne kompensiert werde – eine absolute Ausnahme in der EU. Die Arbeitgeber stießen ins gleiche Horn: Die Steigung der Reallöhne in Belgien sei in den nächsten zwei Jahren die höchste in ganz Europa.