Verbrenner-Debatte

Ein Polit-Thriller voller Verlierer

Nicht die inhaltlichen Anliegen der FDP haben zum Eklat über das Verbrenner-Verbot geführt – sondern ihr missratenes Timing.

Ein Polit-Thriller voller Verlierer

Es wirkt wie das perfekte Drehbuch: Volker Wissing trifft auf Ursula von der Leyen – kurz nachdem der Verkehrsminister einem der Prestigeprojekte der EU-Kommissionschefin auf den letzten Metern das Stoppschild gezeigt hat. Wegen Wissings Veto ist die für diesen Dienstag angesetzte Abstimmung über das Verbrenner-Verbot hinfällig. Von der Leyens von langer Hand geplanter Besuch der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg bekommt deshalb eine unerwartete Dramaturgie. Die Deutsche ist auf Schadensbegrenzung aus, spricht schmallippig von einem „konstruktiven Dialog“.

Was sollte sie auch sagen? Niemand hat kommen sehen, dass Deutschland noch einen Rückzieher machen könnte, wohl nicht einmal die Präsidentin der EU-Kommission. Schließlich liegt ein ausverhandelter Kompromiss auf dem Tisch, den die Bundesregierung vor Monaten mitgetragen hatte – die FDP eingeschlossen. Wissing hat die Beteiligten in eine Sackgasse manövriert. Niemand weiß, wie sie dort herausfinden. Der dadurch entstandene politische Schaden ist groß – viel größer, als jedes realistische Zugeständnis in dieser späten Phase sein kann.

Für den geforderten Einsatz von E-Fuels lässt das Gesetz eine Hintertür, in begrenztem Umfang und falls die EU-Kommission aufs Neue aktiv wird. Wissing reicht das offenkundig nicht mehr aus. Nicht seine inhaltlichen Forderungen sind das Problem, sein missratenes Timing ist es. Wissing hätte vor einem Dreivierteljahr entschiedener auf Nachbesserungen bestehen müssen, als die Kompromiss­suche noch in vollem Gange war. Er tat es nicht.

Über seine Motive zu spekulieren ist müßig. Der FDP-Verkehrsminister hat das seltene Kunststück vollbracht, selbst Unterstützer seines Anliegens heftig vor den Kopf zu stoßen. Sein Vorgehen lässt sie fassungslos bis verstört zurück. Nichts zeigt das eindrücklicher als die Reaktionen von Unionsabgeordneten aus dem EU-Parlament. Eigentlich lehnen sie das kategorische Verbrenner-Aus in der vereinbarten Form wie Wissing ab. Die Art und Weise der Verhandlungsführung sorgt allerdings für Entsetzen. Absurd gehört noch zu den harmlosen Verwünschungen. Von Chaos und Armutszeugnis ist die Rede.

Dass auch die Grünen auf die Barrikaden gehen, kann niemanden überraschen. Schließlich handelt es sich bei strikteren Vorgaben für die Autobranche um einen Meilenstein der gesamten Klimapolitik. Auch Parlamentarier anderer Fraktionen, die das Gesetz entscheidend mitverhandelt haben, sind verbittert. Darunter sind auch Liberale. Denn sie haben unter großen Mühen Mehrheiten erkämpft für ein Unterfangen, das nun zum Spielball des deutschen Koalitionskrachs verkommt.

Es steht deshalb viel mehr auf dem Spiel als das Ab­laufdatum für Verbrenner. Mit ihrem Vorgehen verprellt die Bundesregierung politische Partner in der Euro­päischen Union, die darauf vertrauen, dass einmal ­getroffene Vereinbarungen gelten. Damit steht letztlich die Glaubwürdigkeit des größten EU-Landes als zuver­lässiger Verhandlungspartner auf dem Spiel. Unter langjährigen Beobachtern des Brüsseler Betriebs hat Deutschland den Ruf des unentschlossenen Zauderers, der häufig mehr reagiert, als politische Debatten zu gestalten. Mit dem Eklat um den Verbrenner bekommt das eine neue Qualität.

Denn auch die Signale in die Wirtschaft sind verheerend. Die Berliner Unstimmigkeit provoziert sorgenvolle Reaktionen von Autobauern, die sich längst vom Verbrenner verabschiedet haben und nun Planungssicherheit einfordern. Wissings Veto weckt darüber hinaus falsche Hoffnungen in Industrieverbänden, die plötzlich substanzielle Nachbesserungen des Gesetzes mit Blick auf den Einsatz von E-Fuels wittern, obwohl das äußerst unrealistisch ist. Denn dafür müssten sämtliche Gesetzgeber – Kommission, Parlament und Mitgliedstaaten – aufs Neue eingebunden werden. Rund ein Jahr vor der Europawahl ein Ding der Unmöglichkeit.

Der Streit über den Verbrenner ist somit endgültig zum Polit-Thriller mutiert. Italien, Bulgarien und Polen haben längst kundgetan, das Verbrenner-Verbot abzulehnen. Durch Wissings Veto fühlt sich nun auch dessen Kollege aus Tschechien, wo die Autoindustrie ebenfalls eine große Rolle spielt, in seinen Vorbehalten bestärkt. Das lässt erahnen, dass die Chancen, Entscheidendes am Gesetz zu verändern, gar nicht so schlecht gewesen wären, hätten die Deutschen nur rechtzeitig Entschlossenheit bewiesen. Das ist die bittere Pointe eines Schauspiels, das eigentlich nur Verlierer kennt.

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