Schanghai

Erst der Lockdown, dann das Vergnügen

Der Lockdown in Schanghai hat den Frühling völlig verpfuscht. Nun soll ein Sommerurlaub zum Verwöhnen die Psyche wieder aufrichten. Ob das mal gut geht?

Erst der Lockdown, dann das Vergnügen

Wann war noch gleich der aufsehenerregende Lockdown in Schanghai? Richtig, im April und Mai. Das sind Wonnemonate im Wetterzyklus des Jangtse-Flussdeltas und damit auch der Wonnestadt Schanghai. Pünktlich in der ersten Juniwoche kommt die Widrigkeit des Pflaumenregens. Es regnet zwar keine Pflaumen oder anderes Fallobst, jedoch steckt man in einer die Laune nicht gerade hebenden feucht-schwül-heißen Monsunperiode, die laut Bauernkalender der Pflaumenernte gewidmet ist.

Im Juli bleibt es feucht, aber der Wettergott regelt die Temperatur nach oben – jedes Jahr anscheinend ein bisschen mehr. Seit drei Wochen kann man es sich bei Temperaturen zwischen 35 und 41 Grad bequem machen. Offiziell hat sich der Sommer aber gerade erst einmal warmgelaufen, die etwa 30-tägige Hochleistungsphase hat be­gonnen. Im Bauernkalender wird sie „Sanfutian“ genannt. Das be­deutet so viel wie „Hundstage“ und wirkt zeitgemäßer denn je.

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In der vom Lockdown und allen seinen Nachbeben nicht sonderlich gestärkten kollektiven Psyche des Schanghaier Bürgers tut sich folgendes Kalkül auf: April und Mai, als alles blühte, die Vögel zwitscherten und prachtvolles Frühlingswetter den unwiderstehlichen Charme meiner Heimatstadt besonders akzentuierte, hat man mich um meiner lieben Gesundheit willen von Staats wegen 62 Tage lang bei rudimentärer Lebensmittelversorgung und stetem Bangen um die nächste Mahlzeit eingesperrt. An­fang Juni ließ man mich wieder raus. Dann bin ich mit Maske, Regenschirm und dauerhaft be­schlagener Brille durch die Pflaumenregenpfützen zur U-Bahn ge­tappt, um soweit irgendwie möglich wieder einer geregelten Arbeit und einem gewohnten Lebensrhythmus nachzugehen. Restaurants, Kneipen, Kinos und sonstige Freudenspender blieben vorerst ge­schlossen. Auch galt es den Kontakt mit der Außen- und Freundeswelt so sparsam wie möglich zu dosieren. Schließlich kann jeder noch so flüchtige Erst- oder Zweitkontakt mit einer Person, in deren Wohnanlage ein Fall registriert wurde, die Rückkehr zum Lockdown oder gar die Einladung zum mehrwöchigen Aufenthalt in einer Quarantänestation nach sich ziehen.

Die normalerweise gerade noch erträgliche erste Julihälfte ist in diesem Jahr zum Asphalthölle-Erlebnis in der Coronatest-Dauerschleife verkommen. Schlange stehen in der Mittagshitze an den öffentlichen Covid-Testbuden gehört zu den Mut- und Kreislaufproben, die alle 48 Stunden aufs Neue angegangen werden müssen. Wem das zu hart ist, der hat in der Stadt derzeit nichts verloren. Kein Wunder also, dass der Mittelschichtbürger mit gesichertem Einkommen die Faxen dick hat und das Weite sucht. Diesmal muss, egal wie teuer, ein Sommerurlaub her.

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Anders als in Europa läuft der Flugverkehr derzeit wie ge­schmiert, die Preise sind anspruchsvoll, aber für Schanghais White-Collar-Community noch vertretbar. Kein Wunder also, dass ein signifikanter Teil des Bekanntenkreises die Chat-Kanäle mit Urlaubspostings überlaufen lässt. Der Tenor: „Bin raus dem Gefängnis“ oder „Teurer Spaß hier, aber das habe ich mir nach dem Lockdown sowas von verdient“. Wer sich in beliebten Urlaubsorten auf der Tropeninsel Hainan oder dem vor südostasiatischem Flair strotzenden Xishuangbanna an der Grenze zu Thailand aufhält, hat ein gutes Los gezogen. Wen es indes an den ebenfalls tropisch-kokosnussig daherkommenden Küstenort Beihai nahe Vietnam verschlagen hat, der bekommt ein hässliches Déjà-vu als Urlaubs­erinnerung verpasst. Dort wurden die Einwohner gerade in den harten Lockdown geschickt. Er gilt selbstredend auch für gerade dort wei­lende (und vorwiegend aus Schanghai stammende) Touristen. Wer die Beihai-Urlaubslosniete gezogen hat, bleibt nun bei rudimentärer Lebensmittelversorgung und stetem Bangen um die nächste Mahlzeit länger eingesperrt. Im September dürfte Schanghai wieder vollzählig sein. Wenn es dumm läuft, reift dann der nächste Lockdown heran. Schließlich gelten September und Oktober vom Wetter her nicht als Wonnemonate.

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