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Europas Aktien­märkte brauchen mehr statt weniger Wett­bewerb

Vielfältige und liquide Aktienmärkte sind das Fundament gesunder Kapitalmärkte. Ohne sie gibt es weniger Auswahl und höhere Handelskosten für Anleger, was sich wiederum negativ auf Sparguthaben und Altersvorsorgeoptionen auswirkt. Daher ist es...

Europas Aktien­märkte brauchen mehr statt weniger Wett­bewerb

Vielfältige und liquide Aktienmärkte sind das Fundament gesunder Kapitalmärkte. Ohne sie gibt es weniger Auswahl und höhere Handelskosten für Anleger, was sich wiederum negativ auf Sparguthaben und Altersvorsorgeoptionen auswirkt. Daher ist es unerlässlich, die derzeitige Uneinigkeit darüber aufzulösen, wo der Handel stattfinden sollte, um die besten Ergebnisse für die Anleger zu gewährleisten.

Börsenanteil bei 83 Prozent

In den letzten Jahren haben die europäischen Kapitalmärkte eine Vielzahl von Veränderungen durchlaufen. Seit der Einführung der europäischen Marktgesetzgebung Mifid II im Jahr 2018 wurde ein sorgfältiges Gleichgewicht zwischen verschiedenen Arten von Aktienhandelsmechanismen hergestellt. Laut einem neuen Bericht des Wirtschafts- und Finanzberatungsunternehmens Oxera finden 83% des Ak­tienhandels an Handelsplätzen wie Börsen statt. Im Vergleich dazu spielen alternative Handelsmechanismen wie systematische Internalisierer mit 11% und der außerbörsliche Handel mit gerade mal 6% eine untergeordnete Rolle.

Die Analyse von Oxera macht also deutlich, dass alternative Handelsmechanismen weit davon entfernt sind, die Landschaft zu dominieren. Stattdessen bieten sie die dringend benötigte Auswahl für Anleger. Die Vielfalt der Märkte ist wichtig, denn wenn sich der Handel auf eine bestimmte Art von Handelsplatz konzentriert, kann dies den Wettbewerb, die Auswahl für Anleger verringern und hohe Handelskosten nach sich ziehen.

Dies würde auch das Wachstum der europäischen Primärmärkte und Börsengänge von Unternehmen behindern, die auf die Liquiditätspools der Sekundärmärkte angewiesen sind, um die höchsten Bewertungen zu erzielen. Das ist wiederum ein wichtiger Faktor für die Attraktivität Europas, wenn es um IPOs geht. Schon jetzt ist der Kontinent hier ins Hintertreffen geraten. In den Vereinigten Staaten fanden 2020 IPOs im Umfang von 154,5 Mrd. Euro statt, darunter auch Börsengänge einiger hoch innovativer europäischer Unternehmen. In Europa summierten sich die IPOs im vergangenen Jahr auf gerade mal 17,5 Mrd. Euro.

Unberechtigte Forderungen

Dennoch argumentieren einige Marktteilnehmer unberechtigterweise, dass ein noch größerer Anteil der Trades an Handelsplätzen stattfinden sollte. Sie fordern regulatorische Eingriffe, um die Aktivitäten alternativer Handelsmechanismen erheblich einzuschränken, was den Wettbewerb und die Wahlmöglichkeiten der Anleger wahrscheinlich einschränken wird. Diese Forderung resultiert aus der Vorstellung, dass der Handel an Börsen transparenter ist und alternative Handelsmechanismen „dunkle Kräfte“ sind. Systematische Internalisierer stehen dabei besonders im Fokus der Kritik. Daher lohnt es sich, die Argumente dahinter genauer zu betrachten.

Systematische Internalisierer sind ein wichtiger Teil des Marktes. Sie befinden sich in der Regel im Besitz von Banken oder Wertpapierfirmen, die ihre Bilanzen nutzen, um Liquidität bereitzustellen und Risikopositionen zu übernehmen. Auf diese Weise können sie direkt mit ihren Kunden, den institutionellen Anlegern, handeln. Wenn die Kunden sie nutzen wollen, können die systematischen Internalisierer ihnen so helfen, die besten Preise zu erzielen und ihre Handelskosten zu minimieren. Sie erleichtern auch Transaktionen für ihre Kunden zu Zeiten, in denen andere Marktteilnehmer nicht in der Lage oder nicht willens sind, zu handeln. Diese Funktionen sind besonders wichtig für Renten- und Pensionsfonds sowie andere Vermögensverwalter, die die Pensionen und Ersparnisse von Privatpersonen verwalten, eine maximale Rendite anstreben und dazu auch die Kosten für den Handel niedrig halten wollen.

Die gleiche Transparenz

Was die Transparenz anbelangt, so bieten systematische Internalisierer für kleinere Trades die gleiche Vorhandelstransparenz wie die Börsen. Tatsächlich betreiben viele europäische Börsen selbst sogenannte „Dark Pools“, die auf spezifische Anlegerbedürfnisse eingehen. Während die Transparenz des „Lit Trading“ an den Börsen zweifellos zur effizienten Preisbildung beiträgt, schafft das sogenannte „Dark Trading“ – das für spezifische Transaktionen, wie beispielsweise großvolumige Trades, genutzt wird – zusätzliche Liquidität, die sonst nicht zur Verfügung stehen würde. In jedem Fall bleibt der Handel über alternative Handelsmechanismen auf einem sehr niedrigen Niveau und dominiert nicht die Handelslandschaft. Dies wird in der Oxera-Analyse deutlich, die ein klares Bild vom aktuellen Stand der Liquidität in Europa zeichnet.

In einer Zeit, in der Europa daran arbeitet, die Folgen der Pandemie zu überwinden und die wirtschaftliche Erholung voranzutreiben, sind vielfältige und wettbewerbsfähige Kapitalmärkte wichtiger als je zuvor. Gleichzeitig sollte Europa starke Primärmärkte entwickeln. Diese können einen wichtigen Beitrag leisten, die europäische Wirtschaft mit dem notwendigen Kapital für zukünftiges Wachstum zu versorgen.

Bevor die Regeln der Europäischen Union zur Struktur der Aktienmärkte novelliert werden, müssen die politischen Entscheidungsträger ein um­fassendes Verständnis der beste­henden Handelslandschaft am Sekundärmarkt gewinnen. Dazu müssen sie auf valide Daten zurückgreifen, die ein klares Bild über die Liquidität des Marktes liefern. Ein schlecht informierter Regulierungsansatz könnte hingegen die Fähigkeit der europäischen Kapitalmärkte einschränken, die wirtschaftliche Erholung zu stützen. Längerfristig könnte außerdem die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Kapitalmärkte in der Europäischen Union darunter leiden.

Adam Farkas ist CEO der Association for Financial Markets in Europe (AFME).

In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.