Paris

Französische Scharfmacher

Langfinger verderben Genießern den Appetit. Die müssen nun auch fürchten, dass Senf knapp wird. 

Französische Scharfmacher

„Bloß nicht!“ Nur allzu gut kann ich mich an die Reaktion meines Freundes Gérard erinnern, als ich meine Handtasche in einem Pariser Kino neben meine Füße auf den Boden stellen wollte – so wie ich es in Berlin oder Hamburg immer getan hatte. Die Diebe in Paris seien sehr geschickt, erklärte mir Gérard. Wer in einem Kino etwas auf den Boden stelle, müsse damit rechnen, dass es verschwinde. Deshalb sei es besser, die Handtasche auf die Knie zu legen und sie in der Métro mit den Riemen über der Schulter so unter den Arm zu klemmen, dass kein Langfinger hineingreifen könne.

Diesen Ratschlag habe ich nie vergessen, als ich nach Paris zog. Meine Handtasche und ich waren seitdem nahezu verwachsen. Selbst im Restaurant behielt ich sie auf den Knien und deckte die Serviette darüber, so wie viele andere Frauen in Paris. Das ist nicht unbedingt bequem – und elegant schon gar nicht. Doch offenbar ist es die einzige Methode, die funktioniert. Wer die Tasche in Restaurants an die Lehne seines Stuhls hängt oder auf den Boden stellt, muss unter Umständen teuer dafür bezahlen.

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Sonnenblumenöl ist auch in französischen Supermärkten derzeit Mangelware. Dabei könnte es nicht bleiben, denn jetzt könnte auch Senf knapp werden. Nach Angaben des Marktforschungsinstituts IRI ist er eines der fünf Konsumgüter in Frankreich, deren Preise in den letzten zwölf Monaten am stärksten gestiegen sind. Laut IRI hat der Senfpreis zwischen April 2021 und April dieses Jahres um 9% zugelegt. Senf ist aus der französischen Küche nicht wegzudenken. Immerhin ist der scharfe Dijon-Senf ein wichtiger Bestandteil von Vinai­grette, Mayonnaise und vielem mehr. Normalerweise werden pro Minute in Frankreich im Schnitt je 16 Gläser Senf verkauft.

Schuld an dem drohenden Senfmangel ist vor allem der Klimawandel. So hat eine Dürre letztes Jahr die Ernte von Senfkörnern in Kanada einbrechen lassen. Betrug sie im August 2020 noch 135000 Tonnen, waren es ein Jahr später nur noch 99000. Kanada ist der größte Senfkörnerproduzent weltweit. Inzwischen wird ein Großteil des berühmten Moutarde de Dijon auf Basis von Senfkörnern aus Kanada hergestellt, da der Senfanbau in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg mangels Subventionen fast vollkommen zum Erliegen gekommen war.

Deshalb beschlossen das Familienunternehmen Fallot und der seinerzeit zu Danone gehörende Senfproduzent Amora Maille in den achtziger Jahren, den Anbau von Senfpflanzen im Burgund wieder voranzutreiben. Doch ungünstige Klimabedingungen und der Rapserdfloh haben den rund 300 Anbauern dort in den letzten Jahren zugesetzt, so dass die Senfkornernte von 12000 Tonnen im Jahr 2016 auf zuletzt 4000 Tonnen eingebrochen ist. Dazu kommen der Krieg in der Ukraine und die gegen Russland, einen der anderen großen Produzenten von Senfkörnern weltweit, verhängten Sanktionen. Deshalb ist der Preis für Senfkörner inzwischen von 800 auf 1300 Euro je Tonne gestiegen.

Moutarde de Dijon ist zwar der bekannteste Senf in Frankreich, doch die Bezeichnung ist nicht geschützt, im Gegensatz zur geografischen Herkunftsbezeichnung Moutarde de Bourgogne. Nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums werden 90% des Senfs, der in Frankreich konsumiert wird, noch immer im Großraum von Dijon produziert. Unabhängige Senfproduzenten wie das 1840 gegründete Familienunternehmen Fallot gibt es kaum noch.

Die beiden bekannten Marken Amora und Maille gehören seit 1999 zu Unilever. Der britisch-niederländische Konzern hat das historische Werk in Dijon 2009 dichtgemacht. Seitdem wird der Senf der beiden Marken in dem Vorort Chevigny-Saint-Sauveur produziert, genau wie ihre Cornichons. Die kleinen Gürkchen, die Unilever dafür verwendet, stammen jedoch längst ebenfalls nicht mehr aus Frankreich, sondern aus Indien. 80% der in Frankreich konsumierten Cornichons werden nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums in Indien angebaut, die restlichen 20% in Osteuropa. Reitzel aus der Schweiz bietet inzwischen jedoch unter der Marke Le Jardin d’Orante wieder in Frankreich angebaute Cornichons an.