Steuerreform in Italien

Große Worte, kleine Wirkung

Die Steuerreform der italienischen Regierung ist alles andere als eine „Revolution“ – und unausgewogen. Steuerexperten üben Kritik, die wenigsten sehen ein ausgegorenes Konzept.

Große Worte, kleine Wirkung

Um große Worte ist Italiens Premierministerin Giorgia Meloni nie verlegen. So bezeichnet sie den in der vergangenen Woche vorgestellten Gesetzentwurf für eine Steuerreform wahlweise als „Revolution, auf die Italien seit 50 Jahren wartet“ oder als „epochale Wende“. Für eine Bewertung ist es zu früh, weil viele wichtige Details fehlen, doch von einer Revolution ist das Vorhaben nach Einschätzung von Experten weit entfernt. Der frühere IWF-Ökonom und jetzige Senator der Sozialdemokraten Carlo Cottarelli spricht von einer merkwürdigen Mischung aus Vagheit und Präzision.

Wie schon die erste Regierung Berlusconi in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts will auch diese Regierung die Steuerbelastung reduzieren, das Wachstum ankurbeln und damit die Steuereinnahmen erhöhen. Betroffen von den Maßnahmen sind sowohl Unternehmenssteuern als auch Steuern für natürliche Personen wie die Einkommensteuer.

Die Körperschaftsteuer (Ires) soll von 24% auf 15% sinken, wenn die Unternehmen Gewinne reinvestieren oder in Forschung und Entwicklung stecken. Änderungen sind auch bei der regionalen Wertschöpfungssteuer Irap geplant, die abgeschafft werden soll, sowie bei der Mehrwertsteuer, die für Produkte des primären Bedarfs auf null gesenkt werden soll.

Bei der Einkommensteuer ist vorgesehen, in einem ersten Schritt die Zahl der Steuersätze von heute vier auf drei zu reduzieren, wobei die Höhe der künftigen Steuersätze noch nicht klar ist. Ein Vorschlag sieht künftige Einkommensteuersätze von 23, 33 und, wie schon bisher, 43% auf Einkommen über 50000 Euro vor. Das soll der erste Schritt auf dem Weg zu einem Einheitssteuersatz (Flat Tax) sein. Das war ein Wahlversprechen der regierenden Rechtskoalition.

Der Gesetzentwurf (Rahmengesetz) muss noch vom Parlament gebilligt werden und soll dann innerhalb von 24 Monaten umgesetzt werden. Die neuen Steuersätze sollen ab 2025 gelten. Die Gesamtkosten der geplanten Maßnahmen, für die es bisher keine überzeugende Gegenfinanzierung gibt, werden allein für die Einkommensteuer auf 4 bis 10 Mrd. Euro geschätzt. Die Gefahr ist groß, dass das Loch im Haushalt, das wegen der steigenden Zinsen und anderer Belastungen ohnehin riesig ist, sich noch weiter vergrößert.

Ein großer Teil der Italiener deklariert negative Einkommen oder zu versteuernde Bruttojahreseinkommen von unter 10000 Euro. Sie zahlen damit gar keine Einkommensteuer. Vor allem in den südlichen Landesteilen Italiens übersteigen die Konsumausgaben jedoch das dort erwirtschaftete Bruttoinlandsprodukt deutlich. Und trotz des extrem niedrigen Einkommens, das deklariert wird, sind die Italiener individuell deutlich vermögender als etwa die Deutschen. Die Banca d’Italia gibt ihr Bruttovermögen mit rund 11000 Mrd. Euro an. Die Hälfte davon steckt in Immobilien: Drei Viertel der Italiener leben im eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung. Und etwa 1800 Mrd. Euro liegen auf Kontokorrentkonten.

Von der geplanten Steuerreform würden vor allem zu versteuernde Bruttojahreseinkommen zwischen 28000 und 50000 Euro etwas haben, deren Steuerlast um einige Hundert Euro pro Jahr sinken dürfte. Sie profitieren derzeit von deutlich mehr als 600 Steuerabzugsmöglichkeiten im Umfang von 165 Mrd. Euro. Diesen Dschungel will die Regierung auch deshalb lichten, weil die Verfassung Rom dazu verpflichtet, eine Progressivität der Besteuerung zu wahren. Die Finanzierung des Vorhabens und eine Progressivität der Besteuerung sollen durch höhere Freibeträge für niedrigere Einkommen sichergestellt werden.

Die Regierung dürfte bei der Umsetzung dieser Pläne aber auf erhebliche Widerstände der Betroffenen stoßen. Nur ein Beispiel: Steuerabzüge gibt es auch für die tierärztliche Behandlung von Haustieren. Deren Reduzierung oder Abschaffung dürfte einen Aufschrei zur Folge haben. Ähnlich würde es wohl bei der Einschränkung anderer Steuerfreibeträge für höhere Einkommen laufen. Auf der anderen Seite machen auch die Gewerkschaften massiv Front gegen die „sozial ungerechte“ Steuerreform, weil die Steuersenkung für untere Einkommensklassen nur gering wäre.

Peter Hilpold, Professor für Völker- und Europarecht an der Universität Innsbruck, spricht in der Bozner Zeitung „Dolomiten“ im Hinblick auf die geplante Steuerreform von „wich­tigen Weichenstellungen“, sieht aber aufgrund der „budgetären Möglichkeiten sehr enge Grenzen“. Gestaltungsmöglichkeiten für Steu­ersenkungen habe die Regierung nur durch Einschränkungen bei den Steuerfreibeträgen. Doch diese dienen bisher dazu, viele Unzulänglichkeiten im öffentlichen Sektor wie den Zugang zum Gesundheitswesen und zur Ausbildung oder zur Unterstützung der Altenpflege zu mildern. Da die Regierung bereits angekündigt hat, diese Bereiche von Einschränkungen von Abzugsmöglichkeiten auszunehmen, reduziert sich der diesbezügliche Handlungsspielraum der Regierung.

„Es ist davon auszugehen, dass die Regierung versuchen wird, eine weitgehende Aufkommensneutralität zu garantieren. Wenn diese Reform angesichts einer sehr angespannten Haushaltslage einen Unterschied machen kann, dann wohl nur über die effizientere Gestaltung des Steuersystems insgesamt und kaum über eine unmittelbare Minderung der Steuerbelastung“, glaubt Hilpold.

Im Hinblick auf die geplante Umsetzung der Reform innerhalb von 24 Monaten hat er Zweifel: „Dieser Rahmen ist üblich – und wurde bislang noch in Bezug auf kein Reformvorhaben eingehalten.“ Eine vollumfängliche Umsetzung des Vorhabens sei wohl auch diesmal nicht zu erwarten, obwohl angesichts der erstmals seit Jahrzehnten klaren politischen Mehrheiten die Möglichkeit bestünde, „konkret Entscheidendes voranzubringen, insbesondere was die allseits geteilte Forderung anbelangt, das italienische Steuersystem effizienter, transparenter, verständlicher und damit in entscheidenden Punkten zeitgemäßer zu gestalten“.

Andere Experten wie ein Mailänder Steuerberater, der anonym bleiben will, sind bezüglich der Umsetzungsmöglichkeiten optimistischer und halten sie für „machbar“.

Carlo Bonomi, Chef des Industriellenverbandes Confindustria, sieht in dem Vorhaben zu wenig Anreize für Unternehmen, zu investieren. Außerdem sei eine durchschnittliche Steuerersparnis von jährlich 300 Euro pro Familie zu wenig. Confindustria fordert Steuersenkungen von insgesamt 15 Mrd. Euro für zu versteuernde Einkommen von unter 35000 Euro, wovon zwei Drittel den Arbeitnehmern und ein Drittel den Arbeitgebern zugutekommen müssten. Das brächte den Arbeitnehmern Einsparungen von durchschnittlich 1200 Euro. Unklar ist jedoch, wie das finanziert werden soll.

Relativ einig sind sich viele Kommentatoren, etwa der Zeitung „Corriere della Sera“, darin, dass die Einführung einer Flat Tax für alle ein unrealistisches Versprechen ist, das schon aus Haushaltsgründen nicht realisierbar sei – es sei denn auf Kosten des Gesundheitswesens, der Schulen oder des Ausbaus der Infrastruktur.

Umverteilung nicht opportun

Unstrittig unter Ökonomen ist ferner, dass die angestrebte Flat Tax von 15% sozial ungerecht ist. „Eine Progression ist gerechter“, sagt der Mailänder Steuerexperte, der in der geplanten Steuerreform zwar durchaus Fortschritte erkennt, aber keine Revolution. Er kritisiert den Verzicht auf die noch von Draghi geplante Katasterreform, an die man sich wegen der Folgen für die vielen Immobilienbesitzer nicht herangetraut habe. „Eine echte Revolution wäre es gewesen durch eine Schenkung- und Erbschaftsteuer sowie eine Immobilienbesteuerung nach realistischen Katasterwerten die großen Vermögen der Italiener zu besteuern. Das wäre epochal“, meint er. „Aber darüber wird in diesem Land nicht einmal im Ansatz diskutiert, weil eine Umverteilung nicht opportun ist.“

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