Tokio

Im langen Schatten von Shinzo Abe

Das Vermächtnis des ermordeten früheren Premierminister Abe macht der Regierung Kishida zu schaffen. Viele Bürger kritisieren das Vorhaben Abe mit einem Staatsbegräbnis zu ehren.

Im langen Schatten von Shinzo Abe

Auch einen Monat nach seiner Ermordung muss sich Japans Innen- und Außenpolitik mit dem Vermächtnis von Shinzo Abe aus­einandersetzen. Das Kabinett von Fumio Kishida legte jetzt den 27. September als Termin für ein Staatsbegräbnis fest – eine nicht-religiöse Zeremonie in der Sporthalle Nippon Budokan in Tokio. Damit stach der Regierungschef jedoch in ein Wespennest. In zwei Meinungsumfragen lehnte jeweils eine klare Mehrheit den Plan ab. Gleichzeitig fiel die Unterstützungsrate für Premier Kishida um mehr als 10 Punkte.

Nach Einschätzung japanischer Medien meinen viele Bürger offenbar, dass der liberale Kishida sich mit dem Staatsakt vor allem die Unterstützung der Rechtskonservativen in der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) sichern wolle. Dazu kommt eine öffentliche Kontroverse über die engen Verbindungen zwischen der Moon-Sekte, der LDP und der Abe-Familie. Der Attentäter hatte Abe getötet, weil er die Verbreitung der Sekte in Japan gefördert haben soll. Die Mutter des Täters hatte die Familie in Armut gestürzt, als sie ihr ganzes Vermögen der Sekte spendete.

Das letzte Staatsbegräbnis erhielt 1967 Shigeru Yoshida, der Japan als Premier aus der Asche des Zweiten Weltkrieges herausgeführt hatte. Die Kosten für einen solchen Akt zahlt der Steuerzahler. Eine Bürgergruppe beantragte daher eine einstweilige Verfügung, weil das Parlament die Kosten für den Abe-Staatsakt nicht genehmigt habe. Zudem weigerte sich die Opposition, eine Lobrede auf Abe im Parlament zu halten, wie es seit dem Yoshida-Begräbnis vor offiziellen Gedenkveranstaltungen für verstorbene Regierungschefs üblich war.

Prompt trat Kishida den Rückzug an und verzichtete darauf, dass anstelle eines Oppositionspolitikers Ex-Wirtschaftsminister Akira Amari die Leistungen von Abe im Parlament einordnen sollte. Der Plan war auch innerhalb der LDP umstritten, da Amari nicht zu ihren Top-Politikern gehört und wegen bis heute ungeklärter Korruptionsvorwürfe 2016 vorzeitig zurücktreten musste. Stattdessen will die Regierung Kishida das Staatsbegräbnis bei einer Sondersitzung des Parlaments in der zweiten Hälfte dieser Woche begründen.

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Der lange Schatten von Abes Erbe reicht indes bis nach Südkorea. In seiner Amtszeit hatte Abe eine harte Linie gegenüber Südkorea verfolgt, sobald um die gemeinsame Geschichte gestritten wurde. Als das Oberste Gericht in Südkorea im Herbst 2018 japanische Konzerne, darunter Nippon Steel und Mitsubishi Heavy, zu Entschädigungen an Ex-Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg verurteilte, machte Abe den Export von mehreren schwer ersetzbaren Chemikalien für Halbleiterhersteller genehmigungspflichtig. Die Verordnung bremst bis heute die Ausfuhr und beeinflusst die Produktion von Chips und Bildschirmen in Südkorea.

Südkoreas neuer Präsident Yoon Suk-yeol möchte die Beziehungen zwischen Seoul und Tokio verbessern und sucht dafür nach gesichtswahrenden Lösungen für beide Seiten. Doch trotz Treffen der beiden Außenminister und einer Dreierrunde von Kishida und Yoon mit US-Präsident Joe Biden beim Nato-Gipfel in Madrid sind bislang keine Fortschritte in Sicht. Die japanische Seite zeigt bisher kaum Bereitschaft, auf die südkoreanischen Avancen einzugehen. Daher muss Yoon befürchten, dass Kishida die harte Linie von Abe fortsetzen könnte, um dessen Anhänger in der eigenen Partei nicht gegen sich aufzubringen. In diesem Fall droht Yoon sein politisches Kapital zu verbrennen, ohne in der Sache etwas zu erreichen.

Die Hürden sind ohnehin hoch: Die Justiz in Südkorea hat schon den Prozess eingeleitet, lokale Vermögenswerte der verurteilten japanischen Unternehmen für die Finanzierung der Entschädigungen zu beschlagnahmen. Und die Streitkräfte in Südkorea und Japan kommunizieren gar nicht mehr, seitdem ein südkoreanischer Zerstörer Ende 2018 sein Feuerkontrollradar auf ein japanisches Flugzeug gerichtet haben soll. Südkorea bestreitet diese Darstellung, Japan beharrt darauf. Eine Annäherung in beiden Fragen wäre wohl nur möglich, wenn eine Autorität wie Abe ein Machtwort sprechen würde. Ohne ihn blockiert sich Japan nun selbst.

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