Mailand

Italien ist noch im Sommer-Modus, aber das Klima wird kälter

In Italien beherrschen trotz Sonnenschein die Heiz- Und Energiekosten die Diskussionen. Auch dürften die Preise für Espresso und Wein bald steigen. Rettung wird von Wahlsiegerin Giorgia Meloni erwartet. ihr Spielraum ist aber begrenzt.

Italien ist noch im Sommer-Modus, aber das Klima wird kälter

Der Herbst ist mild. Die Tage sind sonnig in Italien. Bei Temperaturen von bis zu 27 Grad und Wassertemperaturen über 20 Grad sind die Strände voll mit Deutschen und Schweizern. Die Terrassen der Restaurants und Cafés sind bis auf den letzten Platz gefüllt.

Ans Heizen denkt in diesen Tagen niemand. Dennoch beherrschen die Heiz- und Energiekosten die Diskussionen. Die Hotelkette Caroli mit fünf Häusern in Apulien hat zum 1. Oktober geschlossen und die 275 Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt. Generaldirektor Attilio Caputo begründet dies mit der Versechsfachung der Monatsrechnung für Gas und Licht auf 600000 Euro. Da sei es billiger, zu schließen, sagt er und schimpft, dass die Genehmigung für eine Fotovoltaikanlage immer noch aussteht. Auch das Hotel Stellamaris bei Portofino hat vorzeitig geschlossen. Die Industriebetriebe stöhnen, weil auch die Rohstoffe massiv teurer sind. In vielen Städten demonstrieren Privatleute, Händler und Unternehmer.

Auch die Preise für Lebensmittel wie Öl steigen kräftig. Die Ernte fällt wegen der langen Trockenheit und einer Baumkrankheit vor allem in Apulien schlecht aus. Der morgendliche Espresso in der Bar kostet meist nach wie vor rund 1 Euro, im Durchschnitt 89 Cent im sizilianischen Messina und 1,25 Euro in Trient. Doch sollten die Rohstoff- und Energiepreise länger so hoch bleiben, komme man um deutliche Preiserhöhungen nicht herum, meint Cristina Scocchia, CEO von Illycaffè. Das Traditionscafé Terzi in Bologna ist jetzt vorgeprescht: 1,50 Euro kostet dort jetzt der Espresso. Auch Wein dürfte wegen der stark steigenden Kosten trotz einer sehr guten Ernte bald deutlich mehr kosten, so der Landwirteverband Coldiretti.

Wahlsiegerin Giorgia Meloni soll nun die Rettung bringen. Überschwänglich wurde sie bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt nach den Wahlen bei einer Coldiretti-Veranstaltung in Mailand begrüßt: „Du bist eine von uns“, riefen viele Bauern. „Forza Giorgia“, schallte es ihr entgegen. „Italien muss seine nationalen Interessen besser vertreten“, rief sie ins Publikum. Sehr viel mehr will sie vorerst aber nicht verlauten lassen. Die Unternehmer des Landes machen kein Geheimnis daraus, dass sie Meloni gut finden und es begrüßen, dass der unberechenbare Matteo Salvini stark zurechtgestutzt wurde.

Carlo Bonomi, Chef des Industriellenverbands Confindustria, sagte bei einer Veranstaltung im norditalienischen Varese, man könne sich die von Salvini geforderte Flat Tax, die nach Berechnungen der Katholischen Universität Mailand jährlich 60 Mrd. Euro kosten würde, oder weitere Vorruhestandsregelungen nicht leisten.

Meloni muss nun liefern und angesichts leerer Kassen und der hohen Schulden bekennt sie sich plötzlich zu Europa: „Wir suchen europäische Lösungen“, sagt sie mit einem Seitenhieb auf die nach ihrer Ansicht unsolidarischen Deutschen. Sie hofft auf ein neues europäisches Aufbauprogramm.

Meloni muss handeln, kann sich aber keine Extravaganzen leisten. Das könnte fatal für sie sein. Denn ihre Anhänger erwarten viel von ihr. Auch Matteo Renzi und Matteo Salvini sind aus großer Höhe tief gefallen.

Melonis demokratische Legitimation ist viel schwächer, als es auf den ersten Blick scheint. Nur zwei Drittel der Italiener gingen überhaupt zur Wahl. Gewählt wurde Meloni vor allem von Arbeitern, Handwerkern, Selbständigen und Händlern im Norden und in der Region Latium. Jüngere und gut Ausgebildete tendierten eher zur Mitte-links-Partei Azione oder zu den Sozialdemokraten. Der Süden wählte vor allem die populistische 5-Sterne-Bewegung, die großzügige Sozialhilfen versprach. Melonis Koalitionspartner Lega und Forza Italia aber punkteten mit großzügigen Renten- und Steuerversprechen bei den älteren Italienern, während die Jungen den Urnen zu großen Teilen fern blieben. Die Linke kam insgesamt auf mehr Stimmen als die künftige Rechtskoalition, erhielt wegen ihrer Zerstrittenheit und eines Wahlsystems, das Koalitionen begünstigt, aber viel weniger Mandate. Italien bleibt ein gespaltenes Land mit großen wirtschaftlichen, sozialen und demografischen Problemen. Man darf gespannt sein, welche Rezepte Meloni präsentiert.                                 (Börsen-Zeitung, 5.10.22)

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