Pharmaindustrie

Kontrapunkt

In der Debatte über globale Gerechtigkeit in der Pandemiebekämpfung setzt der US-Pharmakonzern Merck ein Zeichen mit der freiwilligen Lizenzvergabe an Generikaanbieter. Das sollte die Auseinandersetzung über Patentlockerungen versachlichen.

Kontrapunkt

Die Versorgung ärmerer Länder mit Corona-Impfstoffen und -Medikamenten bleibt eine der dringlichsten Aufgaben in der weltweiten Pandemiebekämpfung. Auch wenn die Spendenbereitschaft zuletzt etwas zugenommen hat, geben reichere Länderimmer noch viel zu wenig Coronavakzine an bislang stark unterversorgte Regionen ab. Die Impfstoffinitiative Covax musste ihr Ziel, bis Ende des Jahres 2 Milliarden Menschen in den ärmsten Ländern mit einer Dosis zu bedenken, auf das erste Quartal 2022 verschieben. Vollmundige Ankündigungen von Politikern sind Lippenbekenntnisse geblieben, obwohl klar ist, dass die Pandemie nur global be­kämpft werden kann.

Die Staats- und Regierungschefs nutzten zuletzt auch die Eröffnung des G20-Gipfels in Rom, um sich mit hehren Worten über die ungerechte Impfstoffverteilung zwischen Arm und Reich in Szene zu setzen. Die Teilnehmer be­kräftigten das Ziel, bis Ende 2021 mindestens 40% und bis Mitte nächsten Jahres 70% der Weltbevölkerung gegen Covid-19 impfen zu wollen. Dazu hatte indes zuvor schon die Weltgesundheitsorganisation WHO aufgerufen. G20-Gastgeber Mario Draghi brandmarkte das globale Auseinanderfallen der Impfquoten als „moralisch inakzeptabel“ und forderte die reichen Länder auf, mit den Zusagen Ernst zu machen. Das hat die Weltgemeinschaft alles schon einmal gehört, und sie kann weiterhin nur hoffen, dass den Worten endlich Taten folgen. Nicht ohne Grund machten Nichtregierungsorganisationen ihrem Ärger Luft und verlangten einen „konkreten Fahrplan“ mit den G20-Staaten in der Führungsrolle, um das Impftempo rasch zu beschleunigen.

Bewegung auf politischer Ebene zeigt sich immerhin in der Welthandelsorganisation WTO in der Frage, inwieweit Lockerungen im Patentschutz eine Antwort auf Covid-19 sein könnten. Hier standen sich bislang die von Indien und Südafrika initiierte Eingabe, Impfstoffpatente temporär aufzuheben, und die dazu konträre Meinung der EU-Mehrheit unverrückbar gegenüber. Mit Blick auf die am 30. November beginnende WTO-Ministerkonferenz gibt es Signale der Annäherung, um ebenfalls ein Zeichen in der weltweiten Pandemiebekämpfung setzen zu können. In den seit Monaten geführten bilateralen Gesprächen gebe es erstmals ermutigende Hinweise, dass eine pragmatische Lösung möglich ist, teilt die WTO mit. Der Tonfall ist offensichtlich moderater geworden, die Kontrahenten haben zumindest zentrale Punkte der Übereinstimmung identifiziert und bewegen sich in kleinen Schritten aufeinander zu, heißt es. Dem zuständigen TRIPS Council obliegt die nach wie vor höchst schwierige Aufgabe, bis zum WTO-Ministertreffen einen Konsens festzuzurren. Es wäre ein Meilenstein in der internationalen Zusammenarbeit, wenn das gelingt, – allerdings auch erst fast zwei Jahre nach Beginn der Pandemie.

Die Kompromissfähigkeit der beteiligten WTO-Länder wird im Pandemiethema bis zum Äußersten gefordert, das belegen Hinweise von Beobachtern. Die EU ist offensichtlich entschlossen, die Incentivierung von Innovationen in der Pharmaindustrie zu verteidigen, so dass sie am Patentschutz festhält. In einem Konsens dürfte es darauf hinauslaufen, dass die Bedingungen für die Nutzung von Zwangslizenzen konkretisiert und flexibilisiert werden – auch in der Hoffnung, dass die Bereitschaft der Patentinhaber zunimmt, freiwillig Rechte an Firmen zu vergeben, die bedürftige Länder versorgen wollen. Mit dieser Lösung, kombiniert mit dem Bekenntnis zur globalen Solidarität in der Impfstoffverteilung, sollten alle Beteiligten das Gesicht wahren können.

Einen Kontrapunkt in der Debatte über Gerechtigkeit in Pandemiezeiten setzt der US-Pharmakonzern­ Merck & Co., der schon im Frühjahr inmitten der klinischen Entwicklung seiner Coronapille Molnupiravir freiwillig mit fünf indischen Generikaherstellern Lizenzvereinbarungen getroffen hat, um das Medikament im Fall der Zulassung rasch auch in mehr als 100 Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen verfügbar zumachen. Mit Einreichen des Antrags für eine Notfallzulassung im Oktober gab der Konzern zudem bekannt, ärmeren Ländern das Produkt über ein mit der Weltbank abgestimmtes Preiskonzept zugänglich machen zu wollen. Nachahmer gesucht! Die Merck-Coronatablette ist gleichwohl nicht nur ein positives Signal für Fairness und Verantwortung, sie steht exemplarisch für die gute Nachricht, dass die Anzahl von Therapien gegen Covid-19 zunimmt. Jetzt fehlt dem Medikament nur noch die Zulassung.