NRW

Landtagswahl mit Fernwirkung

Das Wahlergebnis in Nordrhein-Westfalen ist kein Stimmungsbild für den Bund. Gleichwohl strahlt es auf die Ampel in Berlin aus.

Landtagswahl mit Fernwirkung

Noch am Wahlabend in Nordrhein-Westfalen ermutigte das Wirtschaftsforum der SPD den Spitzenkandidaten in Düsseldorf, Thomas Kutschaty (SPD), eine Ampel-Regierung mit Grünen und FDP zu bilden. Das bevölkerungsreichste Bundesland NRW brauche einen „klugen wirtschafts- und industriepolitischen Kurs“, kommentierten die im Wirtschaftsforum vereinten und SPD-nahen Unternehmen. So machtpolitisch ambitioniert dachte zunächst auch die Partei. Am Tag nach der Wahl kehrte indessen Realitätssinn ein: Kutschaty zog als Zweitplatzierter, aber mit einem historisch schlechten Wahlergebnis der NRW-SPD seinen Regierungsanspruch vorerst zurück. Hendrik Wüst (CDU) lässt er bei der Partnersuche den Vortritt. Ministerpräsident Wüst ist zwar Wahlsieger, hat aber die FDP als Koalitionspartner verloren. Schwarz-Grün liegt nun für NRW nahe, nachdem die Grünen ihr Wahlergebnis auf 18% verdreifacht haben. Wüst lockte bereits in diese Richtung: Gerade für das Industrieland Nordrhein-Westfalen besitze die „Versöhnung von Klimaschutz und Industrie“ eine große Bedeutung. Dass Wüst auch eine große Koalition mit der SPD nicht ausschließt, hat vor allem taktische Gründe. Die Grünen können sich den Partner aussuchen und ihre Politik in den Koalitionsvertrag diktieren. Wüst braucht eine Alternative als Verhandlungsmasse. Teuer wird es für die CDU in Düsseldorf ohnehin, da die Grünen gemessen am Wahlergebnis ein Drittel der Ministerposten beanspruchen können, mehr, als aktuell die FDP hat.

Wahlverlierer sind neben AfD und Linken die Liberalen. Während FDP-Chef Christian Lindner das schlechte Ergebnis nach der Schleswig-Holstein-Wahl vor einer Woche noch verbal wegmoderierte, scheute er sich nun nicht mehr, dem NRW-Resultat das Prädikat „desaströs“ zu verleihen. Den Wahlabend lang musste die FDP als Regierungspartei um den Wiedereinzug in den Landtag bangen. Sie nahm die 5-Prozent-Hürde am Ende nur mit einem kleinen Puffer. Lindner strebt eine Ampel in NRW schon deshalb nicht an, weil die Liberalen – anders als im Bund – in Düsseldorf nicht gebraucht werden, um überhaupt eine Regierung zustande zu bringen. Im Bund muss sich die FDP inhaltlich so stark verbiegen, dass sie in Erklärungsnot gegenüber ihren Wählern auch in den Ländern gerät. Lindner führt die schweren Verluste auf die Unzufriedenheit der Wähler mit dem Entlastungspaket der Ampel zurück, das die hohen Energiepreise mildern soll. Rentner profitieren davon nicht. Die FDP hängt in der Gesamtverantwortung, auch wenn in das Paket die Wünsche aller drei Koalitionspartner eingeflossen sind. Wenn es den Liberalen schon im Kleinen nicht gelingt, ihre Politik zu erklären, wird es beim großen Thema Schuldenpolitik kaum besser werden. Lindner zeichnet dafür als Bundesfinanzminister direkt ver­antwortlich. Seit Regierungsantritt verrät er in der Finanzpolitik so ziemlich alle Grundsätze der FDP. An der Schuldenbremse vorbei wurde der Energie- und Klimafonds mit Kreditermächtigungen vollgestopft, die noch gelten werden, wenn die Schulden­bremse von 2023 an wieder ziehen soll. Das geplante Sondervermögen für die Bundeswehr ist ein ähnlich gelagerter Fall. Zudem hat die Ampel-Koalition das Kleingedruckte für die Nebenhaushalte des ­Bundes zu ihren Gunsten­ ­verändert und die Tilgungspläne gestreckt. Lindner steckt in Erklärungsnot.

Die NRW-Wahl war keine kleine Bundestagswahl, denn das Stimmungsbild und die Umfragewerte im Land sehen anders aus als im Bund. Das NRW-Ergebnis ist zudem durch eine geringe Wahlbeteiligung geprägt. Nur die CDU konnte in absoluten Zahlen mehr Wähler mobilisieren. Alle Parteien – einschließlich der optisch vervielfachten Grünen – verloren im Vergleich zur Bundestagswahl im Herbst Stimmen an die große Gruppe der Nichtwähler. Die Nichtwähler erreichten traurige 45%. Gleichwohl strahlt das Ergebnis auf die Regierungsarbeit der Ampel im Bund aus. Bundeskanzler Olaf Scholz ist noch stärker unter Druck, SPD-Politik zu machen, nachdem seine Auftritte und Plakate im NRW-Wahlkampf nicht geholfen haben. Selbst das erwartete Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und SPD blieb im langjährigen Kernland der Sozialdemokraten aus. Die FDP wird sich im Bund sperriger zeigen. Sie wird weniger bereit sein, Kompromisse gegen ihre Überzeugungen mitzutragen. Die politische Haftung wird sonst teuer. Die Grünen sind derzeit der stabile Faktor eines destabilisierten Dreierbündnisses. Die Union mit CDU-Vorsitzendem Friedrich Merz sollte nicht zu früh frohlocken. Ob sie in ganz Deutschland Wahlen gewinnen kann, entscheidet sich im Bund – und nur dort.

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