LeitartikelArgentinien

Mileis Doppelspiel

Eine Niederlage im Parlament kommt Argentiniens libertärem Präsidenten Javier Milei gerade recht für seine Propaganda gegen die Politik.

Mileis Doppelspiel

Argentinien

Mileis Doppelspiel

Eine Niederlage im Parlament kommt Argentiniens libertärem Präsidenten gerade recht für seine Propaganda gegen die Politik.

Von Andreas Fink

Am vergangenen Dienstag an der Klagemauer in Jerusalem zeigte Argentiniens Präsident Javier Milei der Welt seinen Willen zu einer Kehrtwende in der Außenpolitik. Noch vor drei Wochen hatte er Europa beeindruckt mit einer Rede in Davos, die eine radikale Abkehr von staatlicher Regelwut forderte. Aber während Milei noch den Umzug der argentinischen Botschaft nach Jerusalem ankündigte, mussten seine Parlamentarier daheim schon den Neuanfang vertagen.

Nach einem Monat intensiver Debatte im Kongress zog die Regierung ihr „Gesetz über Grundlagen und Ausgangspunkte für die Freiheit der Argentinier“ nämlich zurück. Dabei hatte die große Parlamentskammer, in der Mileis Partei nur 38 von 257 Sitzen innehat, Ende der Vorwoche das gigantische Regelwerk in seinen Grundzügen bereits angenommen. Ab Dienstag sollten die 386 Regeländerungen dann abgesegnet werden. Doch nachdem bereits acht der ersten 20 Paragrafen durchgefallen waren, zog Milei in Israel die Notbremse, beschimpfte via „X“ all jene, die ihm keine Sondervollmachten ausstellen wollten, als „Vaterlandsverräter“ und stellte eine ganze Liste mit den unbotsamen Abgeordneten via "X" ins Internet an einen virtuellen Pranger.

Während Leitartikler das als Rückschlag deuteten, ist keineswegs sicher, dass Milei das auch so sieht. In seiner anarcho-liberalen Geisteswelt verdeutlicht das Trauerspiel im Parlament genau das, was er predigt: Der Staat, er taugt nichts.

Gleichzeitig aber mühte sich Finanzminister Luis Caputo um Schadensbegrenzung und erklärte, dass das Malheur im Kongress den Konsolidierungskurs nicht gefährde. Die Regierung will in diesem Jahr 5% des Bruttoinlandsproduktes einsparen. Das hat Milei dem Internationalen Währungsfonds ebenso fest zugesagt wie die Akkumulation von 10 Mrd. Dollar Währungsreserven. Der Fall des Mega-Gesetzes brächte allenfalls 0,8% des BIP in Gefahr, rechnete der Finanzminister vor. Aber diese werde er sich anderweitig besorgen. Wohl hauptsächlich aus den Transfers an die 24 Provinzen, die zuletzt den öffentlichen Sektor vergrößert hatten – via Sonderzuweisungen aus der Notenpresse. Mehrere Gouverneure hatten dem Präsidenten die Zustimmung „ihrer“ Abgeordneten zugesagt, das Versprechen aber gebrochen.

Das ist weitaus mehr als Polit-Theater. Milei braucht Bösewichte für seinen Plan, um ohne politische Mehrheiten ein schwer angeschlagenes Land neu aufzustellen. Das dürfte nur gelingen, wenn die Propaganda eine Bevölkerung bei Laune hält, die unter einer Rezession ebenso leidet wie unter einer brutalen Inflation. Die Gehälter halten da nicht mit und die Renten erst recht nicht. Allein im Dezember legten die Preise um 25,2% zu, für Januar erwartet Luis Caputo weitere 20%. Das liege, so der Finanzminister, aber um 10% unter seiner ursprünglichen Erwartung, und dieser Trend werde sich in den Folgemonaten fortsetzen. Andere sind da nicht so optimistisch, denn Treibstoffe, Strom, Gas und der Nahverkehr werden ab März deutlich teurer.

Bis dahin wird aber auch die Rezession durchwirken. Der IWF erwartet, dass Argentiniens Wirtschaft um 2,4% schrumpft und ist damit noch wesentlich optimistischer als argentinische Ökonomen. Entscheidend dürfte werden, wie schnell die Regierung – eine weitere Vorgabe des IWF – die seit 2019 geltenden Währungskontrollen aufgeben kann. Obwohl Milei in seinen wenigen Interviews behauptete, die Zentralbank sei bald in der Lage dazu, rückt ein Blick in die Bilanz auch hier die Sachlage zurecht: Mileis Vorgänger haben enorme Mengen an Schuldscheinen ausgegeben, deren Gesamtwert dreimal der zirkulierenden Geldmenge entspricht. Erst wenn diese Bombe entschärft ist, können die Währungskontrollen fallen.

Bliebe nur die Einführung des Dollar. Das war, nicht zu vergessen, Mileis allergrößtes Wahlversprechen. Will er 2025 bei den Parlamentswahlen seine Macht ausbauen, braucht er den Sieg über Argentiniens ewiges Unwesen. Doch gegen die Inflation im Land gibt es in der Tat nur ein Wundermittel. Und das hat eine grüne Rückseite.  

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