Börsen

Münchner Gettex mischt den Zertifikate­handel auf

Die Münchner Gettex mischt den börslichen Zertifikatehandel auf. Ihr Marktanteil nach Kundenorders ist seit dem Januar von 19% auf etwas mehr als 35% hochgeschnellt.

Münchner Gettex mischt den Zertifikate­handel auf

Von Thomas Spengler, Stuttgart

Die Münchner Börsenplattform Gettex fordert das Stuttgarter Handelssegment Euwax sowie die Börse Frankfurt im börslichen Handel mit verbrieften Derivaten heraus. Durch die schrittweise Aufnahme des Direkthandels von Zertifikaten, bei dem inzwischen die Emittenten Goldman Sachs, HypoVereinsbank Onemarkets und HSBC zugleich die Rolle von Marketmakern übernommen haben, sind die Münchner ein ernst zu nehmender Player geworden. So hat Gettex laut den Zahlen des Deutschen Derivateverbands nach Kundenorders seit Februar 2022 Frankfurt von Platz 2 verdrängt. Stuttgart bleibt mit Euwax zwar Spitzenreiter, spürt aber mit einem Marktanteil von 47,1% den Atem der Münchner im Nacken.

Marktanteile aufgebrochen

Aufgrund unterschiedlicher Teilnehmerstrukturen mögen die Zahlen nur bedingt vergleichbar sein. Außerdem bleibt Stuttgart mit gut 60% die Nummer 1, wenn man das Ganze nach Umsatzvolumina statt nach Kundenorders betrachtet. Auch Frankfurt hält dann mit um die 25% Marktanteil München, das auf rund 12% kommt, auf Abstand. Fest steht aber auch: Nachdem sich die Börse Stuttgart mit ihrem Segment Euwax sowie die Frankfurter Börse Zertifikate AG jahrzehntelang den börslichen Handel mit verbrieften Derivaten wie Optionsscheinen, Knock-outs oder Zertifikaten im Verhältnis von zwei Dritteln zu einem Drittel aufgeteilt hatten, ist diese starre Situation der Marktanteile zugunsten von Gettex aufgebrochen. Hinzu kommt, dass Gettex weiteres Potenzial haben dürfte, sollten mehr als die bisherigen drei Emittenten sich anbinden lassen.

Münchens Börsenchef Robert Ertl führt den Lauf, den Gettex derzeit hat, auf das Ineinandergreifen verschiedener Bausteine zurück. Neben einer großen Bandbreite angeschlossener Handelspartner nennt er vor allem den kostenfreien Handel, „der Gettex quasi zum natürlichen Partner von Neobrokern macht“. Tatsächlich fallen auf Gettex seit der Gründung 2015 weder Maklercourtage noch Börsenentgelt an, was erst Neobroker wie Scalable, Gratisbroker und Finanzen Net Zero auf den Plan gerufen hat. Mit dem entgeltfreien Handel sei Gettex für Online-Broker und die stark wachsenden Neobroker ein interessanter Handelsplatz, sagt Philipp Möbius vom Zertifikateemittenten Goldman Sachs. Goldman ist neben HVB Onemarkets und HSBC Deutschland der dritte Emittent, der über Gettex verbriefte Derivate wie Optionsscheine oder Bonuszertifikate anbietet – insgesamt 350000 Gattungen. Den Emittenten kommt dabei zupass, dass sie auf Gettex wie im außerbörslichen Direkthandel als Marketmaker agieren können, aber dennoch das Qualitätssiegel einer öffentlich-rechtlichen Börse tragen. Wie Ertl versichert, zahlt die Börse München keine Rückvergütungen an die Neobroker (Payment for Orderflow), wie mitunter kolportiert worden ist. Doch weil auch die Börse keine altruistische Veranstaltung ist, erhebt sie ein Entgelt für die Nutzung ihrer Systeme, das deutlich unter dem liegen soll, das die Börse für Orderausführungen über ihr „klassisches Handelsmodell“ Max-One erhält.

Um auf Gettex, aber eben auch auf die vergleichbaren Plattformen Lang & Schwarz Exchange (LSX) unter dem Dach der Hamburger Börse und auf die Berliner Tradegate im Aktienhandel eine Antwort zu finden, tüftelt inzwischen auch Stuttgart an einem Modell mit Handel zum Nulltarif. Ein Projekt mit dem Arbeitstitel „Trade Rebel“ zielt dem Vernehmen nach tatsächlich auf eine entgeltfreie Lösung ab, soll aber keinen Bezug zu verbrieften Derivaten haben. Wie zu hören ist, könnte das Ganze Ende des dritten Quartals an den Start gehen – ohne Gebühren, aber eben auch ohne Orderflow Provider (OFP), wie es die Neobroker darstellen. „Für die Handelsplätze, die noch mit keinem Neobroker zusammenarbeiten, ist dieser Zug längst abgefahren“, sagen dazu unisono mehrere Kenner der deutschen Börsenlandschaft. Ohnehin stellt sich für die klassischen Börsen die Frage, wie man ohne OFP denn überhaupt auf mittlere und lange Sicht reüssieren können wird.

Betrachtet man nämlich sämtliche Kriterien für den Erfolg von Gettex oder der LSX, so haben OFPs wohl die entscheidende Schlüsselrolle inne. Entgeltfreien Handel gibt es bei Gettex bereits. Damit wollte man von Anfang an möglichst viel an den außerbörslichen Handel (OTC) verlorenes Terrain wieder zurückzuholen. Und ein Modell, das Emittenten als Marketmaker agieren lässt, gestattet die Frankfurter Börsenordnung bereits seit 2008. Diese Möglichkeiten, die heutzutage Bestandteile der „Neobörsen“ sind, waren also schon längere Zeit vorhanden. Aber erst in Kombination mit den Neobrokern, die, profan ausgedrückt, die Orders herbeischaffen, stellte sich der Erfolg von Gettex oder LSX so richtig ein. Tatsächlich könnte sich hier eine Entwicklung Bahn brechen, die über die Trends im börslichen Handel mit verbrieften Derivaten hinausgeht – und wie es auch die Zuwächse im Aktienhandel der LSX oder von Tradegate längst suggerieren. Vor diesem Hintergrund und angesichts des wachsenden Anteils des OTC-Handels von verbrieften Derivaten droht für Nico Baader, Vorstandschef des Marketmakers Baader Bank, „das klassische Handelsmodell der Parkettbörsen zum Auslaufmodell zu werden“.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.