Generaldebatte

Noch ein Ausnahme­haushalt

Mit Verve hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) den ersten Etat der Ampel verteidigt. 2022 bleibt aber noch ein Ausnahmejahr. Zum Schwur kommt es erst 2023.

Noch ein Ausnahme­haushalt

Kampfeslustig gaben sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) in der Generaldebatte über den ersten Bundeshaushalt der Ampel-Koalition. Beide sind neu in ihrer Rolle. Beide müssen Profil gewinnen. Die politischen Bedingungen sind für den Start von SPD, Grünen und FDP in der Regierung alles andere als leicht. Die Corona-Pandemie wirkt nach. Gestörte Lieferketten, besonders in China, belasten weiterhin die deutsche Wirtschaft. Der Angriff Russlands auf die Ukraine stellt die Bundesregierung vor neue und andere Aufgaben als jene, mit denen sie angetreten ist. Am Plan, Deutschland klimaneutral zu machen, hält Scholz unerschütterlich fest. Dazu gehört auch, möglichst bald unabhängig von russischen Energielieferungen zu werden.

So angriffsbereit sich Merz in der Rolle des Herausforderers im Bundestag zeigte, so wenig ließ Scholz in seiner Replik den Vorwurf mangelnder Entscheidungsfreude und fehlender Handlungsfähigkeit in Sachen Ukraine auf sich sitzen. Besonnenheit in einer Krisenlage ist in der Tat nicht die schlechteste Tugend für den Regierungschef. Die Kritik von Scholz an CDU/CSU, die Oppositionsfraktion liefere selbst keine eigenen Vorschläge, ist allerdings müßig. Regieren muss die Regierung. Es ist das Privileg der Opposition zu kritisieren, ohne sich für Entscheidungen verantworten zu müssen. Regierungschef und Oppositionsführer: Beide Seiten üben noch ihre neuen Rollen.

Der Bundeshaushalt ist auch das Abbild der politischen Verfassung der Regierung. Dabei ist 2022 ein weiteres Ausnahmejahr, an dem sich wenig über die versprochene Rückkehr zu soliden Finanzen ablesen lässt. Die Schuldenbremse bleibt im dritten Jahr seit Pandemiebeginn ausgesetzt. Scholz hatte – noch als Finanzminister der schwarz-roten Regierung – für 2022 eine Neuverschuldung von fast 100 Mrd. Euro bei Ausgaben von 420 Mrd. Euro geplant. Der vom Haushaltsauschuss des Bundestags gebilligte Etat seines Nachfolgers Christian Lindner (FDP) sieht nun eine Nettokreditaufnahme der Ampel von 139 Mrd. Euro bei Ausgaben von fast 500 Mrd. Euro vor.

Zur Orientierung: 2019, als die Welt noch in Ordnung schien, hatte die mittelfristige Finanzplanung in diesem Jahr Ausgaben von 376 Mrd. Euro vorgesehen. Zur weiteren Orientierung: Würde die Schuldenbremse 2022 gelten, dürfte der Bund sich lediglich mit 23 Mrd. Euro regulär verschulden. Das kreditfinanzierte „Sondervermögen Bundeswehr“ von 100 Mrd. Euro, mit dem die deutschen Streitkräfte in den nächsten fünf Jahren auf einen ordentlichen Ausrüstungsstand gebracht werden sollen, gesellt sich zu den Schulden noch hinzu. Ebenso ist es mit den Kreditermächtigungen von 60 Mrd. Euro, die die Ampel noch 2021 am Haushalt vorbei in den Energie- und Klimafonds gedrückt hat, um die Energiewende zu finanzieren.

Dieses Jahr schöpft die Ampel noch aus dem Vollen. Die Schuldenbremse bleibt ausgesetzt, obwohl die Pandemie ihren größten Schrecken verloren hat. Zum Schwur kommt es erst 2023. Dann soll die Schuldenbremse wieder ziehen. Lindner und Scholz haben es beide bekräftigt. Die Ampel-Koalition hat jedoch eine ganze Reihe ihrer Vorhaben nicht durchfinanziert. Dazu zählen Kindergrundsicherung und Bürgergeld. Auch die Reform der gesetzlichen Rentenversicherung mit ei­nem Element der Kapitaldeckung von 10 Mrd. Euro steht aus. Das größte ungelöste Problem ist allerdings die hohe Inflation. Darin liegt für die Ampel auch das große politische Risiko der Unzufriedenheit von Wählern mit ihrer Regierung.

Bislang versucht die Ampel, den Preisanstieg für die Bürger aus Steuergeldern zu kompensieren. Mehr als 30 Mrd. Euro gibt sie für Entlastungen aus. Solche Schritte werden 2023 unter der Schuldenbremse schwierig werden, auch wenn die Inflation mehr Steuern in die Staatskasse spülen wird. Die Lage verbietet auch eine expansive Finanzpolitik mit weiteren Subventionen und Konsumhilfen. Diese würde die Inflation anheizen. Die befürchtete Lohn-Preis-Spirale will Scholz in einer „konzertierten Aktion“ mit Gewerkschaften und Arbeitgebern verhindern. Mit Eingriffen ins System wird sich das Problem aber nicht lösen lassen. Bei gedämpftem Lohnanstieg trägt vor allem der Arbeitnehmer die Last. Die Ampel steht zudem vor der Aufgabe, höhere Steuern durch die inflationsbedingte kalte Progression bei der Einkommensteuer zurückzugeben. Lindner will dies in der Ampel durchsetzen. Je höher Preissteigerung und Lohnabschlüsse sind, um­so teurer wird es für den Staat. Die Finanzplanung der Ampel trägt noch viele Fragezeichen.

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