LeitartikelBank of England

Selbstkritik? Fehlanzeige

Seit der Minikrise am britischen Staatsanleihenmarkt im vergangenen Herbst traut man sich in Westminster nicht mehr, Kritik an der Bank of England zu äußern. Grund dafür gibt es genug. Man muss nur an die zweistellige Teuerungsrate denken. Die Notenbank weiter im eigenen Saft kochen zu lassen, wird nichts Gutes hervorbringen.

Selbstkritik? Fehlanzeige

Bank of England

Selbstkritik? Fehlanzeige

Die Kritik an der Bank of England ist nahezu verstummt. Damit fehlt jeder Anreiz zur Selbstkritik, egal was schiefgeht.

Von Andreas Hippin

Seit der Minikrise am britischen Staatsanleihenmarkt im vergangenen Herbst genießt die Bank of England Narrenfreiheit. Zweistellige Inflation hin oder her, Kritik wird wenig laut. In den USA spürt die Federal Reserve bereits bei einer um die Hälfte niedrigeren Teuerungsrate erheblichen Gegenwind. In der Eurozone herrscht ohnehin stets Vielstimmigkeit. Doch seit die glücklose Liz Truss und ihr Schatzkanzler Kwasi Kwarteng ihren Kampf gegen die Ministerial- und Finanzbürokratie verloren haben, wagt es keiner mehr, das in der Zentralbank vorherrschende Gruppendenken in Frage zu stellen. Dabei wäre ein bisschen mehr Diversität dringend nötig. Das gilt für die globale Kaste der Notenbanker insgesamt, die sich eher gegenseitig bestärkt, als in Frage zu stellen. Das neue Mitglied des geldpolitischen Komitees der Notenbank, Megan Greene, wird zur Vielfalt nicht viel beitragen, mag sie auch eine noch so verdiente Ökonomin sein. Denn sie hat die gleichen Schulen besucht, für ähnliche Firmen und Institutionen gearbeitet und vergleichbare Dinge gesagt und geschrieben wie alle anderen.

Unter der Führung von Andrew Bailey sind ohnehin keine großen Veränderungen zu erwarten. Schließlich wurde ihm die Position übertragen, weil man einen Langweiler an der Spitze der Notenbank brauchte, um der Welt zu signalisieren, dass man in Großbritannien trotz Brexit alles so belassen will, wie es ist. An der Spitze der Finanzaufsicht FCA hatte Bailey bereits alle größeren Skandale verschnarcht, die sich während seiner Amtszeit zutrugen. An der Spitze der Bank of England ließ er zu, dass auch dann noch in großen Mengen Geld gedruckt wurde, als längst klar war, dass die Pandemie das Land nicht in den Abgrund stürzen würde. Der ehemalige Chefvolkswirt Andy Haldane verglich die britische Wirtschaft damals mit einer zusammengedrückten Feder. Enorme Mengen finanzieller Energie warteten ihm zufolge darauf freigesetzt zu werden. Aus heutiger Sicht lag er völlig richtig. Doch das entsprach nicht dem Credo der Mehrheit. Haldane ging dann lieber. Die Mehrheit schloss sich lieber dem Chor von Notenbankern an, der gebetsmühlenhaft wiederholte, dass es sich bei der in die Höhe schießenden Inflation um ein vorübergehendes Phänomen handele. Dabei wollte das zuvor geschaffene viele Geld einfach nur ausgegeben werden. Es stand ihm aber kein entsprechendes Angebot gegenüber. Als sich die britische Notenbank schließlich ein Herz fasste und damit begann, den Leitzins zu erhöhen, war es zu spät. Die Zinsschritte waren zu zaghaft, die Kommunikation verheerend. Doch der russische Angriff auf die Ukraine bot schließlich die Möglichkeit, alle Schuld an der Inflation auf Wladimir Putin zu schieben. Dabei ging sie bei weitem nicht nur auf den rasanten Anstieg der Energiepreise zurück.

Eine kritische Reflexion der eigenen Rolle ist nicht zu erkennen. Man braucht nicht darauf zu hoffen, dass die britischen Notenbanker Fehler zugeben werden. Sie geben lieber nutzlose Ratschläge. Die Arbeitnehmer sollten sich mit ihren Lohnforderungen zurückhalten, empfahl Bailey im Februar vergangenen Jahres. Wer selbst 575.000 Pfund pro Jahr für seine Dienste bezieht, braucht vielleicht keinen vollen Inflationsausgleich, um sich mit dem Lebensnotwendigsten versorgen zu können. All denjenigen Verzicht nahezulegen, deren Einkaufswagen leerer wird, zeugt jedoch von wenig Bodenhaftung. Ähnliche Aufmerksamkeit wurde seiner jüngsten Mahnung an die Privatwirtschaft zuteil, vor Preiserhöhungen daran zu denken, dass die Notenbank mit einem scharfen Rückgang der Teuerung noch im laufenden Jahr rechne. Als hätte man sich jemals auf die Prognosen der Zentralbankökonomen verlassen können! Doch Haldanes Nachfolger Huw Pill schoss den Vogel ab. Der Goldman-Sachs-Alumnus riet den Briten, doch endlich zu akzeptieren, dass sie ärmer werden. Das erinnerte an das Marie Antoinette zugeschriebene Zitat: Sollen sie doch Kuchen essen.

Das Problem der Bank of England ist nicht, dass Politiker ihr die Unabhängigkeit nehmen wollen, auch wenn Bailey und andere gerne davor warnen. Das Problem der Notenbank ist, dass in Westminster niemand mehr wagt, sie zu kritisieren. Dabei fehlt es ihr an Ideen, an kreativem Denken. Auch auf künftige Herausforderungen wird sie so bestimmt keine Antworten finden.

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