Taiwan-Frage

Pekings Souveränität geht flöten

Chinas Regierung erweist sich als wenig souverän – nicht nur im Umgang mit Taiwan, sondern auch im Steuern der Wirtschaft.

Pekings Souveränität geht flöten

Chinas Staatsführung wertet den Taiwan-Besuch der US-Politikerin Nancy Pelosi als eine Verletzung der nationalen Souveränität und reagiert mit Schnappatmung und militärischen Drohgesten. Im Raum stehen weitere „Strafmaßnahmen“ gegen Taiwan, die USA und alle anderen Länder, die künftig auf die Idee kommen sollten, politische Delegationen auf die unabhängig regierte Insel zu schicken. China sieht die hochkomplexe Taiwan-Frage seit jeher als eine rein interne Angelegenheit an, bei der sich jegliche ausländische Einmischung verbietet. Dazu rechnet man jedwede Form der politischen Kontaktaufnahme mit dem zu einer Vorzeige­demokratie gereiften Taiwan.

In diesem Jahr ist die interne Angelegenheit zu einem geopolitischen Schockthema ersten Ranges und auch dem größten Reibungspunkt mit den USA avanciert, also voll externalisiert worden. Damit färbt Pekings Gebaren im Kreis der Ein-China-Großfamilie stärker denn je auf die außenpolitischen und auch wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Rest der Welt ab und vergiftet das Klima. Xi Jinping, der in den Anfangsjahren seiner Präsidentschaft als „Nice Guy“ und Davos-Redner durch die Welt tingelte, um für Multilateralismus und Chinas Friedensverantwortung zu werben, ist nun mit seinem wahren Gesicht im Club mit Russland für die neue Autokraten-Weltordnung als Gegenentwurf zur „hässlichen westlichen Demokratie“ verantwortlich.

Für den Staats- und Parteiführer neigt sich die eigentlich vorgesehene Amtszeit von zweimal fünf Jahren dem Ende entgegen. Die Chinas imposanten Wirtschaftsaufschwung der letzten 30 Jahre begleitende Erfolgsformel der spitzenpolitischen Runderneuerung im Zehn-Jahres-Takt soll nicht mehr gelten. Mit wachsender Machtfülle ist es Xi gelungen, die eigene Person zum Governance-Prinzip zu machen. Auf dem großen Parteikongress Anfang November soll er für fünf weitere Jahre mit Option auf lebenslange Regentschaft bestellt werden.

Im undurchsichtigen chinesischen Machtapparat gibt es im Hintergrund eine wichtige Instanz in Form der Parteiälteren, die vormals höchste Ämter bekleidet hatten, sowie eine Art Erbengemeinschaft der einflussreichsten Familien aus der kommunistischen Frühzeit. Sie haben in der Machtfolge ein letztes Wörtchen mitzureden und müssen Xi nun das rundum positive Attest ausstellen, um ihn mit gutem Gewissen in die Fußstapfen des Volksrepublikgründers Mao Zedong treten zu lassen. Einmal im Jahr tritt die Parteielite im nahe Peking gelegenen Küstenort Beidahe zu einer mehrtägigen Klausurtagung zusammen, um allerwichtigste Dinge im nach außen informellen Rahmen einer Sommerfrische zu verhandeln. Die Beidahe-Konferenz steht jetzt an und bietet eine zusätzliche Erklärung für Pekings hysterische Reaktion auf Nancy Pelosis Taiwan-Reise.

Allein vom Timing her hat Pelosi geradezu in ein Hornissennest gestochen. Xi konnte unmöglich das Risiko eingehen, mit einem echten militärischen Konflikt, der die USA einschließt, zur Abschlussprüfung nach Beidahe zu reisen. Genauso wenig konnte er Schwäche zeigen und die Taiwan-Visite kleinreden. Hätte Pelosi nach den massiven anfänglichen Drohungen und dem Wunsch des US-Präsidenten Joe Biden folgend abgedreht, wäre dies als triumphaler politischer Sieg Chinas über die USA gefeiert worden. Der Weg zum November-Kongress hätte sich als Spaziergang dargestellt. Niemand weiß, in welcher Atmosphäre die Beidahe-Klausur nun tatsächlich abläuft, aber für triumphale Stimmung besteht kein Anlass.

In der chinesischen Bevölkerung grassiert eine so noch nie dagewesene Unsicherheit, ob Chinas wirtschaftlicher und politischer Aufstieg unter Xi fortgeschrieben werden kann oder an ihm zerbricht. Dieses Jahr hat sich eine Fehlentwicklung an die andere gereiht. Begonnen hat es im Februar mit dem Missbrauch der Kulisse der Olympischen Winterspiele in Peking für den großen Schulterschluss zwischen Xi und Wladimir Putin, dem zwei Wochen später der seitdem von China voll unterstützte russische Angriffskrieg in der Ukraine folgte. Im Frühjahr kam der brutale Lockdown in Schanghai mit angegliedertem Wirtschaftsschock. Die konjunkturellen Geschicke Chinas sind nun der von Xi verantworteten Nulltoleranzpolitik anheimgestellt und erzeugen in Verbindung mit einer noch lange nicht ausgestandenen Immobilienfinanzierungskrise das mieseste Wirtschaftsklima seit Jahrzehnten. Nun kommt mit dem Handling des Taiwan-Konflikts eine diplomatische Krise mit ungewissem Ausgang hinzu, die China wenig souverän wirken lässt.(Börsen-Zeitung, 5.8.2022)

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