Wertschöpfungsketten

Revolutionäres Erfolgs-Abo

Immer mehr Firmen bauen mit Hilfe von Abo-Lösungen neue Geschäftsmodelle auf. Die IT-Industrie hat vorgemacht, wie es geht. Mit der Verlagerung der Rechenleistung in die Cloud wird den Kunden ein Software-Abo verkauft.

Revolutionäres Erfolgs-Abo

Software-as-a-Service Model ist ein gewöhnungsbedürftiger Anglizismus. Annual Recurring Revenue kommt auch nicht sympathischer daher. Beide Begriffe sollte man sich allerdings merken, sofern sie noch nicht zum Sprachschatz gehören. Denn sie versuchen in Worte zu fassen, dass manche Unternehmen ihre auf- und abschwellenden Erlöse in einen jährlich gleichbleibenden Strom ummünzen wollen. Dies ist viel mehr als ein Controlling-Kniff. Firmen bauen mit Hilfe von Abo-Lösungen neue Geschäftsmodelle auf. Damit nicht genug: Anschließend werden die Riesen der jeweiligen Branchen versuchen, größere Teile der Wertschöpfungsketten an sich zu reißen.

Das Konzept wiederkehrender Umsätze ist keineswegs neu. Die IT-Industrie hat vorgemacht, wie es geht. Mit der Verlagerung der Rechenleistung in die Cloud wird den Kunden ein Software-Abo verkauft. Derartige Subskriptionsmodelle sind für Salesforce oder SAP das Ziel allen Strebens. Nun zieht die Industrie nach. Nachdem einige Firmen auf Irrwegen gelandet sind, weil sie den Kunden keine Wahlfreiheit ließen, stellt der Branchengigant Siemens die Programm-Palette seines Kerngeschäfts Digital Industries auf Software-as-a-Service um, soweit die Kunden wollen. Der Markt sei reif, heißt es.

Der Vorstoß im Geschäft mit der Ausrüstung von Fabrikationsanlagen ist ein Wagnis. Ob die Klientel bereit für diese Revolution ist, ist so sicher nicht. Außerdem sinken anfangs Umsatz und Rendite, weil die Erlöse auf mehrere Jahre verteilt werden. Aber als Digitalisierungs-Taktgeber kann sich der Konzern diesen Schritt leisten. Der Lohn ist verlockend: Das Software-Geschäft wird besser einschätzbar, schwankt in Krisen weniger und kann in einer Cloud-Umgebung kostengünstig skaliert werden. Der Kapitalmarkt wird Siemens ein höheres Multiple zugestehen. Außerdem werden so anspruchsvolle Siemens-Digitalisierungslösungen für jene kleineren Unternehmen erschwinglich, die bisher mangels IT-Infrastruktur selten zu den umfassenden Siemens-Lösungen griffen. Der Konzern könnte Marktanteilsgewinne melden.

So weit, so anspruchsvoll – und doch so gewöhnlich. Spannend wird das Konzept wiederkehrender Umsätze deswegen, weil Siemens es mit einer zweiten Umwälzung verbindet. Während in der ersten Welle der Digitalisierung reine Software-Anbieter reüssierten, steht nun die enge Verzahnung von Hard- und Software an. Wem diese Vereinigung von realer und digitaler Welt in einem Produkt gelingt, der erreicht ein Niveau der Unangreifbarkeit, das hohe Margen auf Dauer sichert. Diese Resilienz ist möglich, weil Service oder Beratung ersetzbar sein mögen, aber eine integrierte Lösung für den Kunden ist es nicht mehr – so können Google&Co. vor der Tür gehalten werden. Dies ist ein Weg, den jeder traditionelle Industriekonzern anpeilen kann, sofern seine Hardware-Produkte nicht von einer disruptiven Technologieänderung hinweggefegt werden.

Wenn es geschafft ist, den Kunden mit einer Hardware-Software-Kombination an sich zu binden, folgt der nächste Schritt. Warum dem Kunden noch ein Windrad verkaufen? Nun wird eine gewisse Verfügbarkeit des Windrads garantiert, ein schon beobachtbares Verfahren. Anschließend folgt die Königsdisziplin: Statt Windrädern wird eine Strommenge angeboten. Der Käufer ist nicht mehr ein Windparkbetreiber, sondern ein Makler oder sogar der Stromverbraucher.

Dieses Geschäftsmodell kann ein Infrastrukturanbieter wie Siemens quer durch alle Branchen denken: Statt Zügen bucht der Kunde in einem Abo-Modell den Transport einer gewissen Zahl von Fahrgästen in seinem Streckennetz, der Gesundheitsversorger erwirbt ein definiertes Wohlergehen aller Bewohner im Wirkungsbereich seiner Krankenhäuser oder der Autohersteller eine Mindestperformance seiner Fabrik. Dies verändert Wertschöpfungsketten komplett. Teils werden Kettenglieder entbehrlich: Ein Finanzinvestor wird nicht mehr benötigt, um ein Windrad zu betreiben. Teils werden Spezialisten innerhalb der Wertschöpfung zu reinen Ausführenden degradiert.

Diese Ausweitung des Abo-Modells hat eine Schattenseite: Der Konsolidierer der Wertschöpfungskette holt sich neue Risiken in sein Portfolio. Daher muss er seine Prozesse extrem gut im Griff haben. Zudem werden die heutigen Käufer von Infrastruktur argwöhnisch beobachten, ob der Konsolidierer sie ebenfalls wegzurationalisieren versucht. Trotzdem: Auch im Konsumentengeschäft sind unentbehrbar scheinende Intermediäre verschwunden. Ähnliche Umwälzungen stehen im Kapitalgütersektor an.