Im BlickfeldInsolvenzzahlen steigen

Start-ups im Krisenmodus

Restrukturierer erreichen vermehrt Hilferufe aus der Start-up-Szene, die Insolvenzzahlen steigen deutlich. Beim Versuch eines Neustarts stehen die jungen Unternehmen oft vor ganz anderen Herausforderungen als größere Firmen.

Start-ups im Krisenmodus

Start-ups im Krisenmodus

Restrukturierer erreichen vermehrt Hilferufe aus der Start-up-Szene, die Insolvenzzahlen steigen deutlich. Beim Versuch eines Neustarts stehen die jungen Unternehmen oft vor ganz anderen Herausforderungen als größere Firmen.

Von Sabine Reifenberger, Frankfurt

Hinter nüchternen Sätzen verbergen sich mitunter Dramen. „Die Deutsche Bahn finanziert als Mehrheitseigner Clevershuttle nicht weiter“, überschrieb der Fahrdienstleister eine Mitteilung im Mai. Die Bahn war seit 2018 Mehrheitseigner des 2014 gegründeten Anbieters von Sammeltaxis und hielt zuletzt 86% der Anteile. Was so nüchtern kommuniziert wurde, bedeutete für Clevershuttle den Gang in die Insolvenz – offenbar eine unerwartete Entwicklung. Man habe die vereinbarten wirtschaftlichen Ziele erreicht und sogar übertroffen, betonte Co-Gründer Bruno Ginnuth in einem Statement. „Umso mehr überrascht die Entscheidung, die Partnerschaft zu beenden.“

Auch Fraugster, ein Entwickler von Anti-Betrugs-Software, rutschte in diesem Jahr in die Pleite, nachdem eine Finanzierungsrunde gescheitert war. Seit der Gründung 2014 hatten sich namhafte Investoren wie Commerzventures und Earlybird beteiligt, 2018 sicherte sich Fraugster im Rahmen der Series-B-Finanzierung 14 Mill. Dollar. Franka Emika, angetreten um das „Apple der Robotik“ zu werden, musste im August den Gang zum Insolvenzgericht antreten, nachdem eine Finanzierungsrunde wegen Streitigkeiten im Gesellschafterkreis gescheitert war.

Insolvenzzahlen steigen

Die Unternehmen sind keine Einzelfälle. Die Datenbank Startupdetector zählt 2023 bereits nach drei Quartalen mehr als 230 Start-up-Insolvenzen und damit mehr als in den gesamten Jahr 2022 und 2021.
Die Start-up-Krise trifft nicht nur Marktneulinge, sondern auch etablierte Spieler. „Seit einigen Monaten sieht man vermehrt Insolvenzen von Start-ups, die in der Vergangenheit in ihren Finanzierungsrunden teils bis zu dreistellige Millionenbeträge erhalten haben“, sagt Matthias Hofmann, Insolvenzverwalter und Partner der Kanzlei Pohlmann Hofmann und Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Restrukturierung TMA Deutschland.

Viele Jungunternehmen leiden darunter, dass Investoren ihr Engagement stark zurückgefahren haben. Laut dem Start-up-Barometer der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY hat sich die Risikokapitalsumme im ersten Halbjahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr nahezu halbiert. Demnach sammelten die Start-ups gerade noch 3,1 Mrd. Euro ein.

Viel Cash, wenig Profit

Wenn das Geld bei Investoren nicht mehr so locker sitzt, wird es schnell kritisch – auch wenn die Bilanzen der jungen Unternehmen oft auf den ersten Blick komfortabel scheinen. „Manche Start-ups haben zweistellige Millionenbeträge auf dem Konto, sind weitgehend schuldenfrei, und sind dennoch insolvenzbedroht“, sagt Joachim Ponseck, Partner im Bereich Restructuring & Insolvency bei der Kanzlei Baker McKenzie. Dazu zählten auch Jungunternehmen, die bereits seit einigen Jahren am Markt sind und nennenswerte Umsätze verbuchen.

Denn auch nach Jahren sind viele Start-ups nicht profitabel. „Wenn ein Unternehmen 15 Millionen Euro auf dem Konto hat, aber monatlich 2 Millionen Euro verbrennt, dann wird es absehbar eng.“ Geschäftsführer müssten aufpassen, im Zweifelsfall rechtzeitig die Reißleine zu ziehen, sonst droht der Vorwurf der Insolvenzverschleppung.

Was machen die Gesellschafter?

Während bei großen Unternehmen die Mehrheit der Insolvenzen auf Zahlungsunfähigkeit zurückgeht, weil sie mindestens 10% der fälligen Rechnungen nicht bezahlen können, spielt bei Start-ups die Überschuldung als Insolvenzgrund eine große Rolle. Sie liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die Verbindlichkeiten nicht mehr deckt und zugleich die Zahlungsfähigkeit im Rahmen der sogenannten Fortbestehensprognose mittelfristig nicht gesichert ist. „Wenn Annahmen der Finanzplanung nicht eintreten oder größere Investitionen anstehen, die nicht durch eine neue Finanzierungsrunde gedeckt sind, kann die Fortbestehensprognose eines Start-ups sehr schnell kippen“, erklärt Hofmann.

Ende 2022 war der Prognosezeitraum für die Überschuldung vorübergehend auf vier Monate verkürzt worden, da Unternehmen wegen der stark gestiegenen Energiepreise nur wenig Sichtbarkeit hatten. Ab Januar 2024 müssen sie für Prognosen wieder zwölf Monate ansetzen. Einige Berater halten ihre Mandanten schon jetzt zu Planungen über den Zwölfmonatszeitraum an.

Die Fortführungsprognose hängt gerade bei Start-ups oft davon ab, ob Gesellschafter frisches Kapital bereitstellen oder nicht. Doch deren Zusagen sind nicht immer juristisch belastbar. Der wohl prominenteste Streitfall ist die Airline Air Berlin: Sie rutschte in die Pleite, nachdem Etihad trotz Patronatserklärung die finanzielle Unterstützung einstellte.

Um Haftungsrisiken bestmöglich zu vermeiden, rät Ponseck den Verantwortlichen dazu, Finanzierungszusagen immer schriftlich zu dokumentieren, idealerweise in einer „harten Patronatserklärung“ oder wenigstens in einem von allen Beteiligten unterzeichneten Gesprächsprotokoll. „Dann hat der Geschäftsführer im Ernstfall etwas in der Hand, worauf er sich berufen kann.“ Ob ein Richter sich damit zufriedengibt, sei allerdings nicht garantiert, räumt er ein.

Streitpunkt Bewertung

Beim Einwerben der überlebenswichtigen Liquidität sind derzeit die Bewertungen der große Knackpunkt. „Neue Investoren sind grundsätzlich schon noch bereit, in Start-ups zu investieren – allerdings zu ganz anderen Bewertungen als die Altgesellschafter“, beobachtet Ponseck. Für die Bewertung von Start-ups sind in aller Regel künftige Cashflows entscheidend – und diese müssen mit einem deutlich höheren Zinssatz abgezinst werden als noch vor einem oder zwei Jahren. „Der ‚net present value‘ sinkt dadurch massiv. Die Bewertungen der Vergangenheit sind für viele Start-ups dadurch nicht mehr zu erreichen.“

Venture-Capital-Investoren sind zurückhaltender als in den vergangenen Jahren.

Matthias Hofmann, Kanzlei Pohlmann Hofmann

Hinzu kommt: Einige Investoren hatten in den vergangenen Jahren hohen Anlagedruck und haben großzügig investiert. Das hat sich geändert: „Es gibt mittlerweile auch anderswo Rendite auf eingesetztes Kapital. Venture-Capital-Investoren sind zurückhaltender als in den vergangenen Jahren. Das erschwert Finanzierungsrunden“, beobachtet Insolvenzverwalter Hofmann.

Für Restrukturierungsanwalt Ponseck ist im Krisenfall meist ein Altgesellschafter der erste Ansprechpartner. Wenn von dort keine Liquidität mehr kommt, bleibe oft nur ein Verkauf, um die Insolvenz noch abzuwenden. Die Bedingungen sind nicht optimal: „Die Interessenten wissen, dass ihr Gegenüber einen enormen Verkaufsdruck hat.“ Mögliche Käufer seien direkte Wettbewerber, wie beim Lieferdienst Getir, der Ende 2022 den defizitären Konkurrenten Gorillas geschluckt hat.

Die Altgesellschafter kommen bei einer Transaktion kurz vor der Insolvenz bestenfalls mit einem blauen Auge davon. Den Großteil des Investments müssen sie abschreiben – nachdem sie über Jahre viel Zeit und Herzblut in das junge Unternehmen gesteckt haben. „Das sind oft sehr emotionale Gespräche“, sagt Ponseck.

Die Interessenten wissen, dass ihr Gegenüber einen enormen Verkaufsdruck hat.

Joachim Ponseck, Baker McKenzie

Kriselnde Start-ups sind am M&A-Markt aus mehreren Gründen schwer zu vermitteln. „Es braucht schon Überzeugungsarbeit, um einen Investor für ein Unternehmen zu finden, in das schon zwei- oder dreistellige Millionenbeträge geflossen sind, das trotzdem noch nicht den Break-even erreicht hat, und dem die Altgesellschafter kein Geld mehr geben“, beschreibt Insolvenzverwalter Hofmann die Aufgabe.

Unter Zeitdruck

Wenn nach dem Insolvenzantrag ein vorläufiger Insolvenzverwalter das Ruder übernommen hat, steigt der Zeitdruck. Für maximal drei Monate kann ein Start-up im vorläufigen Insolvenzverfahren die Kosten für Löhne und Gehälter über das Insolvenzgeld decken. Damit entfällt vorübergehend ein großer Kostenblock. Doch mit Eröffnung des Verfahrens muss es alle laufenden Kosten wieder selbst tragen. Während produzierende Unternehmen dies mitunter für einige Wochen bewerkstelligen können, um mit potenziellen Investoren weiterzuverhandeln, stehen Start-ups mit dem Rücken zur Wand. „Einige verbrennen monatlich einen Millionenbetrag“, erklärt Hofmann. Findet sich im vorläufigen Verfahren keine Lösung, bedeutet dies in aller Regel das Aus.

Hinzu kommt eine strukturelle Hürde: Klassischerweise haben Start-ups bei Venture-Capital-Investoren die größten Chancen auf frische Liquidität. Die meisten Venture-Kapitalgeber wollen sich jedoch nur mit einer Minderheit beteiligen. „Das Ziel des Insolvenzverwalters ist aber in der Regel der Komplettverkauf an einen Investor“, erklärt Hofmann. Gelingt dies nicht, können einzelne Assets verkauft werden – etwa Patente oder technologische Entwicklungen. Beim insolventen Kühltechnologieunternehmen Efficient Energy hat Hofmann vor wenigen Wochen die Technologie an Vertiv verkauft.

Retter gesucht

„Im Idealfall findet man ein Unternehmen, das an den Entwicklungen des Start-ups und am Know-how der Beschäftigten interessiert ist und als strategischer Investor den Gesamtbetrieb übernimmt“, sagt er. In der Vergangenheit seien auch andere Start-ups bereits als Retter eingesprungen und hätten Wettbewerber übernommen. „Das setzt aber voraus, dass sie selbst genügend frisches Geld von ihren Investoren bekommen haben, um die höheren Kostenstrukturen dauerhaft zu tragen“, betont Hofmann. Im aktuellen Umfeld dürften viele Start-ups schon genug mit sich selbst zu tun haben.

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