Online-HV

Systemfehler

Die Aktionärsrechte wurden in Pandemiezeiten beschnitten. Das wird im Gesetzentwurf zur virtuellen Hauptversammlung bei allen Bemühungen nicht behoben.

Systemfehler

Die Hauptversammlung ist in der Pandemie in ein neues Zeitalter befördert worden. Mit der Corona-Notgesetzgebung wurde es den Unternehmen ermöglicht, ohne entsprechenden Satzungsbeschluss rein virtuelle Aktionärstreffen durchzuführen. Damit konnten trotz Kontaktbeschränkungen notwendige Hauptversammlungsbeschlüsse gefasst, Dividenden verteilt und Aufsichtsräte gewählt werden. Obwohl die meisten Gesellschaften On­line-Elemente zuvor eher spärlich eingesetzt haben, hat der Sprung ins digitale Format technisch gut funktioniert. Es gab durchweg hohe Präsenzen nicht nur in den Abstimmungen, sondern auch an den Bildschirmen – mancherorts haben mehr Aktionäre gelauscht als vor der Pandemie.

Das Urteil über das virtuelle Format in Notzeiten fällt im Kreis der Investoren dennoch vernichtend aus, denn die Aktionäre hatten eine erhebliche Schwächung ihrer Rechte hinzunehmen. Das Auskunftsrecht war drastisch eingeschränkt, Fragen mussten vor der Online-Hauptversammlung schriftlich eingereicht werden, der überwiegende Teil der Unternehmen ließ keine Nachfragen und Statements zu und ermöglichte schon gar keine Live-Zuschaltung der Anteilseigner über Video oder Chatfunktion. An Interaktion, das zentrale Element von Hauptversammlungen, war damit nicht zu denken.

Selbst im dritten Pandemiejahr zeigen nur wenige Gesellschaften die Bereitschaft, über die gesetzlichen Mindeststandards hinauszugehen. Und wenn, dann oft restriktiv, was die Zahl schriftlicher Nachfragen oder die Länge von Videobotschaften betrifft. Immerhin wächst die Bereitschaft, die Reden von Vorstands- und Aufsichtsratschef einige Tage vor der Hauptversammlung ganz oder in Kernaussagen zu veröffentlichen, damit Investoren in ihren ebenfalls vorab einzureichenden Fragen darauf Bezug nehmen können. Doch das versteht sich von selbst und vermag die Kritik der Aktionäre nicht zu besänftigen.

Mit dem coronabedingt temporär erzwungenen Wechsel ins digitale Zeitalter war der Gesetzgeber aufgerufen, eine Reform auf den Weg zu bringen, um im Fall des Falles nicht wieder mit Ad-hoc-Regularien die Sache am Laufen zu halten. Es geht aber nicht mehr nur um Sondersituationen, viele Unternehmen, die schon lange genervt über ausufernde Hauptversammlungen sind, haben Gefallen am virtuellen Format gefunden, wo sie wie an der Spielkonsole Regie führen und den Ablauf in ihrem Sinne steuern können. Klar war bei aller digitalen Euphorie indes auch, dass die Aktionäre dauerhaft keine Entmachtung hinnehmen würden. Die Ampel-Regierung hatte deshalb im Koalitionsvertrag zugesagt, Aktionärsrechte in der virtuellen Hauptversammlung vollumfänglich gewährleisten zu wollen. Dem kommt der inzwischen präsentierte Gesetzesvorschlag indes nicht nach.

Dem Referentenentwurf ist zugutezuhalten, dass er um einen Kompromiss bemüht ist. Mit dem An­spruch, die Hauptversammlung effizienter zu gestalten, sie auf ihre Kernfunktion zu fokussieren und unsinnige Rituale abzustellen, ist man auf dem richtigen Weg. Die Verpflichtung, Reden der Organvertreter vorher zu veröffentlichen, die Möglichkeit, Aktionärsfragen vorher einzureichen und sie für alle Beteiligten zugänglich zu machen, und die Möglichkeit, Stellungnahmen der Aktionäre schon vor der Hauptversammlung auf der Internetseite zu präsentieren, das alles schafft Transparenz und vermag das Informationsniveau für alle Beteiligten zu steigern. Folgerichtig wäre es mit dieser Zielsetzung indes, dass auch die Antworten schon vorab schriftlich beantwortet und veröffentlicht würden, dann könnte sich der Dialog in der Hauptversammlung auf besonders relevante ungeklärte Themen konzentrieren. Der Gesetzentwurf schreibt dagegen vor, die Antworten in der virtuellen Versammlung zu verlesen, was gerade in diesem Rahmen zu einer harten Geduldsprobe ausarten kann.

Die sinnvolle Qualitätsoffensive scheitert bei allen Bemühungen gleichwohl kläglich daran, in der Online-Hauptversammlung kein Format vorzugeben, das der Generaldebatte in der Präsenzversammlung nahekommt. Zwar sind die Unternehmen gehalten, live Redebeiträge über Videokommunikation zuzulassen. Doch es mutet geradezu absurd an, dass Aktionäre dabei keine Fragen stellen dürfen. Falls es doch einer wagt, müssen sie ignoriert werden –  das Unternehmen darf noch nicht mal freiwillig seinen Anteilseignern den Maulkorb abnehmen. Das ist ein Systemfehler. Es steht außer Frage, dass Investoren das nicht akzeptieren können.

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