LeitartikelStaatsverschuldung

Weniger ist mehr

Der öffentliche Schuldenberg ist nun auch in Großbritannien auf mehr als 100% des Bruttoinlandsprodukts angewachsen. Es gibt einen Weg, ihn abzutragen: Wer nicht sparen will, muss schrumpfen.

Weniger ist mehr

Staatsverschuldung

Weniger ist mehr

Von Andreas Hippin

Großbritanniens Schulden sind größer als das Bruttoinlandsprodukt. Es gibt einen Weg, sie abzutragen.

Großbritannien ist nun auch in die Liga der Länder abgestiegen, deren Schuldenberg größer ist als ihr Bruttoinlandsprodukt. Dazu haben die umfassenden Hilfspakete während der Pandemie ebenso beigetragen wie der Energiepreisdeckel nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Für die Bürger ist das ist vor dem Hintergrund anhaltend hoher Inflation und steigender Zinsen mit schmerzhaften Konsequenzen verbunden. Nach Rechnung der unabhängigen Haushaltswächter vom Office for Budget Responsibility und des Schatzamts wird der Schuldendienst im laufenden Fiskaljahr 116 Mrd. Pfund kosten. Das ist fast das Doppelte der erwarteten Verteidigungsausgaben und fast so viel, wie das Land für Bildung oder Sozialhilfe ausgibt.

Fragt man Politiker, die naturgemäß gewählt werden wollen, ist es nahezu unmöglich, die Ausgaben zurückzufahren. Dabei gibt es eigentlich keinen Grund mehr dafür, dass der Staat für all die Dinge weiterhin bezahlt, für die er nach dem Ausbruch des Sars-CoV-2-Virus die Verantwortung übernommen hat. Doch Großbritannien ist während der Lockdowns kontinentaleuropäischer geworden, sozialdemokratischer. Wer sich daranmachen will, die aufgestockten Transferleistungen wieder auf ein Normalmaß zurückzustutzen, wird sofort als Unmensch gebrandmarkt. Die alte Weisheit von Joseph Alois Schumpeter, dass sich eher ein Hund einen Wurstvorrat anlegt als eine demokratische Regierung eine Budgetreserve, hat offenbar nichts von ihrer Gültigkeit verloren. Vielleicht bekommt man von seinen gewählten Vertretern ja das Versprechen, die Ausgaben nicht mehr ganz so rasant auszuweiten, aber das ist auch schon alles. Lieber würden sie Steuern und Abgaben erhöhen, um Löcher im Haushalt zu stopfen. Aber gemessen am Bruttoinlandsprodukt ist die Steuerbelastung im Vereinigten Königreich bereits so groß wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Weitere Erhöhungen wären für Politiker also, mit Blick auf die eigenen Wahlchancen, kontraproduktiv.

Aber Moment mal, wäre nicht Wachstum eine gute Lösung? Eigentlich eine klassische Tory-Idee: Steuersenkungen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Die glücklose Premierministerin Liz Truss hatte in thatcheristischer Tradition voll auf diesen Kurs gesetzt und Schiffbruch erlitten. Sie hatte nicht erkannt, dass sich der Wind gedreht hat. Die Menschen in Großbritannien erwarten mehr vom Staat als in der Vergangenheit. An seiner Verschlankung haben nur noch wenige Interesse. Truss Gegner fürchteten zudem, dass die von ihr propagierten Steuersenkungen die Inflation noch weiter angefeuert hätten.

Was also tun, wenn man einerseits eine Menge Schulden hat und andererseits nicht sparen will? Man könnte Vermögenswerte verkaufen und künftig "Asset Light" unterwegs sein. Nach all den Geschichten über die Privatisierung von Bahnverkehr und Wasserversorgung in Großbritannien würde man zwar glauben, dass der Großteil der staatlichen Besitztümer bereits versilbert ist. Dem ist aber bei weitem nicht so. Der bei der Website "Conservative Home" für Lokalverwaltungsthemen zuständige Redakteur Harry Phibbs hat eine erstaunlich lange Liste möglicher Verkaufsobjekte zusammengestellt. Darauf findet sich etwa die aus der Colonial Development Corporation hervorgegangene Entwicklungsbank British International Investment, die in diesem Jahr ihr 75. Jubiläum feiert. UK Government Investments verwaltet nach eigenen Angaben mehr als 1 Bill. Pfund für diverse Regierungsstellen, unter anderem eine Beteiligung an der auf die Anreicherung von Uran spezialisierten Urenco. Der Staat ist weiterhin an der schottischen Großbank Natwest beteiligt. Auch der Fernsehsender Channel 4 befindet sich im öffentlichen Besitz. Es ist ganz einfach: Wer nicht sparen will, muss schrumpfen. Das gilt insbesondere für den umfangreichen Land- und Gebäudebesitz der öffentlichen Hand. Ein Gang durch London zeigt, dass weite Flächen ungenutzt bleiben, weil sie sich im Besitz öffentlicher Einrichtungen wie des National Health Service, der Post oder des Nahverkehrsbetreibers TfL befinden. Private Investoren hätten an ihnen sicher Interesse und könnten dort eine Menge Wohnungen bauen. Damit wäre allen Seiten gedient. Aber wer an den Staat glaubt, tut sich schwer loszulassen.

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