Berlin

Zoff um Enteignung

Die Wiederholung der Berliner Wahl berührt auch den Volksentscheid zur Enteignung von Deutsche Wohnen & Co. – obwohl das Bürgervotum Bestand hat.

Zoff um Enteignung

Drei Wochen vor der Wiederholungswahl in Berlin kocht das Thema Enteignung erneut hoch. Die Regierende Bürgermeisterin, Franziska Giffey (SPD), hat sich vor wenigen Tagen in einer Podiumsdiskussion so deutlich wie nie zuvor gegen die Enteignung großer Wohnungsgesellschaften in der Hauptstadt ausgesprochen. „Ich habe einen Eid geleistet, für diese Stadt das Beste zu bewegen und auch Schaden von dieser Stadt abzuwenden“, sagte Giffey. Sie verwies auf ihre Herkunft aus dem Osten des Landes. Dort hätten Enteignungen eine „Dimension“ gehabt. Sie könne es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, sich für Enteignungen einzusetzen, konstatierte Giffey.

Vielleicht ist es der Mut der Verzweiflung, der die SPD-Politikerin und Spitzenkandidatin antreibt. Sie stellt sich damit gegen Teile ihrer eigenen Partei und die Koalitionsvereinbarung mit Grünen und Linken. Die drei Parteien hatten sich geeinigt, eine Expertenkommission einzusetzen, die mögliche rechtssichere Wege einer Vergesellschaftung aufzeigen soll. Bei der Wahl im Herbst 2021 hatte eine Mehrheit von 59,1% für den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ gestimmt.

Dass Giffey keine Freundin der Enteignung ist, war schon vorher klar. Schon vor der Wahl im September 2021 hatte sie in puncto Enteignung öffentlich eine „rote Linie“ gezogen. Giffey hätte die Koalition auch lieber mit der FDP geschmiedet, als das Dreierbündnis mit der Linken neu aufzulegen. In der Wahl lag die SPD aber nur knapp vor den Grünen, die kräftig zugelegt hatten. Letztere favorisierten die Linke für eine Koalition.

Inzwischen sind die Karten neu gemischt: Die vom Berliner Verfassungsgericht für ungültig erklärt Pleiten-, Pech- und Pannenwahl 2021 für Abgeordnetenhaus und Bezirke könnte bei der Wiederholung eine ganz neue Konstellation für Berlin bringen. Die jüngste Umfrage von Infratest Dimap vom Januar sieht die CDU mit 23% vorn, vor Grünen mit 21% und SPD mit 18%. Im Dezember lagen bei Insa CDU, SPD und Grüne (21/21/20%) quasi gleichauf. Linke und AfD werden auf 11%, die FDP auf 6% taxiert.

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Juristisch korrekt, aber dennoch erstaunlich ist es, dass beim ganzen Wahl-Tohuwabohu der Volksentscheid Bestand hat. Vor zahlreichen Wahllokalen in Berlin hatte es mangels ausreichender Wahlzettel Staus gegeben. Manche Wahllokale wurden zeitweise geschlossen, bis Nachschub da war, in anderen wählten die Stimmberechtigten noch nach dem offiziellen Schluss der Wahllokale um 18 Uhr, als schon Hochrechnungen über die Bildschirme flimmerten. Auch beim Auszählen gab es Fehler. Gründe war die Kumulation von Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahl verbunden mit dem Volksentscheid an einem Sonntag, an dem auch noch der Berlin Marathon den Verkehr in der Stadt lahmlegte. Wegen des hohen Gewichts der vielen Wahlzettel konnten sie die Wahlleiter nicht – wie sonst – selbst in die Wahllokale transportieren.

Die Wahlwiederholung verteilt sich nun nicht nur auf verschiedene Termine, sondern könnte auch unterschiedlich ablaufen. Die Wahl zum Abgeordnetenhaus und für die Bezirksversammlungen wird am 12. Februar komplett wiederholt. So haben es die Berliner Abgeordneten entschieden. Der Bundestag will für seinen Teil nur in den Wahlbezirken abstimmen lassen, in denen es Unregelmäßigkeiten gab. Auch diese Variante ist rechtlich möglich. Dagegen läuft allerdings eine Klage, die einen späteren Wiederholungstermin erfordert. Die Abstimmung über den Volksentscheid zur Enteignung war zwar auch von den Unregelmäßigkeiten betroffen, hat aber gleichwohl Bestand. Dagegen hatte niemand fristgerecht Einspruch eingelegt. Wie die neue Berliner Regierung mit dem Ergebnis der Expertenkommission zu möglichen Enteignungswegen umgeht, steht in den Sternen. Die Kommission soll und will ihre Empfehlungen erst im Frühjahr vorlegen – deutlich nach der Wahlwiederholung. Bei Angelegenheiten der politischen Willensbildung ist ein Volksentscheid in Berlin nicht bindend. Entscheiden darf das Volk aber bald wieder. Am 26. März soll über die Frage „Berlin 2030 klimaneutral“ abgestimmt werden.