Im Gespräch: Michael Sasse

„Wir sind die Fankurve der Demokratie“

Der PR-Experte Michael Sasse hat sein „fossiles Energiezeitalter“ als Leiter der Konzernkommunikation von Wintershall Dea beendet. Er will sich weiterhin in einem breiten Bündnis aus Wirtschaft, Sport und Kultur aktiv für Demokratie und Vielfalt engagieren.

„Wir sind die Fankurve der Demokratie“

Im Gespräch: Michael Sasse

"Wir sind die Fankurve der Demokratie"

Der PR-Profi setzt sich nach seiner Zeit bei Wintershall Dea noch intensiver für das nordhessische Bündnis "Offen für Vielfalt" ein

Von Sabine Wadewitz, Kassel

Gegründet von Wintershall Dea, K S und drei weiteren Unternehmen in Nordhessen hat sich das Bündnis "Offen für Vielfalt" über die Jahre zu einer Demokratie-Initiative mit breiter Unterstützung von Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft entwickelt.

Ende Januar hat er sein „fossiles Energiezeitalter“ beendet, wie er es selbst formuliert. Nach 22 Jahren als Leiter der Konzernkommunikation ist Michael Sasse beim Öl-und Gasunternehmen Wintershall Dea ausgeschieden. Der 56-Jährige leidenschaftliche Öffentlichkeitsarbeiter war für drei CEOs im Einsatz, er hat Krisen wie den Libyenkrieg und den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine mit intensiver Medienarbeit begleitet. Am Ende seines persönlichen Energiezeitalters musste er – mit Widerwillen – noch den Verkauf der Wintershall Dea an den britischen Wettbewerber Harbour Energy verbreiten. Sein Ausstieg aus dem Unternehmen war lange vor Bekanntgabe des Deals besiegelt.

Über seine künftigen beruflichen Pläne schweigt sich Sasse noch aus. Fest steht, dass er sich mit noch mehr Einsatz für die Demokratie-Initiative „Offen für Vielfalt – Geschlossen gegen Ausgrenzung“ engagieren will. Auf seinem Linkedin-Eintrag bezeichnet er sich fürs Erste als „Demokrat in Vollzeit“.

Slogan für die Ladentür

Das Bündnis setzt sich in Kassel und Nordhessen seit mehr als fünf Jahren für Vielfalt, Weltoffenheit und gegen jegliche Art von Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit ein. Ins Leben gerufen wurde die Initiative nach den ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz 2018. Mehrere Kasseler Unternehmen wollten damals vor der Landtagswahl in Hessen im Oktober 2018 ein deutliches Zeichen gegen rechts und für Respekt und Rechtsstaatlichkeit setzen. In einer Plakatkampagne rief die Initiative die Beschäftigten der Unternehmen und die Öffentlichkeit dazu auf, zur Wahl zu gehen.

Zum Kreis der fünf Gründer zählten neben Wintershall und K S die Hübner-Gruppe, die Kasseler Sparkasse sowie die Schaltbau Bode Gruppe. Inzwischen sind fast 40 regionale Kooperationspartner an Bord – vom Medizintechnikkonzern B.Braun, über Volkswagen in Baunatal, SMA Solar, Daimler Truck in Kassel bis zur Eishockeymannschaft Kassel Huskies und dem Handballverein MT Melsungen. Weitere Unterstützer kommen aus Kultur und Kirche. Parteien sind nicht involviert. „Wir sind nicht parteipolitisch, wir sind gesellschaftspolitisch – im Sinne einer freiheitlich demokratischen Grundordnung“, umreißt Sasse den Anspruch

Das zum Auftakt der Initiative plakatierte Bekenntnis „Offen für Vielfalt – Geschlossen gegen Ausgrenzung“ sollte die Situation und den Anspruch in den Betrieben mit internationaler Belegschaft abbilden. In dem Kreis wollte man sich gegen Hetze gegen Ausländer stellen und sich für eine offene und diverse Gesellschaft engagieren, beschreibt Sasse die Motivation bei Gründung des Bündnisses. Der Slogan wurde nicht nur plakatiert, sondern als Türanhänger hergestellt und kostenlos verteilt – inzwischen mehr als 30.000 Stück. Und die Schilder tauchen an den erstaunlichsten Orten an den Eingangstüren auf, freut sich Sasse – auch in Bikerclubs und Tropfsteinhöhlen.

Über die Jahre ist „Offen für Vielfalt“ in unterschiedlichsten Projekten und Aktionen bekannt geworden. Sie stellt Infostände auf, schreibt jährlich den Diversitätswettbewerb „Vielfalt-Verstärker“ aus und prämiert lokale Projekte, die Vielfalt fördern. Daneben gibt es die Ausschreibung der „Kommune der Vielfalt“. Seit 2022 ist das Demokratie-Mobil im Einsatz, um Demokratie buchstäblich in Fahrt zu bringen und Aktionen über die Landesgrenzen hinaus – bis in die Hauptstadt Berlin zu ermöglichen. Auf Schulhöfen werden Jugendliche aus der Dönerbude heraus über Demokratie informiert. Weihnachten 2023 hat die Initiative die Ansprache von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Hilfe von KI in zwölf Sprachen übersetzt und in Sozialen Medien verbreitet.

Lübcke-Mord rüttelt auf

Ein Game-Changer war für die Initiative die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) am 2. Juni 2019 – „die ganze Region war sprachlos“, umschreibt es Sasse. Mit der Tat eines Rechtsextremisten an einem amtierenden Politiker sei klar geworden, dass es nicht nur um eine vielfältige und offene Gesellschaft gehe, sondern um die Demokratie als Staatsform. „Vielfalt kann nur funktionieren, wenn die Verfassung nicht angetastet wird“, betont Sasse. Mit diesem Anspruch habe das Bündnis für Vielfalt sein Spektrum erweitert und verstehe sich seitdem als Demokratie-Initiative.

Nach der Ermordung Lübckes entwarf die Initiative den Claim: „Demokratische Werte sind unsterblich“ und plakatierte ihn in Absprache mit der Familie Lübcke auf einem 200 qm großen Transparent an der Fassade des Regierungspräsidiums. Die Kasseler Bürgermeisterin habe „Offen für Vielfalt“ später mal als „Demokratie-Ultras“ bezeichnet, erinnert sich Sasse und bestätigt: „Wir sind die Fankurve der Demokratie – laut und immer da, wenn es darauf ankommt.“

Prominente Unterstützung

Zum Prozessauftakt gegen den Mörder Lübckes am Oberlandesgericht Frankfurt und am Tag der Urteilsverkündung war die Initiative gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern aus Lübckes Heimatort Wolfhagen vor dem Gerichtsgebäude präsent und bezog Position für demokratische Werte. Zum fünften Todestag Lübckes im laufenden Jahr ist eine größere Veranstaltung geplant. In Vorbereitung sind zudem Aktionen zu 75 Jahren Grundgesetz am 23. Mai und zur Europawahl Anfang Juni.

SMA-CEO Jürgen Reinert unterstützt das Bündnis "Offen für Vielfalt" – auch als Redner auf einer Kasseler Demo gegen rechts. Foto: SMA Solar Technology

In Aktion ist das Bündnis „Offen für Vielfalt“ aktuell auch in den Demonstrationen gegen rechts, ausgelöst von Recherchen der gemeinnützigen Plattform Correctiv über „Remigrationspläne“ von AfD-Politikern. In Kassel gab es prominente Unterstützung vom Vorstandsvorsitzenden des Solartechnikunternehmens SMA Solar, Jürgen Reinert. Der CEO ging als Vertreter des Bündnisses Anfang Februar auf einer Demonstration unter dem Motto „Hand in Hand für Demokratie und Vielfalt“ als Redner auf die Bühne. Der Manager appellierte an alle, „sich deutlich sichtbar für Vielfalt, Toleranz, Integration und Akzeptanz zu engagieren“. Er sei froh, dass nun Hunderttausende deutschlandweit gemeinsam aufstehen – „gegen rechte Propaganda, dumme Parolen und Intoleranz“.

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