E-Commerce

Marktplatz von Amazon zieht Goldgräber aus Deutschland an

Auf dem Marktplatz von Amazon tummeln sich tausende unabhängige Online-Händler. Ihr profitables Geschäft hat allein in Berlin mehr als ein halbes Dutzend Gründer auf den Plan gerufen, die mit ihren Start-ups erfolgreiche Online-Marken unter einem Dach aggregieren wollen.

Marktplatz von Amazon zieht Goldgräber aus Deutschland an

Von Stefan Paravicini, Berlin

Auf dem Marktplatz von Amazon für eigenständige Online-Händler herrscht schon seit geraumer Zeit Goldgräberstimmung. Denn das Beispiel des 2018 gegründeten US-Start-up Thrasio, das unabhängige Online-Händler mit profitablem Geschäft auf der Amazon-Plattform im großen Stil aufkauft und bereits im Sommer 2020 mit mehr als 1 Mrd. Dollar bewertet wurde, hat nicht nur E-Commerce-Spezialisten und M&A-Experten weltweit auf den Plan gerufen, sondern zieht auch viele Investoren an. Mittlerweile gibt es knapp 90 Unternehmen, die Jagd auf Online-Marken auf Amazon machen und dafür schon mehr als 13 Mrd. Dollar bei Investoren eingesammelt haben. Die von CEO Carlos Cashman und dem mittlerweile aus der operativen Führung ausgeschiedenen Joshua Silberstein gegründete Thrasio liegt mit 3,4 Mrd. Dollar Fremd- und Eigenkapital an der Spitze. Mit Berlin Brands Group, SellerX und Razor Group befeuern aber auch drei so genannte Marken-Aggregatoren aus Berlin den Goldrausch. Gemeinsam haben die drei „Einhörner“ schon gut 2,3 Mrd. Dollar eingeworben.

Die jüngste Bestätigung für die anhaltende Goldgräberstimmung unter Investoren lieferte die im Sommer 2020 von Malte Horeyseck und Philipp Triebel gegründete SellerX, die Anfang Dezember eine 500 Mill. Dollar schwere Finanzierungsrunde unter Führung der Brüsseler Sofina, Fonds von BlackRock sowie Victory Park Capital aus Chicago vermeldete und dabei eine Bewertung oberhalb von 1 Mrd. Dollar erzielte. Die Gründer kennen sich noch aus ihrer Studienzeit in Harvard. Horeyseck kümmerte sich danach für Rocket Internet um den Aufbau des brasilianischen Online-Händlers Dafitit. Triebel war unter anderem für Goldman Sachs im Investmentbanking tätig. Gemeinsam konnten sie Investoren schon kurz nach der Gründung von SellerX überzeugen und sorgten mit einer 118 Mill. Dollar schweren Seed-Runde im November 2020 unter Führung der Berliner Cherry Ventures, Felix Capital aus London und der kalifornischen Triple Point Capital für Aufsehen in der Szene. Ein Jahr später steht das Start-up mit 766 Mill. Dollar Eigen- und Fremdkapital auf Platz 5 der am besten finanzierten Aggregatoren.

Besser finanziert ist unter den deutschen Goldgräbern auf dem Marktplatz von Amazon nur die von Peter Chaljawski gegründete Berlin Brands Group (BBG), die seit April mehr als 1 Mrd. Dollar Fremd- und Eigenkapital eingesammelt hat und als erster Marken-Aggregator aus Berlin eine Bewertung oberhalb von 1 Mrd. Dollar erzielte. Das 2005 noch als Chaltec gegründete Unternehmen, mit dem der damals 19-jährige Chaljawski zunächst vor allem das Online-Angebot von Mischpulten und anderem Equipment für DJs erweitern wollte, deren Leidenschaft für Musik er teilt, verfügte schon vor dem Ausbruch des Goldrauschs auf dem Marktplatz von Amazon über starke Eigenmarken für den E-Commerce. Vor zwei Jahren firmierte das Unternehmen um und holte Henrik Haenecke, den ehemaligen Finanz- und Digitalvorstand der Berliner Verkehrsbetriebe, als Finanzchef in den Vorstand. Mittlerweile haben Chaljawski und Haenecke sich unter dem Eindruck des Erfolgs von Thrasio vom Goldrausch anstecken lassen und mit Bain Capital und Ardian gleich zwei Beteiligungsgesellschaften an Bord, die im Herbst insgesamt 800 Mill. Dollar eingebracht haben.

Jonas Diezun und Tushar Ahluwalia ließen sich im Sommer 2020 ebenfalls von Thrasio inspirieren, als sie in Berlin die Razor Group aus der Taufe hoben. Mit einer 125 Mill. Dollar schweren Series B, an der sich auch Global Founders Capital, der Venture-Fonds der Gebrüder Samwer, beteiligte, stieg die Firma Anfang November in die Riege der milliardenschwer bewerteten Nachwuchsfirmen auf. Diezun sammelte nach dem Studium an der TU München Erfahrung bei der Beratungsgesellschaft McKinsey und arbeitete als Marketing-Chef für das Münchner KI-Unternehmen Konux, bevor er sich als Gründer mit unsichtbaren Zahnschienen und mit Nachtmode wie Pyjamas versuchte. Mitgründer Ahluwalia baute nach dem Studium an der London Business School für Rocket Internet in Indien einen Ableger des Home-​and-Living-Onlineshop Westwing auf und gründete mit seiner Schwester ebenfalls in Indien den Fashion-Onlineshop Stalk Buy Love. Seit August 2020 hat Razor Group rund 560 Mill. Dollar Fremd- und Eigenkapital für die Jagd auf Online-Marken eingeworben.

Zu den weltweit 29 Marken-Aggregatoren, die mindestens 100 Mill. Dollar bei Investoren aufgenommen haben, zählt auch die Berliner Stryze Group. Die Gründer Sebastian Funke, Sascha Krause und Taro Niggemann haben schon vor der Gründung Ende 2020 Marken für das Geschäft auf der Amazon-Plattform aufgebaut. Das überzeugte auch Carsten Maschmeyer, der sich im Frühjahr mit seinem Venture-Fonds Alstin Capital an einer 100 Mill. Dollar schweren Finanzierungsrunde beteiligte. Mit dabei waren auch der US-In­vestor Upper90, der zu den frühesten Geldgebern von Thrasio zählte, sowie ein weiterer Institutioneller aus Deutschland.

Unter den am besten finanzierten Aggregatoren auf Amazon mischen zwei weitere Gründer aus Deutschland mit, die der Goldgräberstimmung nach London gefolgt sind. Mit ihrer ebenfalls im Sommer 2020 gegründeten Heroes haben die aus Hamburg stammenden Brüder Riccardo und Alessio Bruni nach Angaben des Informationsdienst Crunchbase insgesamt 265 Mill. Dollar eingesammelt. Riccardo war zuvor unter anderem bei dem Risikokapitalgeber EQT Ventures und im Investment Banking bei Merrill Lynch tätig. Sein Bruder Alessio leitete die Retail-Abteilung von Lazada, einem von Rocket Internet in Südostasien gestarteten Amazon-Klon, der 2017 an die chinesische Alibaba verkauft wurde.

Thrasio verschiebt Börsengang

Im neuen Jahr rechnen Marktbeobachter bereits mit dem Start der Konsolidierung unter den Konsolidierern auf dem Marktplatz von Amazon. SellerX setzte mit der Übernahme der Berliner KW Commerce Anfang Dezember bereits ein erstes Ausrufezeichen. Auch der erste Börsengang eines Marken-Aggregators ist überfällig, nachdem Thrasio ihre Börsenpläne via Spac im Oktober noch einmal verschoben hat und stattdessen 1 Mrd. Dollar bei Investoren unter Führung von Silver Lake einsammelte. Die Bewertung lag oberhalb von 5 Mrd. Dollar.

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