Geldpolitik

Streit um den Selic

Brasiliens linker Präsident Lula kritisiert den Zentralbankchef, weil dieser den Leitzins nicht senken will. Dabei hinterfragt der Staatschef die Inflationsziele und die Unabhängigkeit der Notenbank.

Streit um den Selic

Von Andreas Fink, Buenos Aires

In Brasilien tobt ein heftiger Zwist zwischen dem seit Neujahr regierenden Luiz Inácio Lula da Silva und dem Chef der Zentralbank Roberto Campos Neto. Seit der Währungsausschuss der Notenbank am 1. Februar den Leitzinssatz Selic bei 13,75% belassen hat, statt, wie von der Regierung verlangt, mit Lockerungsschritten zu beginnen, hat der Staatschef mehrmals die Geldpolitik angegriffen und dabei auch die Unabhängigkeit der Notenbank in Frage gestellt.

Brasiliens Zentralbank hat durch einen Parlamentsbeschluss völlige Unabhängigkeit von den politischen Entscheidungsträgern erhalten und entspricht damit ihren Pendants in Nordamerika und Europa. Die Amtszeit des 53-jährigen Campos Neto, der seit 2019 an der Zentralbankspitze steht, läuft bis zum 1. Januar 2025. Eine Amtsenthebung ist nur auf Antrag möglich – aufgrund Krankheit, der Verurteilung wegen einer Straftat oder eines administrativen Fehlverhaltens. In diesem Fall ist die Zustimmung der absoluten Mehrheit des Senats erforderlich und muss vom Nationalen Währungsrat beantragt werden.

Campos Neto, zuvor Topmanager beim Banco Santander, wird im Lula-Lager verdächtigt, Sympathien für den Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro zu hegen. In der Presse waren Fotos aufgetaucht, die Campos Neto im brasilianischen Nationaltrikot bei der Präsidentenwahl zeigten. Die gelb-grünen Hemden wurden in den letzten Jahren von Bolsonaro-Unterstützern getragen. Campos Neto hat nun Lula kühl geantwortet, dass sich das Land ebenso um die sozialen Probleme wie auch um das Haushaltsgleichgewicht kümmern müsse, „sonst kehren wir in eine Welt der Unsicherheit zurück“.

Campos Neto ist ein Verfechter festgelegter Inflationsziele. Für 2023 hat die Zentralbank die Zielmarke von 3,25% ausgegeben. In den kommenden zwei Jahren sollen es maximal 3% sein. Ende 2022 waren es 6,9%. Zielvorgaben von 3% werden von linken Ökonomen als zu strikt kritisiert, sie argumentieren, dass Staaten mit großem Wachstumspotenzial mehr „Luft“ bräuchten als Industriestaaten. Lula hat sich dieser Denkschule angeschlossen.

Mit 77 Lebensjahren ist Lula erfahren genug, um wissen, dass er schnel­le­ Erfolge braucht, um seine fragile Koalition zusammenzuhalten und den knappen Rückhalt in der Bevölkerung nicht zu verlieren. Am Wahlabend Ende Oktober lagen nur 1,5 Prozentpunkte  zwischen ihm und  Amtsinhaber Bolsonaro. Lula hat angekündigt, die Sozialhilfe „Auxilio Brasil“, die Bolsonaro vor den Wahlen verdreifacht hatte, in dieser Höhe beizubehalten. Zudem hat er vor Gericht die Erlaubnis be­kommen, in diesem Jahr die in der Verfassung festgeschriebene Ausgabenobergrenze zu verletzen. Diese seit 2017 geltende Regel, die Regierenden verbietet, mehr Mittel auszugeben als im Vorjahr, haben die Linken stets kritisiert. Aber ihnen fehlen politische Mehrheiten, um sie abzuschaffen. Vergangene Woche sagte Lu­la, es sei „nicht möglich, dass wir dieses Land mit einem Zinssatz von 13,75% wieder ins Wachsen bringen“.

Warten aufs Steuerpaket

Die Zentralbank hatte 2022 wegen erheblicher Inflationsgefahren den Leitzins in elf Schritten von 2% auf 13,75% erhöht – den höchsten Stand der vergangenen sieben Jahre. Ihr Stillhalten begründet die Notenbank mit den expansiven Ausgabeplänen der Regierung. Wie brasilianische Wirtschaftsmedien aus den Sitzungsprotokollen des Währungsausschusses herausgelesen haben, gibt es in dem Gremium aber nicht nur Anhänger der harten Linie. Darum dürfte es auf das Steuerpaket ankommen, mit dem Finanzminister Fernando Haddad vor allem die Reichen zur Kasse bitten will. Erst wenn Details publiziert werden – und den Währungshütern einleuchten –, könnte es Spielraum für Zinssenkungen geben.

An den Finanzmärkten kommt der Streit zwischen Präsident und Zentralbank nicht gut an. Der Dollar stieg seit dem 2. Februar von 5,05 auf 5,25 Reais.