Insolvenzen

Das Risiko von Kredit­ausfällen nimmt zu

Wie Finanzierer, aber auch die Investoren von Transaktionen angesichts steigender Insolvenzgefahr von Portfolios mit notleidenden Krediten profitieren und worauf Verkäufer und Käufer achten sollten.

Das Risiko von Kredit­ausfällen nimmt zu

Von Ludwig J. Weber und Jürgen Sonder*)

„Im neuen Jahr wird alles besser!“ Mit Blick auf das Krisenjahr 2022 war und ist diese Hoffnung für 2023 nur allzu verständlich. Doch nach den ersten Wochen im nicht mehr ganz so neuen Jahr wird klar, dass der Ausspruch „Im neuen Jahr wird alles noch herausfordernder!“ zutreffender wä­re – und das nicht nur aus Unternehmenssicht, sondern gerade auch aus Sicht der Unternehmensfinanzierer.

Fakt ist: Die Herausforderungen, vor denen Unternehmen aktuell stehen und sicherlich noch eine ganze Zeit lang stehen werden, sind sehr vielschichtig. Die Krise ist zum Normalzustand geworden – man kann durchaus von einer Multi-Dauerkrise sprechen – und die wirtschaftliche Unsicherheit betrifft praktisch alle Branchen. Hinzu kommt, dass besonders während der Coronakrise die staatlichen Hilfspakete und die Option der Kurzarbeit die Insolvenzzahlen auf einem künstlich niedrigen Niveau gehalten haben. So manches krisengebeutelte Unternehmen mit einem ansonsten tragfähigen Ge­schäftsmodell wäre ohne diese Hilfen nicht mehr am Markt tätig.

Bei vielen Unternehmen stehen nun die Prüfungen und möglichen Rückzahlungen von in der Corona-Pandemie bewilligten und ausgezahlten Kurzarbeitergeldern und Überbrückungshilfen an. Die wirtschaftliche und finanzielle Erholungsphase lässt jedoch – anders als bei den Überbrückungshilfen gedacht – weiter auf sich warten. Dies wird aller Voraussicht nach dazu führen, dass Unternehmen, die grundsätzlich gesund oder sanierungsfähig sind, durch die Rückzahlung von gewährten staatlichen Hilfen in eine finanzielle Schieflage geraten.

Kurzum: Es ist sehr wahrscheinlich, dass in diesem Jahr die Zahl der Insolvenzen weiter zunehmen wird. Eine Entwicklung, die sich bereits im vergangenen Jahr abgezeichnet hat. So gab es den Daten von STP Business Information zufolge im Vergleich von 2021 (5750 Verfahren) zu 2022 (6311 Verfahren) bei den eröffneten Insolvenzen von Kapital- und Personengesellschaften einen Anstieg von rund 10% – ein Trend, der sich in diesem Jahr fortsetzen dürfte.

Keine Welle von Kreditausfällen, aber einen stetigen Anstieg – dies lässt die Dezember-Erhebung des NPL-Barometers der Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing und der Frankfurt School of Finance & Management vermuten. Der Index, der die Aktivitäten im Sekundärmarkt für notleidende Kredite, sogenannte Non-Performing Loans (NPLs), abbildet, ist nun auf den höchsten Wert seit 2015 gestiegen.

Mehr Kreditausfälle

Erwartet wird ein weiterer Anstieg des NPL-Volumens (30,7 Mrd. Euro im September 2022) auf 35,3 Mrd. Euro bis Ende 2023 und 38,1 Mrd. Euro bis Ende 2024. Und während die letzten Zahlen der European Banking Authority einen Anstieg der deutschen NPL-Quoten im Corporate-Real-Estate- und KMU-Bereich (kleine und mittlere Unternehmen) zeigten, rechnen auch die Risikomanager in den Banken bei Unternehmen, aber vor allem im Konsumentenbereich mit weiteren Ausfällen.

Angesichts dieser Entwicklung wächst für Banken das Risiko von Kreditausfällen und die Bedeutung, Lösungen für NPLs zu finden. Dabei ist Vorsorge das A und O, um möglichen Kreditrisiken frühzeitig und proaktiv begegnen zu können. Eine solche Vorsorge kann das Instrument des Verkaufs von Kreditportfolios an Investoren sein – Transaktionen, die sowohl den Verkäufern als auch den Käufern Vorteile bringen.

Den Unternehmensfinanzierern und besonders Banken hilft der Verkauf, ihre Bilanz zu bereinigen. Zudem entlasten sie ihre Abrechnungs- und Marktfolgeabteilungen, optimieren ihre Prozesse, sparen Rechtsverfolgungskosten ein und generieren Liquidität, da sie (zumindest) einen Teil der notleidenden Forderungen aus den NPLs realisieren.

Die Käufer von NPL-Portfolios im Corporate-Bereich wiederum können – da sie durch den Erwerb in die Position eines Gläubigers treten – sich zum Beispiel über einen Debt-Equity-Swap und/oder einen Insolvenzplan am schuldnerischen Unternehmen beteiligen. Als Gläubiger können sie aber auch Einfluss auf die außergerichtlichen oder gerichtlichen Sanierungsbemühungen des Schuldnerunternehmens nehmen. Zudem haben sie die Möglichkeit, auf Sicherheiten zuzugreifen – beispielsweise den erleichterten Erwerb von Grundstücken, an denen Grundpfandrechte zur Besicherung der notleidenden Forderungen bestehen.

Ein Anreiz für den Käufer von NPL-Portfolios ist der mögliche Discount auf die notleidenden Forderungen. Letztlich geht es für die Erwerber von NPLs um eine risikoadäquate Rendite für ihre Investoren. Wesentliche Erfolgsfaktoren dabei sind schlankere Organisationsstrukturen und ein hoher Spezialisierungsgrad sowie eine höhere Flexibilität in der Findung tragfähiger Lösungen für Schuldner und Erwerber.

Der ausschlaggebende Erfolgsfaktor bei solchen Transaktionen für Verkäufer und Käufer sind die Ertragschancen für die entsprechenden Portfolios. Um die Ertragschancen und darauf basierend den Preis für die NPL-Portfolios zu ermitteln, ist eine umfassende Due-Diligence-Prüfung sinnvoll. So können die Forderungen an sich und die aus ihnen resultierenden tatsächlichen und rechtlichen Chancen und Risiken bewertet werden.

Dabei spielt der Faktor Zeit eine nicht unerhebliche Rolle. Die entscheidenden Fragen sind: In welchem Zeitraum muss die Transaktion für den Verkäufer über die Bühne gehen? Wie schnell will oder muss der Investor seine erworbenen Forderungen unter dem Gesichtspunkt der Refinanzierung realisieren?

Wichtig ist, dass Verkäufer und Käufer im Zuge der Transaktion eine praxisnahe Regelung für die gegenseitigen Kooperations- und Informationspflichten finden. Zudem ist es für beide Seiten maßgeblich, dass die Transaktionen abgesichert sind und dahingehend dokumentiert werden, dass der Übergang der Forderungen beziehungsweise die Inhaberschaft des neuen Eigentümers eindeutig nachgewiesen werden kann.

Während des gesamten Prozesses müssen darüber hinaus alle formellen Anforderungen beachtet werden – etwa bei der Abtretung von bereits zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen, von sonstigen Vollstreckungstiteln, von sicherungsübereigneten GmbH-Geschäftsanteilen oder von Grundschulden.

Bei NPL-Transaktionen sind aber auch steuerliche Aspekte von großer Bedeutung – gerade für den Investor. So stellt sich beim Erwerb von notleidenden Krediten von Gesellschaften im Ausland die Frage, ob mit dem Staat, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, ein Doppelbesteuerungsabkommen existiert oder nicht. Von der Antwort hängt unter anderem ab, wo der Sitz der übernehmenden Gesellschaft des Investors aus steuerlicher Sicht angesiedelt sein sollte.

Kreditkäufer, Servicing-Unternehmen, Banken und viele weitere Experten arbeiten bei der Bearbeitung von NPLs also Hand in Hand – und das sehr erfolgreich. In den letzten Jahren, selbst während der Corona-Pandemie, konnten die NPL-Bestände deutscher Kreditinstitute Schritt für Schritt abgebaut werden: ein wichtiger Beitrag zur Finanzmarktstabilität. Von Seiten der Regulierer gab es dabei sinnvolle und wichtige Initiativen, die an dieser Stelle – bei aller berechtigten Kritik an oft allzu bürokratischen Hürden – gelobt werden sollen.

Neuer Rahmen der EU

Hier reiht sich auch eine weitere Herausforderung ein, die für Banken und Investoren im Sekundärmarkt große Auswirkungen haben wird. Die Kreditdienstleister-Richtlinie der EU muss bis Ende Dezember 2023 in nationales Recht umgesetzt werden. Mit dem an sich hehren Ziel, den Sekundärmarkt transparenter und effizienter zu machen, hat die EU einen neuen gesetzlichen Rahmen für den EU-weiten NPL-Handel und einheitliche NPL-Datenvorlagen ge­schaffen. Auf Banken, aber auch auf die Investoren kommen dadurch jedoch mehr Informations- und Dokumentationspflichten zu.

*) Dr. Ludwig J. Weber ist Experte für Unternehmensfinanzierung und -sanierungen bei Schultze & Braun. Jürgen Sonder ist Präsident der Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing, Vorsitzender des Senior Advisory Board der Intrum Gruppe in Deutschland und Mitglied des Beirats des Frankfurter Instituts für Risikomanagement und Regulierung.

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