Fusionskontrolle

Ein Kartellrecht für alle

Verschärfungen im Kartellrecht bekommen Unternehmen weltweit in Transaktionen zu spüren, auch die Auswirkungen des Green Deal machen sich zunehmend bemerkbar.

Ein Kartellrecht für alle

Von Martin Klusmann*)

Auch im Kartellrecht setzen sich globale Trends durch, die sowohl den Transaktionsbereich als auch das operative Tagesgeschäft der Unternehmen zunehmend spürbar beeinflussen. In ihrer regelmäßigen Marktstudie zu diesen Trends hat die Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer für 2022 erneut prognostiziert, wohin die Reise geht: Im letzten Jahr war vor allem eine Verschärfung der Prüfungsdichte von strategischen Zusammenschlüssen in einigen wichtigen Jurisdiktionen wie der EU und dem Vereinigten Königreich mit seiner neuen Parallelzuständigkeit post Brexit zu beobachten.

Daneben stieg die Zahl der Länder, in denen neben Fusionskontrolle auch Anmeldeverfahren zur Investitionskontrolle (sog. Foreign Direct Investment Verfahren) zu durchlaufen sind. Die Führung solcher Verfahren wird global immer schwieriger, auch wegen der oft schwer zu prüfenden Anmeldekriterien – in einzelnen Ländern reicht es für eine Anmeldepflicht inzwischen bereits aus, dass Grundstücke von Zusammenschlussbeteiligten in der Nähe von Hochspannungsleitungen liegen oder an Gewässer grenzen.

Ein weiterer Trend des Jahres ist der Vorstoß führender Wettbewerbsbehörden, über neue Regeln der Missbrauchsaufsicht (große) digitale Plattformen unter Kontrolle zu halten bzw. zu bringen. Das Bundeskartellamt hat gerade erstmals festgestellt, dass Google unter die neue Sonderverhaltenskontrolle fällt, die mit der 10. GWB-Novelle eingeführt worden war – andere digitale Plattformen dürften folgen.

Diese Entscheidungen lösen allerdings noch keine unmittelbaren Verhaltenspflichten aus. Erst im Rahmen weiterer Verfahren zu Einzelthemen, wie Selbstbevorzugung eigener Dienste oder Zwangskoppelungen, werden sich im Laufe des Jahres wohl neue Erkenntnisse dazu ergeben, wo die Reise inhaltlich hingehen soll. Diese Verfahren werden vor allem auch schwierige Rechtsfragen des Datenschutzes aufwerfen und maßgeblich vorgeben, welche Daten-Teilhaberechte Dritter künftig bestehen.

Die Regulierung digitaler Plattformen basiert auf einem magischen Dreieck, dessen drei Schenkel aus Kartellrecht, Datenschutzrecht und Verbraucherschutzbestimmungen bestehen. Deren Zusammenwirken, mit durchaus sehr unterschiedlicher Gewichtung der Einzelthemen in den jeweiligen Rechtsordnungen diesseits und jenseits des Atlantiks sowie in Asien, wird die Tech-Fälle beherrschen und bestimmen. Welche Behörde bei der Durchsetzung der neuen Regeln inhaltlich in Führung gehen wird, ist noch offen, das Rennen ist aber gestartet.

Ambivalentes Thema

Zunehmend zeigen sich auch im Kartellrecht die Auswirkungen des europäischen Green Deal. Es besteht allseits ein sich politisch und programmatisch rasant entwickelndes Bedürfnis, den Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit in der behördlichen Entscheidungspraxis zu verankern. Dabei ist das Thema aus kartellrechtlicher Sicht ambivalent: Einerseits sollen Kooperationen von Wettbewerbern ermöglicht und gefördert werden, um Innovationen zu ermöglichen, die einzelne Marktteilnehmer allein nicht stemmen können. Andererseits möchten die Kartellbehörden verhindern, dass die Zusammenarbeit von Unternehmen zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen den Wettbewerb dämpft. Denn Innovationswettbewerb soll wie ein Preiswettbewerb im Geheimen stattfinden, weil dies aus Sicht der Wettbewerbsbehörden den größten Wohlfahrtsgewinn bringen soll. Wegen des damit vorgegebenen Zielkonflikts tun sich die Behörden aber schwer, eine konsistente und vor allem praxistaugliche Linie in ihren Entscheidungen zu Nachhaltigkeitsthemen zu verfolgen.

Dies zeigt beispielhaft der Versuch der EU-Kommission, in ihrem gegen die fünf deutschen Autohersteller gerichteten Grundsatz-Verfahren „Car Emissions“, das im vergangenen Jahr rechtskräftig abgeschlossen wurde, neue Positionen zu entwickeln, an denen sich Unternehmen künftig orientieren sollen: Wie sich aus der zwischenzeitlich veröffentlichten Bußgeldentscheidung und einem korrespondierenden „Guidance Letter“ ergibt, hat die Kommission die einzelnen Aspekte der im Fall untersuchten Kooperation zur Entwicklung und Markteinführung von SCR-(Adblue-)Systemen in Diesel-Pkw zwar differenziert, aber wenig intuitiv beurteilt: Während sie es als zulässig ansieht, dass die Hersteller gemeinsam die Entwicklung von Steuerungssoftware bei einem Zulieferer in Auftrag geben, über einzuhaltende Qualitätskriterien für Adblue diskutieren, oder gemeinsames Lobbying im Gesetzgebungsverfahren zu sich schnell verschärfenden Grenzwerten betreiben, soll es unzulässig sein, sich zu künftigen Tankgrößen oder Reichweiten für Adblue für entsprechend ausgestattete Fahrzeuge auszutauschen.

Das wirft sehr grundsätzliche Fragen und auch Probleme für die Praxis auf. Denn eine rechtssichere Abgrenzung im Vorhinein, welche Gespräche und Gesprächsinhalte künftig noch bei der Anbahnung und Durchführung von F&E-Kooperationen unter Wettbewerbern kartellrechtskonform möglich sind, ist danach eigentlich nicht mehr möglich. Das gilt insbesondere für den Austausch wettbewerblich relevanter Informationen.

Sehr relevant für die Unternehmen ist dieses Thema insbesondere deshalb, weil die EU-Kommission klargestellt hat, dass im Falle einer Fehleinschätzung der Beteiligten zum zulässigen Umfang ihrer Gespräche oder Kooperationen eine Sanktionierung wie bei Preisabsprachen droht: Die Kommission wendet dieselben Grundsätze und Bußgeldleitlinien an wie in klassischen Kartellfällen. Selbst wenn also eine Zusammenarbeit im Ausgangspunkt gut gemeint ist, kann sie zu einer harten Strafe führen, die auf demselben Niveau liegt, wie eine klassische Preis-, Markt- oder Kundenabsprache, die immer und von vornherein auf die Schädigung der Marktgegenseite abzielt.

Ähnliche Annäherungsschwierigkeiten lassen sich in verschiedenen Pressemitteilungen zu Verfahren des Bundeskartellamts zu Covid-19- und Nachhaltigkeitsthemen, wie zuletzt dem Tierwohl im Lebensmitteleinzelhandel, ausmachen: Zwar will man grundsätzlich helfen und im Einzelfall ansprechbar sein, einen Dispens von den klassischen Verhaltensregeln und Kartellverboten oder ein neues Sonderkartellrecht soll es aber auch in der Krise und bei überragenden Allgemeinwohlthemen weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene geben. Dies erschwert den Unternehmen die Selbsteinschätzung, was genau in der Krise oder bei Nachhaltigkeitsthemen geht, deutlich. Schließlich werden auch für den Bereich der Kartellverfolgung Änderungen erwartet: So bemühen sich derzeit die Kartellbehörden, den Trend sinkender Kronzeugenanträge durch verbesserte und zugespitzte Kronzeugenprogramme aufzuhalten, um in diesem Bereich nicht arbeitslos zu werden. An sich könnte ja nach vielen Jahren der intensiven Kartellverfolgung die sinkende Anzahl von Verfahren durchaus als positives Zeichen gesteigerter Compliance Awareness der Unternehmen gesehen werden.

Klägerindustrie

Doch dürfte die Ursache für schwindende Anträge nach der Kronzeugenregelung auch im Zivilrecht liegen. Denn solche Kronzeugenanträge werden wegen der internationalen Erleichterung des sogenannten „Private Enforcement“ durch Einführung immer klägerfreundlicherer Regelungen und aufgrund der inzwischen auch in Europa etablierten Klägerindustrie oft nicht mehr gestellt. Eine bußgeldfreie Verfahrensbeendigung hilft nicht durchschlagend, wenn der Kronzeuge im Anschluss an seine Beichte besonders intensiv von direkten und indirekten Kunden auf Schadensersatz verklagt wird. Das führt dazu, dass jetzt weitergehende legislative Überlegungen zur stärkeren Begrenzung der zivilrechtlichen Haftung von Kronzeugen nach US-Vorbild auch in Europa angestellt werden.

Zugleich wird im Rahmen der Arbeitsbeschaffung der Verfolgungsbehörden der Fokus verbreitert: In den USA werden neuerdings arbeitsrechtliche Beschränkungen wie Abwerbeverbote und Absprachen zur Bezahlung von Arbeitnehmern in das Kartellstrafrecht einbezogen. Andere Wettbewerbsbehörden könnten dem Beispiel bald folgen – Rechtsänderungen sind dazu übrigens wohl hier nicht erforderlich.

*) Dr. Martin Klusmann ist Partner von Freshfields Bruckhaus Deringer in Düsseldorf.

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