Finanzmarkt

Kapitalmarkt auf dem Weg der Digi­talisierung

Die Emission elektronischer Wertpapiere hat noch nicht richtig Fahrt aufgenommen, doch erste Erfahrungen sind vielversprechend.

Kapitalmarkt auf dem Weg der Digi­talisierung

Von Susanne Lenz*)

Schnell und unkompliziert Geld am Kapitalmarkt beschaffen, um zu ex­pandieren und Marktchancen zu nutzen – wer will das nicht? Da verwundert es, wenn neue und unkomplizierte Möglichkeiten, dies zu tun, vergleichsweise selten zum Zuge kommen. Dabei liegen die Vorteile, vor allem für kleinere Emittenten, auf der Hand.

Zugleich muss man feststellen: Die neue Technologie ist perspektivisch auf zahlreiche andere Wertpapierarten und Asset-Klassen übertragbar. Zwar sind elektronische Aktien derzeit noch Zukunftsmusik. Aber an der Zukunft wird gearbeitet. Die Märkte stehen erst am Anfang einer nachhaltigen Entwicklung, die die Kapitalmärkte zu revolutionieren verspricht.

Mit dem am 10. Juni 2021 in Kraft getretenen Gesetz über elektronische Wertpapiere (eWpG) hat Deutschland auf dem Weg zur Digitalisierung der Finanzmärkte mit anderen europäischen Nachbarländern – zumindest in Teilen – gleichgezogen. Frankreich, die Schweiz, Großbritannien und Luxemburg nutzen unterschiedliche Möglichkeiten der Digitalisierung von Wertpapieren zum Teil seit vielen Jahren. In Deutschland ist nunmehr zumindest in Teilen das Wertpapierrecht dematerialisiert worden: für auf den Inhaber lautende Schuldverschreibungen, Pfandbriefe und bestimmte Anteile an Sondervermögen.

Elektronisches Register

Was genau leistet das eWpG? Mit dem eWpG wurde die rein digitale Begebung von Wertpapieren in Deutschland rechtlich möglich. Nach alter Rechtslage mussten Finanzinstrumente, die zivilrechtlich als Wertpapiere gelten, in einer physischen Urkunde verbrieft werden. Seit In­krafttreten des eWpG kann die Papierurkunde durch einen Eintrag in ein elektronisches Register (zentrales Wertpapierregister oder Kryptowertpapierregister) ersetzt werden. Damit hat der Emittent nunmehr ein Wahlrecht, ob er Wertpapiere mittels Urkunde oder auf elektronischem Wege emittieren möchte.

Zwar hatte die BaFin bereits Anfang 2019 den ersten Wertpapierprospekt zu einem so genannte Security Token Offering in Deutschland gebilligt. Diese tokenbasierten Schuldverschreibungen, die auf Blockchain emittiert und angeboten wurden, sind jedoch keine Schuldverschreibungen im Sinne des Schuldverschreibungsgesetzes. Von der BaFin wurden sie lediglich als Finanzinstrumente sui generis klassifiziert und waren nur im prospektrechtlichen Sinne als Wertpapiere anerkannt. Hier gab es viel Konfliktpotenzial und Raum für Unklarheiten. Mit dem eWpG wurde nun Klarheit geschaffen.

Auch Namensschuldverschreibungen und Schuldscheindarlehen wurden in der Vergangenheit wiederholt durch Nutzung von Tokens vollständig elektronisch begeben. Dabei fallen derartige Finanzinstrumente allerdings nicht unter das eWpG.

Positive Erfahrungen

Die Erfahrungen mit den ersten digitalen Offerings waren durchweg positiv: Die Prozesse liefen von Beginn an glatt – sowohl in rechtlicher Hinsicht als auch bei ihrer technologischen Umsetzung. Digitale Emissionen sind in Echtzeit nachvollziehbar und werden ohne ansonsten übliches mehrtägiges Settlement-Risiko unmittelbar abgeschlossen, was sowohl von Emittenten als auch von der Investorenseite begrüßt wird. Die Investoren zeigten von Beginn an ein hohes Vertrauen in den neuen Emissionskanal: Es vergingen bei zahlreichen Transaktionen nur wenige Stunden, bis die Emissionen platziert waren.

Wie gesagt, trotz optimaler Voraussetzungen ist derzeit noch kein echter Trend in Richtung Emission von elektronischen Wertpapieren zu erkennen, sei es durch Nutzung von Tokens, sei es mit Hilfe elektronischer Wertpapiere im Sinne des eWpG. Deshalb lohnt es sich, noch einmal auf die Vorteile des für viele noch neuartigen Prozesses hinzuweisen.

Da sind an erster Stelle die Kosten. Der Emittent kann über eine digitale Plattform (webbasierte Marktplätze) unmittelbar mit dem Kapitalmarkt kommunizieren. Das gesamte Settlement verkürzt sich darüber hinaus. Dies bedeutet eine signifikante Kosten- und Zeitersparnis gegenüber den bisherigen Verfahren. Die erste vollständig digitale Namensschuldverschreibung (Vonovia) wurde mit Hilfe des Dienstleisters Firstwire durchgeführt. Eine weitere Plattform ist die D7 von Clearstream. Die Branche wächst, und die Technologie wird kontinuierlich besser.

Die Fachmedien, oftmals kritisch gegenüber neuen Technologien gerade im Finanzsektor eingestellt, bewerten die ersten Begebungen elektronischer Wertpapiere überwiegend positiv. So war in einem Fachblatt zu lesen: „Für Emittenten bringt die Neuregelung einige Vorteile mit sich: Die Unternehmen können den Kapitalmarkt nun schneller und einfacher anzapfen. Die Emissionen sind transparent und in Echtzeit nachvollziehbar. Das mehrtägige Settlement-Risiko entfällt, unnötige Transaktionskosten für Einlieferung und Verwahrung der Papierurkunde werden abgeschafft.“

Schnell umgestellt

Bisher haben des Öfteren die Initiatoren von Windparks sowie die bereits erwähnte Vonovia tokenbasierte Verfahren zur Begebung von Schuldverschreibungen beziehungsweise Namensschuldverschreibungen ge­nutzt. Die Emissionen haben gezeigt, dass die Akteure sich schnell auf digitale Verfahren umstellen, wenn sie sich als verlässlich erwiesen haben.

Für kleinere Emissionen kommt eine rechtliche Erleichterung hinzu, die aber nicht unmittelbar mit dem eWpG zu tun hat, sondern schon vorher Anwendung fand: Anleihen in den Bereichen erneuerbare Energien, Tech oder Start-ups haben oftmals niedrigere Emissionsvolumina. Hier ist bei einem Emissionsvolumen von bis zu acht Millionen Euro – gerechnet über einen Zeitraum von zwölf Monaten – lediglich ein Wertpapierinformationsblatt erforderlich und kein aufwendiger Wertpapierprospekt.

Die grundsätzlichen Vorteile tokenbasierter Anleihen und elektronischer Schuldverschreibungen bleiben auch bei größeren Emissionen, die einen Prospekt erfordern, er­halten.

Kostenvorteil

Auch auf die Kanzleibranche gibt es Effekte positiver Natur: Tokenbasierte und elektronische Wertpapiere eignen sich in besonderem Maße für die Kombination mit Legal-Tech-Ansätzen. Bei Transaktionen brauchen zum Teil nur noch die transaktionsspezifischen Daten eingegeben zu werden, den Rest erledigte die Legal-Tech-„Maschine“. Dem Mandanten bringt dies schnellere Bearbeitungszeiten und ebenfalls deutlich niedrigere Kosten.

Tokenbasierte oder elektronische Schuldverschreibungen sind jedoch erst der Anfang: Die Technik lässt sich grundsätzlich auf alle Asset-Klassen übertragen. Security Token, also tokenisierte Vermögensanlagen, sind zudem äußerst fungibel, das heißt unabhängig vom Investment-Gegenstand jederzeit handelbar.

Dies könnte grundsätzlich auch privaten Anlegern eine bisher nicht gekannte Diversifizierung ihrer Anlagen ermöglichen – auch in Asset-Klassen hinein, die privaten Anlegern bislang kaum oder gar nicht zugänglich waren. Denn die Tokenisierung macht kleinste Stückelungen der Anteile realisierbar. Die Beteiligung an Private-Equity-Fonds zu den Tarifen eines ETF wären damit – zumindest in der Theorie – möglich.

Hohe Erwartungen im Markt

Dementsprechend groß sind die Markterwartungen an die Emission von tokenbasierten Finanzinstrumenten und elektronischen Schuldverschreibungen über Plattformen. So schrieb Johannes Schmitt, Co-CEO­ des Plattform-Anbieters Nyala (vormals Bloxxon), am 19. Oktober 2021 in der Börsen-Zeitung: „Insgesamt illustriert die Innovation in der Emissionsbranche einen interessanten Trend: Die Tokenisierung, wohlgemerkt auf einer öffentlichen, für alle zugänglichen und einsehbaren Blockchain, ist ein Teilprozess eines größeren Transformationsprozesses, nämlich der Digitalisierung der Finanzbranche.“

Fassen wir zusammen: Die Begebung tokenbasierter Finanzinstrumente und elektronischer Schuldverschreibungen hat sich in der Praxis bewährt. Die Emittenten schätzen den schnellen und kostengünstigen Zugang zum Kapitalmarkt. Einer stärkeren Akzeptanz über alle In­dustrie- und Dienstleistungsbranchen hinweg sollte nichts mehr im Wege stehen.

*) Dr. Susanne Lenz ist Partnerin im Frankfurter Büro von Mayer Brown.

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