Energiesicherheitsgesetz

Neue Instrumente für die Versorgungs­sicherheit

Mit Treuhandverwaltung und Enteignung lotet das Energiesicherheitsgesetz die durch das Grundgesetz gesetzten Grenzen aus. Das Preisanpassungsrecht stellt einen erheblichen Eingriff in die Vertragsfreiheit dar.

Neue Instrumente für die Versorgungs­sicherheit

Von Tobias Faber und Stefan Schröder*)

Durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat sich die Situation auf den Energiemärkten, insbesondere im Bereich der Gasversorgung, fundamental verändert. Jüngst hat Russland 31 Energieunternehmen sanktioniert, darunter die zwischenzeitlich unter Treuhandverwaltung gestellte Gazprom Germania, die über ihre Beteiligungen zentrale und für die Versorgungssicherheit in Deutschland grundlegend wichtige Funktionen erfüllt.

Der Fall Gazprom Germania

Um auf die aktuelle Situation reagieren zu können, hat der Bundestag am Donnerstag vergangener Woche eine umfassende Reform des Energiesicherungsgesetzes (EnSiG) beschlossen. Das EnSiG, einst eingeführt als Reaktion auf die Ölkrise in den siebziger Jahren, fristete über Jahrzehnte ein Schattendasein: Praktische Anwendungsfälle gab es quasi nicht.

Doch die Ausgangslage hat sich angesichts des Kriegs in der Ukraine und der hohen Abhängigkeit Deutschlands von russischen Energieimporten grundlegend verändert. Die Einkaufspreise für Energie bewegen sich weiter auf Rekordniveau, was auch die deutsche Wirtschaft massiv unter Druck setzt. Zugleich befinden sich erhebliche Teile der kritischen Energieinfrastruktur in Deutschland in ausländischer, nicht selten sogar in russischer Hand.

Wie schnell dies zum Problem werden kann, zeigte jüngst der Fall der deutschen Gazprom-Tochter Gazprom Germania. Deren – von Russland offenbar beabsichtigte – Liquidation konnte nur durch ein schnelles Eingreifen des Bundeswirtschaftsministeriums und die Anordnung einer Treuhandverwaltung verhindert werden. Vermutlich gerade aufgrund dieser Verwaltung dürfte Gazprom Germania von den russischen Sanktionen erfasst sein.

Das EnSiG räumt der Bundesregierung bereits in der bisherigen Fassung umfangreiche Ermächtigungen ein, um im Falle einer Energiekrise die, so das Gesetz wörtlich, „Deckung des lebenswichtigen Bedarfs an Energie“ zu sichern. Die Bundesregierung kann Vorschriften über die Produktion, den Vertrieb und die Verwendung von Energien und Energieträgern aller Art erlassen. Die Abgabe und die Verwendung von Energie können zeitlich, örtlich oder mengenmäßig beschränkt werden. Auch der Beschluss von Höchstpreisen für Energien ist ausdrücklich möglich. Mit der Möglichkeit zum Erlass von Geschwindigkeitsbeschränkungen und Fahrverboten für Kraftfahrzeuge bildete das EnSiG so beispielsweise die Rechtsgrundlage für die sogenannten autofreien Sonntage Ende 1973.

Dass diese umfangreichen Er­mächtigungen im Ernstfall dennoch nicht ausreichen könnten, haben die Entwicklungen der vergangenen Wochen gezeigt. Einzelmaßnahmen gegenüber bestimmten Marktakteuren oder Betreibern kritischer Infrastruktur, etwa Betreibern von Flüssigerdgas-Anlagen (LNG) oder Gasspeichern, waren im Energiesicherungsgesetz bislang nicht ausdrücklich vorgesehen. Die Treuhandverwaltung über Gazprom Germania stützte die Bundesregierung auf eine Regelung im Außenwirtschaftsgesetz.

Im Eiltempo

Die im Eiltempo auf den Weg gebrachte Reform soll das EnSiG nicht nur präzisieren und an die aktuellen Sicherheitsbedürfnisse auf dem Energiemarkt anpassen, sondern auch zusätzliche Ermächtigungen und ganz neue Regelungen ergänzen. Damit soll der Handlungsspielraum der Regierung für den Fall, dass sich die derzeitige Lage weiter verschärft, erweitert werden.

Ein zentraler Baustein der Reform ist die Möglichkeit, Betreiber kritischer Infrastrukturen im Energiesektor unter staatliche Treuhandverwaltung zu stellen. Voraussetzung hierfür ist, dass ein Unternehmen seinen Aufgaben zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit in Deutsch-land nicht mehr ausreichend nachkommt.

Ist dies der Fall, kann das Bundeswirtschaftsministerium anordnen, dass der Bund vorübergehend die Kontrolle über das Unternehmen übernimmt. Insbesondere können die Stimmrechte der Gesellschafter vorläufig auf eine Stelle des Bundes übertragen werden. Außerdem können der Geschäftsführung Weisungen erteilt und deren Verfügungsbefugnis über das Gesellschaftsvermögen eingeschränkt werden.

Die Treuhandverwaltung muss auf höchstens sechs Monate befristet werden. Sie kann aber, auch mehrfach, um jeweils sechs weitere Monate verlängert werden, solange ihre Voraussetzungen weiter vor­liegen.

Wenn eine zeitlich begrenzte Treuhandverwaltung nicht ausreicht, ist nunmehr ausdrücklich sogar eine Enteignung möglich. Enteignet werden können hierbei Anteile an Unternehmen, die kritische In­frastruktur betreiben, oder sogenannte sonstige Rechte, die zu den Eigenmitteln dieser Unternehmen gehören. Die enteigneten Gegenstände werden zunächst auf eine vom Bund unmittelbar oder mittelbar gehaltene juristische Person des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts übertragen. Eine dauerhafte Verstaatlichung ist aber nicht vorgesehen: Unternehmen, deren Anteile enteignet wurden, sollen vielmehr später wieder privatisiert werden.

Eine Entschädigung soll nur erhalten, wer sich auf das Eigentumsgrundrecht des Grundgesetzes berufen kann. Diese Einschränkung soll offenbar die Entschädigung ausländischer Anteilseigner verhindern. Wie weit dies reicht, wirft aber verfassungsrechtliche Grundsatzfragen auf. Entschädigungszahlungen an ausländische Staaten oder Staatsunternehmen dürften oftmals jedoch ausgeschlossen sein. Ausnahmen gelten wiederum innerhalb der Europäischen Union sowie im Rahmen völkerrechtlicher Abkommen, etwa zum Investitionsschutz.

Preisanpassungsrecht

Für die deutsche Wirtschaft noch relevanter ist das neu geschaffene Preisanpassungsrecht im Gassektor. Sollten Gaslieferungen nach Deutschland ganz oder teilweise ausfallen, haben alle betroffenen Energieversorger entlang der Lieferkette künftig das Recht, ihre Gaspreise anzupassen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass das Bundeswirtschaftsministerium die Alarm- oder Notfallstufe des „Notfallplans Gas“ ausgerufen hat. Zudem muss die Bundesnetzagentur eine erhebliche Reduzierung der Importmengen nach Deutschland formell fest­stellen.

Die hohen Kosten für Ersatzbeschaffungen, etwa durch den kurzfristigen Einkauf von LNG, können somit an die Energieverbraucher weitergereicht werden. Dies lässt erhebliche Preissteigerungen im Anwendungsfall befürchten, welche die bisherigen Preisanstiege weit hinter sich lassen dürften und selbstredend erhebliche Belastungen für Unternehmen und Privatverbraucher in Deutschland zur Folge haben würden.

Praktische Relevanz

Damit hat sich der Gesetzgeber für das aus seiner Sicht geringere Übel entschieden. Denn das Recht zur Preisanpassung soll eine Insolvenzkaskade unter den Energieversorgern und einen diesbezüglichen Zusammenbruch der Gasversorgung verhindern. Problematisch erscheint, dass diverse Voraussetzungen dieses Preisanpassungsrechts höchst interpretationsbedürftig erscheinen und zu Streitigkeiten im Anwendungsfall führen könnten.

Sowohl der gesetzgeberische Handlungswille als auch die starke Ausgestaltung staatlicher Eingriffsbefugnisse sind bemerkenswert. Der Gesetzgeber hat bei der Ausgestaltung der Regelungen zur Treuhandverwaltung und Enteignung die durch das Grundgesetz gesetzten Grenzen ausgelotet. Zudem stellt das gesetzliche Preisanpassungsrecht einen ganz erheblichen, aus Sicht des Gesetzgebers jedoch erforderlichen Eingriff in die Vertragsfreiheit dar. Es bleibt abzuwarten, wie umfangreich diese neuen Regelungen in der Praxis dann tatsächlich zur Anwendung kommen werden oder ob bereits der neue Instrumentenkasten ausreicht, um etwaiges staatliches Handeln auch auf anderem Wege durchzusetzen.

*) Dr. Tobias Faber und Dr. Stefan Schröder sind Partner von Hogan Lovells.

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