Corporate Governance

Neue Optionen für die Haupt­versammlung

Das virtuelle Format für Aktionärstreffen kann Vorteile für Unternehmen und Anleger bringen. Wichtig ist dabei jedoch, mögliche rechtliche Fallstricke sind zu beachten.

Neue Optionen für die Haupt­versammlung

Von Mirko Sickinger, Frankfurt

Die Hauptversammlung in Präsenz ist seit 120 Jahren Teil der deutschen Aktionärskultur. Ein befristetes Gesetz im Zuge der Corona-Pandemie ermöglichte erstmals die virtuelle Form als Alternative zur Präsenzveranstaltung. Diese Regelung lief zum 31. August 2022 aus, der Gesetzgeber hat die Option der virtuellen Hauptversammlung nun dauerhaft gesetzlich verankert.

Am 27. Juli 2022 trat das „Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung weiterer Vorschriften“ in Kraft. Damit stehen Unternehmen grundsätzlich vier Varianten der Hauptversammlung (HV) offen: in Präsenz, in virtueller Form mit oder ohne Fragestellungen im Vorfeld sowie in einer hybriden Form.

Individuelle Entscheidung

Welche Form geeignet ist, muss jede Gesellschaft mit Blick auf die Unternehmensgröße und den Aktionärskreis und die aktuelle Lage des Unternehmens abwägen. In jedem Fall sollten Gesellschaften ihre Satzung dahingehend anpassen. Denn eine virtuelle HV kann nach einer Übergangsfrist nur abgehalten werden, wenn diese in der Satzung der Gesellschaft vorgesehen ist, entweder direkt oder indem die Satzung den Vorstand dazu ermächtigt, eine solche einzuberufen. Die Bestimmung zur virtuellen HV in der Satzung ist dabei auf einen Zeitraum von längstens fünf Jahren nach Gründung oder Eintragung der entsprechenden Satzungsänderung be­fristet.

Virtuelle Hauptversammlungen können unmittelbare Vorteile für Unternehmen und Aktionäre mit sich bringen: eine vereinfachte Teilnahme, verschiedene Nachhaltigkeitseffekte sowie das Ausbleiben von Kosten für Saalmiete und Catering. Das Gesetz stärkt die Aktionärsrechte durch die deutliche Ausweitung des Fragerechts gegenüber der Pandemie-Gesetzgebung. Das Bundesjustizministerium weist zudem darauf hin, dass die Möglichkeit, das Fragerecht in das Vorfeld der Versammlung zu verlagern, zur Erhöhung der Qualität bei der Beantwortung von Aktionärsfragen beitragen dürfte. Die Vorverlagerung der Informations- und Entscheidungsprozesse ist sicherlich zu begrüßen, da dies die Versammlung selbst entzerren kann.

Kostenfrage

Doch dem entgegen stehen rechtliche und technische Unsicherheiten. So fehle laut Bundesrechtsanwaltskammer eine klare Definition, was unter „elektronischer Kommunikation“ und „elektronischer Briefwahl“ zu verstehen ist. Zudem sieht sie Unklarheiten im Hinblick auf die Zugänglichmachung von Fragen und auf unterschiedliche Vorgaben des Auskunftsrechts. Hinzu kommt, dass eine virtuelle oder hybride HV nicht per se kostengünstiger sein muss. Kosten können zum Beispiel entstehen, weil neue Technik angeschafft oder beim HV-Dienstleister gebucht werden muss.

Hinsichtlich einer rechtskräftigen Umsetzung von virtuellen HVs sind folgende Punkte zu beachten:

Einberufung und Kommunikationswege: Für die virtuelle HV gelten die üblichen Einberufungsfristen nach § 123 des Aktiengesetzes. Bei der Einberufung ist die Nennung eines physischen Ortes nicht mehr nötig. Stattdessen sollte in der Einberufung angegeben werden, wie sich Aktionäre und Bevollmächtigte zu der virtuellen Hauptversammlung zuschalten können. Die Gesellschaft muss in der Einberufung unbedingt eine Adresse angeben, unter welcher Aktionäre ihre Stellungnahmen einreichen können. Die Stimmrechtsausübung der Aktionäre muss auf elektronischen Kommunikationswegen möglich sein (etwa über die elektronische Teilnahme oder die elektronische Briefwahl sowie mittels Vollmachtserteilung). Die gesamte virtuelle Hauptversammlung muss dabei in Bild und Ton übertragen werden.

Stellungnahmen: Aktionäre können Stellungnahmen auf elektronischem Wege bis spätestens fünf Tage vor der HV an die Gesellschaft übermitteln. Hierdurch können sie noch den Bericht des Vorstands berücksichtigen, welcher ihnen bis spätestens sieben Tage vor der HV zugänglich gemacht werden muss. Zugänglich gemacht werden müssen die Stellungnahmen wiederum zwingend spätestens vier Tage vor der Versammlung; bei börsennotierten Gesellschaften muss dies über die Internetseite erfolgen. Das Recht kann auf ordnungsgemäß zu der Versammlung angemeldete Aktionäre beschränkt werden. Der Umfang der Stellungnahmen kann angemessen beschränkt werden – zum Beispiel in der Zeichenzahl bei Texten oder in der Dauer bei Videobeiträgen. So lässt sich das Prozedere für alle Beteiligten effizienter gestalten.

Aktionärsanträge: Aktionäre können Anträge per Videokommunikation in der HV stellen, auch solche, die keine Gegenanträge nach § 126 des Aktiengesetzes sind, d. h. Verfahrensanträge wie der Antrag auf Abwahl des Versammlungsleiters, der Antrag zur Vertagung der Hauptversammlung oder sonstige Geschäftsordnungsanträge. Gegenanträge, die vor der Hauptversammlung eingereicht werden, sollen im Zeitpunkt der Zugänglichmachung als gestellt gelten. Eine Abstimmung über den Antrag muss bereits im Vorfeld der Hauptversammlung ab dem Zeitpunkt des Zugänglichmachens ermöglicht werden.

Fragerecht: Die Gesellschaft kann Fragen im Vorfeld der Versammlung zulassen. Allerdings zeichnet sich bereits ab, dass die Praxis zur virtuellen Hauptversammlung ohne Zulassung von Vorfeld-Fragen neigt. Die Frist zur Einreichung von Aktionärsfragen mittels elektronischer Kommunikation liegt bei drei Tagen vor der Versammlung. Fristgerecht eingegangene Fragen müssen bis spätestens einen Tag vor der Versammlung von der Gesellschaft beantwortet und die Antworten zugänglich gemacht werden (bei börsennotierten Gesellschaften über deren Internetseite). Der Umfang der Einreichung von Fragen kann ebenfalls angemessen beschränkt werden, um den zeitlichen Rahmen der Hauptversammlung einzuhalten. In der Versammlung besteht ein Nachfragerecht zu Antworten auf vorab eingereichte Fragen.

Redebeiträge: Aktionäre können sich per Videokommunikation zu Wort melden. Redebeiträge können Anträge und Wahlvorschläge, Auskunftsverlangen und zulässige Fragen enthalten. Neu und zu beachten ist ein Fragerecht für Sachverhalte, die sich erst nach Fristablauf ergeben haben.

Anfechtungsgründe: Die durch eine technische Störung verursachte Verletzung von Rechten in der virtuellen Hauptversammlung kann nur dann zur Anfechtung berechtigen, wenn der Gesellschaft Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann.

Übergangsregelung: Eine Übergangsregelung sieht vor, dass die virtuelle Hauptversammlung bis einschließlich 31.8.2023 auch noch ohne die grundsätzlich erforderliche Satzungsermächtigung durch Beschluss des Vorstands mit Zustimmung des Aufsichtsrats einberufen werden kann. Bis zu diesem Datum sollte in der virtuellen Hauptversammlung dann jedoch eine entsprechende Satzungsermächtigung beschlossen werden, wenn beabsichtigt wird, auch in Zukunft virtuelle oder hybride Hauptversammlungen abzuhalten.

Hoher Mehraufwand

Mit dem Gesetz zur virtuellen Hauptversammlung hat der Gesetzgeber die Anforderungen an eine virtuelle Hauptversammlung neu definiert und dabei insbesondere die Aktionärspartizipation gestärkt. Ob die Gesellschaften auf dieser Basis nun auch in Zukunft eine virtuelle Hauptversammlung durchführen, bleibt abzuwarten. Bislang erscheint der Mehraufwand – trotz des potenziellen Wegfalls von Saalmiete oder Cateringkosten – hoch. Verantwortliche in Unternehmen tun gut daran, den Jahresübergang für die Entscheidung des passenden HV-Formats zu nutzen.

*) Dr. Mirko Sickinger ist Rechtsanwalt und Partner von Heuking Kühn Lüer Wojtek.