Steuerrecht

Steuerhar­monisierung wird global forciert

Über die letzten Jahre haben die Entwicklungen im Steuerrecht auf internationaler Ebene Fahrt aufgenommen. Die Motoren sind OECD und EU. Für Steuerpflichtige bedeutet dies laufende Veränderung.

Steuerhar­monisierung wird global forciert

Von Katharina Kubik*)

Wenige andere Rechtsgebiete sind einer solch raschen, regelmäßigen und inhaltlich oft tiefgreifenden Veränderung unterworfen wie das Steuerrecht. Gerade in Zeiten angespannter Staats- und Privathaushalte zeigt die Politik mit Hilfe des Steuerrechts auf, welche (nationalen) Lenkungsmaßnahmen möglich sind. Steuerpolitik und -gesetzgebung wurde und wird zumeist als nationales Aufgabengebiet gesehen, geht es doch in den meisten Staaten um Mittelaufbringung zur Finanzierung des Staatshaushalts.

Über die letzten Jahre haben aber auch die Entwicklungen im (Unternehmens-)Steuerrecht auf internationaler Ebene an Fahrt aufgenommen und einen (weiteren) großen Schritt in Richtung Harmonisierung gebracht. Vorangetrieben wurden diese Entwicklungen insbesondere durch die OECD, die (internationale) steuerpolitische Themen seit jeher auf der Agenda hat. Dabei lag der Fokus der OECD bislang auf Arbeiten zur Verhinderung von Doppelbesteuerung, die – aufgrund des grenzüberschreitenden Charakters – immer internationaler Aufmerksamkeit be­durften. Dies hat sich durch die Mandatierung der OECD durch die G20-Staaten im Nachgang zur Finanzkrise für das „Anti Base Erosion and Profit Shifting Projekt“ (Projekt zur Verhinderung von Gewinnkürzung und Gewinnverlagerung, kurz BEPS-Projekt) schlagartig geändert.

Das BEPS-Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, Steuerregelungen zu entwickeln, die die Verschiebung von Steuersubstrat und Steuerausfälle, verursacht durch die Steuerpraktiken mancher Steuerpflichtiger und u. a. ermöglicht durch die aggressive Steuerpolitik mancher Länder, verhindern. In 15 detaillierten Arbeitspunkten und Projektberichten wurden entsprechende Regelungen zur Umsetzung – sei es durch nationale Maßnahmen oder durch Abänderung von Doppelbesteuerungsabkommen – im Jahr 2015 vorgestellt. Insbesondere die EU hat diese Projektergebnisse aufgegriffen und in zwei Richtlinien (Anti Tax Avoidance Directive 1 und 2) umgesetzt. Durch die vorhandene internationale Unterstützung war auch das Einstimmigkeitserfordernis in direkten Steuerangelegenheiten für die EU hierbei kein Stolperstein und ein Schritt in Richtung weiterer Harmonisierung des Unternehmenssteuerrechts gemacht.

Seither ist die OECD eine noch stärkere Spielerin im Bereich der internationalen Steuerpolitik geworden, und ihr Einfluss auch auf nationale Gesetzgebung ist deutlich wahrnehmbar, insbesondere wenn es um den Kampf gegen Steuervermeidung und -hinterziehung, in den man das BEPS-Projekt übersetzen kann, geht. Hier trägt die OECD zu einer schrittweisen Harmonisierung im internationalen Steuerrecht bei, die bislang in dieser Form nicht vorhanden war, gleichzeitig für eine zielgerichtete Arbeit in diesem Bereich, die eine Verzahnung internationaler Steuersysteme braucht, aber unabdingbar ist.

Globale Mindestbesteuerung

Das aktuellste Projekt der OECD, das seit Herbst 2019 internationale Schlagzeilen gemacht hat und noch immer macht, ist Pillar 1/Pillar 2 – ein Nachzügler aus dem BEPS-Projekt. Nachdem das heutige internationale Steuersystem vorrangig an die physische Präsenz von Steuerpflichtigen anknüpft und damit die Mobilität bzw. Gegebenheiten von modernen (digitalen) Geschäftsmodellen nicht ausreichend berücksichtigt, wurde dieses Projekt zur Erarbeitung von steuerlichen Prinzipien für die Behandlung der digitalen Wirtschaft angelegt.

Mittlerweile hat es sich aber weit darüber hinausentwickelt: Pillar 1 soll die Besteuerung der weltgrößten Konzerne (gemessen am Umsatz und ihrer Profitabilität) mit einem Teil ihrer Gewinne in jenen Staaten ermöglichen, in denen sie ihr profitables Geschäft machen. Das bedeutet eine Abkehr von dem Prinzip, wonach Besteuerungshoheit mit physischer Präsenz verknüpft ist, hin zu einer aktivitätsbasierten Besteuerung.

Mit Pillar 2 steht nunmehr eine globale Mindestbesteuerung für multinationale Konzerne im Raum. Bei deren Einführung müssten Unternehmen mit grenzüberschreitenden Gesellschaftsstrukturen auf ihre weltweiten Einkünfte länderweise eine effektive Besteuerung von mindestens 15% vorweisen, andernfalls wird diese durch entsprechende Regelungen sichergestellt.

Da der OECD aber keine Gesetzgebungskompetenz zukommt, kann sie bei den aktuellen Entwicklungen rund um Pillar 1/Pillar 2 nur die Ausarbeitung der Detailregelungen und Kommentierungen vorantreiben, bei der nationalen Umsetzung muss sie jedoch die Rolle der Zuseherin einnehmen. Und die muss teilweise schmerzhaft sein, wenn man das politische Tauziehen in der EU bei der Umsetzung der Richtlinie zu Pillar 2 bedenkt: Zuerst hatte sich unter der Ratspräsidentschaft Frankreichs Polen gegen die Richtlinie quergestellt und sich die Zustimmung „abkaufen“ lassen. Zuletzt war sie am Widerstand Ungarns vorläufig gescheitert. Die tschechische Ratspräsidentschaft wird, dem Vernehmen nach, dieses Projekt aber weitertreiben. Dies wäre vor dem geplanten Inkrafttreten (2023/2024) auch durchaus begrüßenswert.

Sollte eine Einstimmigkeit in den nächsten Wochen nicht erzielt werden, so haben sich Deutschland, Spanien, Italien, Frankreich und die Niederlande dazu kommittiert, unilaterale Maßnahmen zur Einführung einer Mindestbesteuerung 2023 umzusetzen.

Für Pillar 1 hingegen müssen international bestehende Abkommen angepasst werden; daran arbeitet die OECD gerade noch. Es bleibt daher abzuwarten, in welchem Zeitrahmen deren Umsetzung erfolgen wird.

Laufende Veränderung

Obwohl noch keine unmittelbare Umsetzung der Pillar-2-Richtlinie in Sicht ist, hat die EU in den letzten Monaten weitere ambitionierte steuerpolitische Vorhaben präsentiert – sieht man einmal von den Maßnahmen rund um die Besteuerung der Energiebranche ab. Die meisten können ebenfalls dem Kampf gegen Steuervermeidung und -hinterziehung bzw. dem Verlangen nach mehr Transparenz in steuerlichen Belangen zugeordnet werden.

So soll die geplante Substanz-Richtlinie eine Harmonisierung bei der Identifizierung von sowie Gewährung oder Versagung von steuerlichen Begünstigungen an EU-Briefkastengesellschaften bringen – Umsetzung und Inkrafttreten (ursprünglich geplant für 2024) sind aktuell noch in der Schwebe. Denn Pillar 2 wurde auf EU-Ebene grundsätzlich Vorrang eingeräumt.

Daneben sollen multinationale EU-Unternehmen verpflichtet werden, ihre effektive Besteuerung – hier soll eine Verknüpfung mit Pillar 2 erreicht werden – zu veröffentlichen. Neben dem öffentlichen Country-by-Country Reporting, welches für Geschäftsjahre beginnend ab Mitte 2024 gelten soll und die Veröffentlichung von u. a. Informationen über die Geschäftstätigkeit und Wertschöpfungskette vorsieht, sowie den neuen Meldeverpflichtungen für digitale Plattformbetreiber (DAC7) ab 2023 stellt dies eine weitere Maßnahme zur Transparenzförderung in Konzernsteuerthemen dar.

Gleichzeitig möchte die EU-Kommission verstärkt gegen Vermittler („Enabler“), die Strukturen in Nicht-EU-Ländern gestalten, vermarkten und unterstützen, vorgehen und damit einen weiteren Schritt im Kampf gegen Steuerhinterziehung und aggressive Steuerplanung gehen. Dazu ist aktuell und noch bis Mitte Oktober eine öffentliche Konsultation im Gange.

Und damit nicht genug: Auch für Pillar 1 könnte sich die EU eine Richtlinie zur Umsetzung vorstellen und möchte damit gleichzeitig das Projekt der Gemeinsamen (konsolidierten) Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage, vormals C(C)CTB und nunmehr BEFIT, wieder aufgreifen. Weitere Details dazu sind aktuell noch nicht bekannt.

Für Steuerpflichtige bedeutet dies vor allem eines: laufende Veränderung. Das ist für Steuerpflichtige, insbesondere Unternehmen, wie eingangs erwähnt grundsätzlich nichts Neues. Aber das Tempo, mit dem einerseits Neuerungen, aber gleichzeitig auch Harmonisierung vorangetrieben werden, ist neu. Die Geschwindigkeit sowie die grundlegenden Änderungen können jedoch zu Streitanfälligkeit führen, gerade im internationalen Kontext. Es bleibt daher zu hoffen, dass alle Regelungen wo möglich auch mit korrespondierenden, robusten Streitvermeidungs- und -beilegungsmechanismen einhergehen bzw. die Ressourcen für diese und bereits bestehende Mechanismen aufgestockt werden, um den Rechtsschutz für den Steuerpflichtigen zu gewährleisten.

*) Katharina Kubik ist Partnerin für Steuerrecht im Wiener Büro von Freshfields Bruckhaus Deringer.