RECHT UND KAPITALMARKT

Neue Versicherung für Distressed M&A

Weiteres nützliches Instrument - Covid-19-Pandemie bringt auch gut geführte Unternehmen in ökonomische Schieflage

Neue Versicherung für Distressed M&A

Von Sebastian Pauls und Philipp Giessen *) Die Covid-19-Pandemie und der mit ihr einhergehende Lockdown haben für viele Unternehmen drastische wirtschaftliche Folgen. In Europa werden auf jeweils nationaler Ebene sowie auf Unionsebene beispiellose Hilfeleistungen zugesagt, nicht selten werden diese aber nicht ausreichen, um die Langzeitfolgen der Pandemie aufzufangen. Mit der Häufung von wirtschaftlich notleidenden Unternehmen wächst die Bedeutung sogenannter Distressed-M&A-Transaktionen, also Transaktionen, bei denen Verkäufer bzw. Zielgesellschaft(en) bereits insolvent sind oder die Insolvenz droht. Nach allgemeiner Markteinschätzung wird die schon jetzt erhöhte Aktivität im Bereich der Distressed-M&A-Transaktionen weiter steigen. Neben dem hierfür naheliegenden Grund, dass die Zahl notleidender Unternehmen mit Fortdauer der Pandemie wächst, ist diese Entwicklung auch neuen Ursachen für die finanzielle Schieflage (Distress) geschuldet.Bislang war die ökonomische Notlage eines Unternehmens häufig auf Fehlentscheidungen des Managements zurückzuführen, was zwei Hindernisse für potenzielle Transaktionen bereitete: Entweder war aufgrund dieses Missmanagements bzw. aufgrund der Stellung eines Insolvenzverwalters verkäuferseitig niemand bereit, Garantien betreffend das Zielunternehmen bzw. die Transaktion im marktüblichen Umfang abzugeben, oder aber es fand sich kein Versicherungsunternehmen, das wegen der drohenden Haftungsrisiken gewillt war, eine sogenannte Warranty-&-Indemnity(W&I)-Versicherung zur Deckung dieser Risiken abzuschließen. Beides führte dazu, dass Distressed-M&A-Transaktionen für potenzielle Käufer erhebliche Risiken bargen.Weil durch die Covid-19-Pandemie nun auch gut geführte Unternehmen in ökonomische Schieflage geraten, die Krisenursache also nicht an Missmanagement liegt, ist zu beobachten, dass Versicherer vermehrt bereit sind, W&I-Versicherung für solche Transaktionen anzubieten. Zudem etabliert sich im deutschen und europäischen Markt allmählich eine aus Skandinavien und Großbritannien bereits bekannte Praxis, die das Käuferrisiko mit Blick auf unbekannte Risiken aus der Transaktion auch dann verringert, wenn keine verkäuferseitigen Garantien abgegeben werden: die Distressed-M&A(DMA)-Versicherung. Volle synthetische LösungDie DMA-Versicherung bietet eine synthetische Lösung, die abseits des Kaufvertrags in der Versicherungspolice stattfindet. Dort definieren Versicherer und Käufer eigenständig eine garantieähnliche Deckung, die den üblichen verkäuferseitigen Garantiekatalogen entspricht. Im Gegensatz zur W&I-Versicherung sichert die Police damit nicht Verkäufergarantien ab, sondern begründet eine eigenständige Verpflichtung des Versicherers losgelöst vom Kaufvertrag. Der Käufer erhält hingegen die Absicherung, die er auch im Fall von entsprechenden verkäuferseitigen Garantien im Kaufvertrag erhalten hätte. Der Verkäufer ist hieran nicht beteiligt und wird nicht dem Risiko eines Regresses durch den Versicherer ausgesetzt.Die DMA-Versicherung wird meist genutzt, wenn eine Transaktion in Ermangelung von Garantien (und damit der Grundlage für eine W&I-Versicherung) zu scheitern droht. Gleichzeitig erschöpft sich hierin die Neuerung der DMA-Versicherung. Denn wie die W&I-Versicherung übernimmt die DMA-Versicherung “nur” die Absicherung von Risiken, die nach verkäuferseitiger Offenlegung und käuferseitiger Due Diligence unbekannt geblieben sind. Sie ist kein neues Instrument zur Versicherung bereits identifizierter Risiken; hierfür dienen weiterhin Contingent-Risk-Versicherungen (z. B. für identifizierte Steuerrisiken).Für Käufer eines in der Krise befindlichen Unternehmens bietet der Versicherungsmarkt damit zwei Absicherungsmöglichkeiten für unbekannte Risiken. Sollte der Verkäufer bereit sein, selbständige Garantieversprechen abzugeben, ist die richtige Absicherungsvariante die W&I-Versicherung. Diese greift im Falle einer Verletzung der verkäuferseitigen Garantien und sichert den Käufer als Versicherungsnehmer für daraus entstandene Schäden ab. Hat der Verkäufer etwa garantiert, dass eine für das Geschäft wesentliche Genehmigung besteht, die aber tatsächlich bei Unterzeichnung des Kaufvertrags unwirksam war, kann der Käufer seinen auf dieser Garantieverletzung beruhenden Schaden beim Versicherer geltend machen. Die W&I-Versicherung steht bei solchen Transaktionen grundsätzlich auch dann zur Verfügung, wenn die Haftung des Verkäufers für Garantieverletzungen ausgeschlossen ist. Eine solche Privilegierung bei der Haftung wird viele Verkäufer dazu bewegen, dem Bedürfnis des Käufers nach Garantien und darauf aufbauender W&I-Deckung nachzukommen.Da ein Ausschluss der Haftung für auf Vorsatz und ins Blaue hinein getätigte Angaben beruhende Garantieverletzungen gesetzlich unzulässig ist, wird es allerdings auch Fälle geben, in denen der Verkäufer trotz der Haftungsprivilegierung nicht bereit ist, Garantien abzugeben. In diesem Fall steht für Käufer mit der DMA-Versicherung eine neue Versicherungslösung bereit. Diese bietet eine Absicherung, die im Deckungsbereich der W&I-Versicherung sehr stark ähnelt, im Gegensatz zur W&I-Versicherung aber keine Verkäufergarantien voraussetzt.Inhaltlich weist die Deckung der Police einen Umfang auf, der den üblichen Garantiekatalogen entspricht, d. h. die Absicherung fundamentaler Risiken (z. B. lastenfreies Eigentum) sowie operativer Risiken (z. B. die Existenz von Genehmigungen oder Kundenverträgen). Dem Umstand geschuldet, dass verkäuferseitig keine Garantien abgegeben werden, kann die DMA-Versicherung aber bestimmte marktübliche Garantietypen, wie etwa solche, die von Verkäuferwissen abhängen, nicht abdecken. Wegen eines erhöhten Risikoprofils und fehlender Regress-Möglichkeiten ist die DMA-Versicherung zudem etwas teurer als die W&I-Versicherung. Verhandlungen erleichtert Wie bei der W&I-Versicherung sind die umfassende und gewissenhafte Informationsoffenlegung durch den Verkäufer (bzw. die Zielgesellschaft) und eine darauf aufbauende käuferseitige Due-Diligence-Prüfung die grundlegende Voraussetzung für die DMA-Versicherung. Diese Anforderung wird bei vielen Transaktionen im Distressed-Umfeld allerdings eine Herausforderung sein, insbesondere wenn zur Bereitstellung der Informationen bzw. für deren Prüfung nur wenig Zeit zur Verfügung steht oder wegen des Abgangs wichtiger Manager Reporting-Strukturen zusammengebrochen und Informationen deswegen nicht mehr verfügbar sind. Die Möglichkeit, den W&I-Prozess in einer solchen Konstellation zeitlich erst nach Unterzeichnung des Kaufvertrags abzuschließen, mag nicht jedem Käufer belieben.Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mit der DMA-Versicherung ein nützliches Instrument für viele Distressed-M&A-Deals existiert. Sie ist in der Lage, solchen Käuferkreisen den Zugang zum Distressed-Markt zu bereiten, die bisher mangels Verkäufergarantien nicht in diesen Bereich investieren konnten bzw. wollten. Für den Verkäufer bedeutet diese Entwicklung durch das gesteigerte Käuferinteresse einen erhöhten Bieterwettbewerb und einen Clean Exit, da unbekannte Risiken auf die Versicherer verlagert werden, ohne dass eine Inanspruchnahme durch den Versicherer zu befürchten ist. Nicht zuletzt dürften die Verhandlungen zwischen Käufer und Verkäufer deutlich erleichtert werden, wenn das Streitthema der Garantien außen vor bleiben kann.Aufgrund der Anforderungen der Versicherer an Due Diligence und Informationsbereitstellung ist die DMA-Versicherung aber nicht in allen Konstellationen einsetzbar. Daher sollten die Parteien zunächst Voraussetzungen und Grundlagen prüfen, um zu entscheiden, welche Versicherungslösung – W&I oder DMA – genutzt werden soll. *) Dr. Sebastian Pauls ist Partner von Latham & Watkins, Dr. Philipp Giessen Head of Private Equity and M&A von Marsh, München.