Dieselmotoren

Europäischer Gerichtshof bringt Autobauer in Bedrängnis

Der EuGH stärkt die Schadenersatzansprüche von Dieselfahrern. Anlass ist eine Klage gegen Mercedes-Benz – doch das Grundsatzurteil ist über den Einzelfall hinaus bedeutsam.

Europäischer Gerichtshof bringt Autobauer in Bedrängnis

rec Brüssel

Acht Jahre nach Auffliegen des Dieselskandals steht deutlich mehr Autobesitzern in Deutschland Schadenersatz zu als bislang angenommen. In einem wegweisenden Urteil ist Mercedes-Benz vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) unterlegen: Demnach haften Autohersteller grundsätzlich, wenn Käufern von Dieselautos durch eine illegale Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (AZ C-100/21).

Das Urteil könnte beträchtliche Folgen für eine Reihe von Autoherstellern haben – auch für solche, die auf vergleichbare Systeme zur Abgasreinigung setzen wie Mercedes-Benz. Denn die Luxemburger Richter gehen deutlich über die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) hinaus: Laut ihrem Urteil sind Hersteller nicht nur bei vorsätzlichem Betrug zu Schadenersatz verpflichtet, sondern schon bei fahrlässigem Handeln. Der BGH urteilte dahingehend bislang eher im Sinne der Industrie.

Das Grundsatzurteil der Luxemburger Richter dürfte somit Folgen für zahlreiche laufende Verfahren haben. Allein am BHG sind mehr als 1 000 Verfahren anhängig, in denen es um die Abgasreinigung bei Dieselmotoren geht. Verbraucheranwälte, die auf entsprechende Klagen spezialisiert sind, sehen in dem EuGH-Urteil darüber hinaus die Grundlage für eine neue „Klagewelle“.

Streitpunkt „Thermofenster“

Die umstrittenen Systeme zur Abgasreinigung sind so programmiert, dass sie bei niedrigen Außentemperaturen eingeschränkt funktionieren. Dadurch stoßen die Autos mehr Schadstoffe aus. Die Hersteller begründen dies mit dem Schutz des Motors. Sie sprechen von einem „Thermofenster“. Diese Praxis unterscheidet sich von den Betrügereien, mit denen Volkswagen 2015 in den USA aufflog: VW setzte eine Schummelsoftware ein, um bei Abgastests zu bestehen. Für Kritiker sind auch die „Thermofenster“ rechtswidrig.

Dem haben sich unter anderem die Richter am Landgericht Ravensburg angeschlossen. Vorsätzliches Handeln von Mercedes-Benz erkennen sich gleichwohl nicht. Deshalb haben sie sich an den EuGH gewandt, um klären zu lassen, ob dem Kläger trotzdem Schadenersatz zusteht – was die Luxemburger Richter bejahen.

Es bleibt nun deutschen Zivilgerichten bis hinauf zum Bundesgerichtshof überlassen, wie sie das EuGH-Urteil anwenden. Das schließt die Höhe von Schadenersatzansprüchen ein. Darauf weist Mercedes-Benz hin. „Der EuGH hat klar betont, dass es nur um den Schaden geht, der einem Käufer tatsächlich entstanden ist“, sagt eine Unternehmenssprecherin. „Zudem muss eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen, was im vorliegenden Fall streitig ist.“ Der Rechtsanwalt Remo Klinger, der die Deutsche Umwelthilfe (DUH) in zahlreichen Verfahren vertritt, sieht in dem EuGH-Urteil hingegen einen „großen Erfolg für den Verbraucherschutz“. Millionen Dieselfahrer hätten dadurch Anspruch auf Schadenersatz.

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