Vor Zinsentscheid

Rekordinflation bringt EZB in Zugzwang

Bundesbankchef Joachim Nagel fordert eine kräftige Zinserhöhung. Die Ampel-Koalition ringt über die Kabinettsklausur in Meseberg hinaus um Entlastungen.

Rekordinflation bringt EZB in Zugzwang

rec Frankfurt

Die Verbraucherpreise in der Eurozone steigen so stark wie nie seit Einführung des Euro. Der erstmalige Anstieg der Inflationsrate über die 9-Prozent-Marke bringt die Europäische Zentralbank (EZB) in Zugzwang. Eine Woche vor der EZB-Ratssitzung drängt Bundesbankchef Joachim Nagel: „Wir brauchen im September eine kräftige Zinsanhebung.“

Der EZB-Rat tagt nächste Woche Mittwoch und Donnerstag. Eine Zinserhöhung gilt als ausgemachte Sache, der Umfang ist aber umstritten. Inzwischen hat sich ein halbes Dutzend Notenbanker öffentlich für eine Erhöhung um 75 Basispunkte ausgesprochen. In einem ersten Schritt in Höhe eines halben Prozentpunkts hatte die EZB im Juli den Negativzins abgeschafft.

Dass sich die Inflation nun weiter verschärft hat, erhöht den Druck, mehr zu tun. Die Teuerungsrate ist im August auf 9,1% gestiegen, wie eine Schnellschätzung des Statistikamts Eurostat ergab. Zweistellige Inflationsraten in Deutschland und der Eurozone sind wohl nur noch eine Frage der Zeit. Analysten heben hervor, dass auch die Kerninflationsrate stärker gestiegen ist als erwartet, von 4,0% auf 4,3%. Hier sind die besonders stark gestiegenen Preise für Energie und Nahrungsmittel außen vor. Die Verbraucherpreise steigen demnach auf breiter Front.

Appell aus der Wirtschaft

Bundesbankchef Nagel bringt deshalb Besorgnis zum Ausdruck: „Es besteht das Risiko, dass die Phase hoher Inflation noch länger anhält und die aktuelle Teuerungswelle nur langsam abebbt.“ Auch aus der Wirtschaft kommen Forderungen an die EZB, die Leitzinsen stark zu erhöhen. Der Chef des Groß- und Außenhandelsverbands BGA, Dirk Jandura, dringt auf einen „beherzten Zinsschritt“ der EZB. „Das kann die letzte Möglichkeit sein, überhaupt noch Zinsen zu erhöhen und damit etwas gegen die Inflation zu tun.“ Beobachter rechnen hingegen mit einer Serie von Zinserhöhungen. Den Großhändlern macht laut BGA die Kombination aus hoher Inflation und schwächelndem Euro zu schaffen.

Die europäische Gemeinschaftswährung ist auf den niedrigsten Stand seit fast zwei Jahrzehnten abgerutscht. Der Euro schwankt derzeit um die Parität zum Dollar. Die Euro-Schwäche treibt auch den EZB-Rat um. Denn über höhere Importpreise treibt dies die Kosten von Unternehmen und heizt die Inflation an.

Lindner sieht Milliardenreserven

Vor dem Hintergrund des Energiepreisschocks ringt die Ampel-Koalition um Entlastungen für Bürger und Unternehmen. Die Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg ist allerdings ohne Einigung zu Ende gegangen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat zum Abschluss „ein sehr präzises und maßgeschneidertes Entlastungspaket“ in Aussicht gestellt. Dazu würden in den nächsten Tagen weitere Gespräche geführt.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) forderte „ein wuchtiges Paket für Entlastungen in der ganzen Breite der Gesellschaft“. Lindner verwies auf Reserven im Bundeshaushalt in Höhe eines einstelligen Milliardenbetrags in diesem und eines zweistelligen Milliardenbetrags im nächsten Jahr. Geeinigt hat sich die Ampel darauf, das Strommarktdesign zu ändern. Im Zuge der Gaskrise sind auch die Strompreise durch die Decke geschossen.

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