Vor der Bewährung

Die Notenbanker haben sich zügig auf eine neues klareres Inflationsziel und auf mehr „Grün“ in der Geldpolitik geeinigt. Mitunter aber hatte man sich aber doch etwas mehr erhofft.

Vor der Bewährung

Am Ende ging alles sehr schnell. Zwar hatte sich zu­letzt abgezeichnet, dass der EZB-Rat seine erste Strategieüberprüfung nach fast 20 Jahren schneller abschließen könnte als lange avisiert – nämlich erst Ende des Sommers oder im Herbst. Für vie­le Beobachter aber kam es dann doch überraschend, wie zügig die Notenbanker Fakten schufen. Bei selbigen bleibt dafür die große Überraschung aus: ein klareres Inflationsziel, die Einbeziehung von Wohnkosten, mehr „Grün“ in der Geldpolitik – vieles war so erwartet und bedeutet mehr Evolution statt Revolution. Das muss keineswegs schlecht sein. Mitunter hätte man sich aber doch etwas mehr erhofft.

Positiv ist sicher allem voran, dass sich der EZB-Rat trotz Kon­troversen recht rasch und ge­räuschlos auf eine Position verständigt hat. Ein ewiges Gezänk oder öffentliches Gezeter wäre fatal gewesen – für die interne Stimmung wie für die externe Wahrnehmung. Positiv ist zu­dem, dass die Strategieentscheidung nun getroffen ist, bevor wohl im September das Verdikt über die Zukunft des Pandemie-Notfallanleihekaufprogramms PEPP ansteht. Aber für den Konsens brauchte es natürlich Kompromisse. Und deshalb sollte sich niemand der Illusion hingeben, dass aller Streit im EZB-Rat für alle Zeiten ausgeräumt ist.

Das gilt auch und vor allem für das Inflationsziel, das im Zentrum der Review stand. Sicher ist das jetzige Ziel von 2% klarer als das bisherige „unter, aber nahe 2%“. Aber so wie die Notenbanker bislang munter streiten konnten, ob nicht auch 1,5% oder 1,6% nahe genug an den 2% wären, können sie künftig etwa lebhaft darüber ringen, für wie lange ein Überschießen der 2% toleriert werden darf. Er­freulich ist in jedem Fall, dass die EZB kein explizites durchschnittliches Inflationsziel „Average Inflation Targeting“ à la Fed einführt. Das birgt mehr Risiken als Chancen. Was dage­gen fehlt, ist etwa eine Analyse, welche Lehren die Finanzkrise für die Geldpolitik bereithält, oder klare Ansagen zur Trennung von Fiskal- und Geldpolitik.

Was nun die weitere Geldpolitik betrifft, könnten das neue Inflationsziel und die Toleranz für zeitweise höhere Raten so­gar dafür sprechen, noch expansiver zu werden. Davor sollte sich die EZB aber hüten. Die Geldpolitik ist bereits „kraftvoll“, wie es im neuen EZB-Sprech heißt. Stattdessen ist die Zeit reif, zumindest mal zu be­sprechen, wie der Weg aus den Coronahilfen geschafft werden kann. Die EZB darf die Inflationsgefahren nicht negieren und sie muss jeden Eindruck verhindern, dass sie die Geldpolitik vollends in den Dienst der Staatsfinanzen stellt. Der wahre Bewährungstest für die neue Strategie erfolgt erst in der Praxis.

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