Monopolkommission

„Die Deutschland-AG hat sich aufgelöst“

Große Unternehmen haben laut Monopolkommission in Deutschland einen sinkenden Anteil an der Wertschöpfung. Die Experten empfehlen, die Wettbewerbsordnung an die ökologisch-digitale Transformation anzupassen.

„Die Deutschland-AG hat sich aufgelöst“

wf

Berlin – „Die Deutschland-AG hat sich aufgelöst“, sagte Achim Wambach, Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes ZEW und scheidendes Mitglied der Monopolkommission, vor der Presse in Berlin. Der Anteil der 100 größten deutschen Unternehmen an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung ist 2020 auf 14,0% gesunken. Ende der 1970er­ Jahre lag der Anteil bei fast 20%. Auch personell und beim Kapital sind deutsche Großunternehmen nicht stärker verflochten, konstatierte Wambach. Die unabhängige Mo­no­polkommission berät die Bundesregierung in Wettbewerbsfragen. Sie übergab Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Dienstag in Berlin ihr neues Hauptgutachten.

Die Experten konstatierten mit Blick auf die Unternehmenskonzentration allerdings, dass die indirekte Verflechtung von Wettbewerbern über Anteile institutioneller Investoren – etwa Blackrock oder Vanguard – in Europa weiterhin auf hohem Niveau sei. Nahezu 80% der Wirtschaftsbereiche in Europa seien indirekt horizontal verflochten.

Regulierte Branchen kritisch

Die regulierten Wirtschaftsbereiche hierzulande – Telekommunikation, Post und Schienengüterverkehr – sollten aus Sicht der Monopolkommission genauer beobachtet werden. Dort sei die Konzentration deutlich gestiegen. Die Wettbewerbskräfte sollten gestärkt werden. Mit Blick auf die Schiene rät die Monopolkommission, Netz und Betrieb zu trennen. Das Expertengremium misst regelmäßig die Unternehmenskonzentration. Große Konglomerate gelten als wettbewerbsschädlich. Das starke Wachstum der Tech-Giganten wie Google, Apple, Facebook und Amazon hat laut Gutachten die schon zerstreuten Sorgen aus den 1960er und 1970er Jahren wiederbelebt.

Vorschläge machte die Monopolkommission zu geplanter Gesetzgebung. Die Überlegungen des Wirtschaftsministeriums, das Kartellrecht zu verschärfen, bewerten die Experten grundsätzlich positiv, sagte der Vorsitzende der Monopolkommission, Jürgen Kühling. Infolge der hohen Spritpreise, die auch der steuerliche Tankrabatt nicht drückte, hatte Habeck im Juni eine Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ankündigt. Die Eingriffsmöglichkeiten des Kartellamtes bis hin zur Entflechtung von Unternehmen ohne Nachweis des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung sollen damit gestärkt werden. Kühling erinnerte daran, dass die Monopolkommission die Möglichkeit einer missbrauchsunabhängigen Entflechtung 2010 untersucht habe. Dabei seien Voraussetzungen für ein solches Instrument, aber auch Grenzen aufgezeigt worden.

Wachsender Marktmacht im Zuge der Digitalisierung sollte der Gesetzgeber wirksam begegnen, unterstrich Kühling. Die Kommission rät dazu, die im europäischen Digital Markets Act vorgesehene Regulierung der „Gatekeeper“ auf digitalen Märkten um nationale Vorschriften zu ergänzen: Es sollten Unterlassungs- und Schadenersatzklagen eingeführt werden. Im verarbeitenden Gewerbe werde die digitale Transformation von zunehmender Marktmacht begleitet. Indikator sei die Höhe der Preisaufschläge auf die Produktionskosten. Vor allem große Unternehmen und Unternehmen in hoch konzentrierten Branchen wie in der Kokerei und Mineralölverarbeitung hätten bereits vor der aktuellen Krise deutlich steigende Preisaufschläge realisiert.

Vorsicht bei Nachhaltigkeit

Mit Blick auf die Verwirklichung von Nachhaltigkeitszielen lehnt die Monopolkommission eine generelle Ausnahme solcher Initiativen vom Kartellrecht ab. Nachhaltigkeitsziele, die mit Kooperationen und Unternehmenszusammenschlüssen verfolgt werden, sollten bei der kartellrechtlichen Prüfung nur bestehen, sofern damit Vorteile für die Verbraucherinnen und Verbraucher verbunden sind, sagte Pamela Knapp, Mitglied der Monopolkommission.

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