Digitalisierung

„Digitale Transformation ist kein Selbstläufer“

Digitalisierung und Nachhaltigkeit gewinnen im Mittelstand umso stärker an Bedeutung, je mehr die Belastungen der Coronakrise in den Hintergrund treten. In zwei Konferenzen wurde gestern über deren künftige Entwicklung diskutiert. Zum einen wurde deutlich, dass die Gefahr einer sinkenden Ausgabendynamik für Digitalisierungsprojekte besteht, zum anderen wurde die unklare Definition von Nachhaltigkeit kritisiert, die erhebliche finanzielle Folgen haben kann.

„Digitale Transformation ist kein Selbstläufer“

md Frankfurt

Die Coronakrise hat bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) zu einem Zielkonflikt geführt: Einerseits gilt es, die finanzielle Resilienz zu stärken, andererseits Investitionen zur Sicherung der künftigen Wettbewerbsfähigkeit vorzunehmen. Darauf wies Fritzi Köhler-Geib in einer Podiumsdiskussion des Bundesverbandes Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB) hin. Die Chefvolkswirtin der KfW Bankengruppe berichtete jedoch von einem Digitalisierungsschub in der deutschen Wirtschaft, der durch die Krise ausgelöst wurde, während die Investitionen in Sachanlagen im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2019 um 6,4% auf 408 Mrd. Euro zurückgegangen seien. Allerdings sei auch nach Überwindung der Krise eine „tiefgreifende digitale Transformation kein Selbstläufer“. Damit warnt Köhler-Geib die KMUs, sich mit dem in relativ kurzer Zeit Erreichten zufriedenzugeben. „Es passiert was in Deutschland, aber es passiert nicht genug.“

Rang 18 von 28

Derzeit hinkt Deutschland in puncto Digitalisierung vielen anderen Industrieländern hinterher. Nach Aussage von Köhler-Geib nimmt Deutschland im internationalen Vergleich nur eine Position im Mittelfeld ein. Der Indikator „The Digital Economy and Society Index“ (Desi) der Europäischen Union gibt ihr recht: Danach liegt Deutschland auf Rang 12 unter den 28 EU-Ländern (Stand 2020). In Bezug auf die Integration digitaler Technologien in der Wirtschaft rangiert Deutschland sogar nur auf Platz 18. Der einzige Flächenstaat, der noch schlechter abschneidet, ist Italien (siehe Grafik).

Und als wäre das noch nicht schlimm genug, verfügt Deutschland laut dem „Monitoring-Report Wirtschaft Digital“ über keine ausgeprägten digitalisierungsspezifischen Stärken. Die symptomatische Folge davon sei eine ausgeprägte Exportschwäche bei Informationstechnologien.

Auch wenn im Zuge der Coronakrise viele mittelständische Unternehmen ihre Digitalisierungsaktivitäten gesteigert hätten, sollte nach An-sicht von Volker Zimmermann weiter ein Schwerpunkt der Mittelstandspolitik auf der Förderung der digitalen Transformation liegen. Der KfW-Volkswirt und Experte für Mittelstand, Wettbewerbsfähigkeit und Innovation sagte in einem Round-Table-Gespräch des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM): „Häufig haben sich die Unternehmen während der vergangenen Krisenmonate auf schnell umsetzbare Maßnahmen konzentriert – langfristige Vorhaben wurden aber zurückgestellt.“

Ein Problem der digitalen Transformation sowie von Nachhaltigkeit ist die Komplexität der Definition, aber auch der Antragstellung für öffentliche Gelder. Während Köhler-Geib als Beispiel „grüne Anlagen“ anführte, deren voneinander abweichende Definitionen zu „signifikant unterschiedlichen Werten“ führten, kritisierte der Abgeordnete im Europäischen Parlament Niklas Nienaß (Bündnis 90/Die Grünen) in der VÖB-Veranstaltung, dass es nicht sein dürfe, dass Anträge nur von Unternehmen gestellt werden könnten, die über einen eigenen Justiziar oder eine eigene Rechtsabteilung verfügten. In diesem Punkt war Nienaß gar nicht weit entfernt von Nicola Beer (FDP), ebenfalls Abgeordnete im Europaparlament, die ebenfalls eine einfache Gestaltung von Anträgen auf öffentliche Gelder forderte sowie eine Vereinfachung der Berichtspflichten und eine Konsolidierung der Belastungsebenen im Bereich Umweltschutz.

Wie Köhler-Geib bemängelte auch Beer die Definitionsvielfalt von nachhaltigen Projekten; nach Ansicht der ehemaligen Generalsekretärin der FDP (Ende 2013 bis April 2019) könne dies zu „Greenwashing“ führen, also einem umweltfreundlichen und verantwortungsbewussten Unternehmensimage, ohne dass es dafür eine hinreichende Grundlage gibt.

Beer und Köhler-Geib waren sich auch in der großen Bedeutung der Planungssicherheit für Unternehmen einig. Als Beispiel nannte die FDP-Politikerin Dekarbonisierungsprojekte; Unternehmen würden diese mit einem Zeithorizont von zehn bis 20 Jahren durchführen. Da könne es nicht sein, dass Parlamente alle zwei, drei Jahre Änderungsbeschlüsse zu den Gesetzen fassten, auf denen die Projekte basierten.