Im BlickfeldHersteller- vs. Handelsmarken

Eigenmarken der Discounter gewinnen Marktanteile

In Krisenzeiten greifen Verbraucher verstärkt zu Eigenmarken der Lebensmittel-Einzelhändler. Von 2021 auf 2022 ist der Anteil dieser Handelsmarken ungewöhnlich stark gestiegen – zum Leidwesen der Herstellermarken.

Eigenmarken der Discounter gewinnen Marktanteile

Handelsmarken sind auf dem Vormarsch

Marktanteil dürfte auch dieses Jahr und 2024 steigen – Lebensmittel-Discounter profitieren am stärksten – GfK: Konsum wird trotz Sparens nachhaltiger werden

Von Martin Dunzendorfer, Frankfurt

In Krisen achten Verbraucher verstärkt auf den Preis, weniger auf Qualität. Davon profitieren insbesondere die Eigenmarken des Lebensmittel-Einzelhandels, zumal deren Güte in vielen Fällen kaum noch der von Herstellermarken hinterherhinkt. Der Marktanteil von Handelsmarken könnte so Rekordhöhen erreichen.

Viele Verbraucher in Deutschland sind verunsichert, was ihre wirtschaftliche Zukunft betrifft, und gehen entsprechend vorsichtig mit ihrem Haushaltsgeld um. Wie aus einer Konsumentenumfrage des Marktforschers GfK hervorgeht, achten 54% der Verbraucher "vor allem auf den Preis"; das ist die höchste Quote seit vielen Jahren. Umgekehrt sagen nur noch 46%, dass sie "vor allem auf Qualität" Wert legen.

Der Trend zu größerer Preisorientierung zeigt sich auch im weiter zunehmenden Wechsel von Herstellermarken zu günstigeren Handelsmarken bei Fast Moving Consumer Goods (FMCG). Darunter versteht man Waren, die schnell im Verkaufsregal rotieren – z.B. Lebensmittel, Körperpflegeprodukte, Reinigungsartikel, Heimtierbedarf und Tabakwaren. Solche schnelldrehenden Produkte kaufen Konsumenten häufig spontan, in der Regel routiniert und ohne lange zu überlegen ein. Grund dafür ist bei den Gütern des täglichen Bedarfs der relativ niedrige Preis und die einfache Substituierbarkeit.


Definitionen

Eine Eigen- oder Handelsmarke bezeichnet ein Produkt oder eine Produktreihe, die einem Handelsunternehmen oder einer -organisation gehört und auch nur in diesen Häusern oder deren Verbundgruppen vertrieben wird. Hersteller- bzw. Industriemarken befinden sich dagegen im Besitz der produzierenden Unternehmen.


Wende nach Russlands Angriff

Die Merkmale des schnellen Verbrauchs und der leichten Ersetzbarkeit sind für Hersteller klassischer Marken ein großes Problem – gerade in Krisenzeiten. Wie Robert Kecskes, Senior Insights Director für Consumer Panel Services des Marktforschers GfK, jüngst vor Medienvertretern sagte, zeige sich immer wieder, dass Verbraucher in Krisen von Hersteller- zu Handelsmarken umschwenken. Gravierend wie nie sei die Substitution 2022 gewesen, als russische Truppen am 24. Februar in die Ukraine einfielen und damit u.a. eine drastische Verteuerung von Energie- und Rohstoffpreisen sowie Lieferkettenengpässe auslösten. Die Folge war eine besonders in Deutschland verbreitete Unsicherheit in Bezug auf die wirtschaftlichen Perspektiven. Die Tendenz zu Handelsmarken habe sich dieses Jahr fortgesetzt – wenn auch mit verringerter Dynamik.

Gefühlt ein Wohlstandseinbruch

Hatten 2021 in einer GfK-Umfrage noch 43,8% der Befragten erklärt, sich "fast alles" leisten zu können, waren es ein Jahr darauf nur noch 35,2%. Entsprechend groß war der Zuwachs bei denjenigen, die sich nach eigener Aussage "fast nichts mehr" leisten konnten – ihr Anteil stieg von 16,8% auf 23%. In diesem Jahr hat sich diese Quote zwar leicht auf 21,5% reduziert, liegt aber noch weit entfernt vom 2021er Wert. Auch der Anteil derer, die sich nach eigener Aussage "fast alles" leisten können, machte eine Gegenbewegung auf 37,7%; das sind sechs Prozentpunkte weniger als vor zwei Jahren.

Da die Sortimente in vielen FMCG-Gruppen als qualitativ nahezu gleichwertig gelten – im Gegensatz zu Luxusprodukten oder Investitionsgütern –, fangen viele Konsumenten in diesem Warenbereich zuerst mit dem Sparen an, wenn sie aus Sorge vor der Zukunft ihr Geld zusammenhalten wollen.

Der Konsum wird in Zukunft insgesamt nachhaltiger sein, denn die Klimakrise wird uns gar keine Wahl lassen.

Robert Kecskes, GfK

Ein Megatrend scheint aber nahezu unbeeinträchtigt von den geopolitischen Verwerfungen und der Rezession in Deutschland zu sein. "Der Konsum wird in Zukunft insgesamt nachhaltiger sein, denn die Klimakrise wird uns gar keine Wahl lassen", betonte Kecskes. Die Verbraucher hätten auch nach wie vor die Absicht, ihr Kaufverhalten klimafreundlicher auszurichten. Er bezeichnet das als "werteorientiertes Kaufverhalten". Doch passten sich die Konsumenten an das veränderte Umfeld an und achteten mehr auf ihre Ausgaben. Bezugnehmend auf den Ersatz von Hersteller- durch Handelsmarken im zu Ende gehenden Jahr unterstrich der GfK-Konsumexperte: "Der Pragmatismus hat sich nicht gelegt."

"Gut & Günstig" und "Ja!"

Edeka, der nach Umsatz größte Lebensmittel-Einzelhändler in Deutschland, führt u.a. die bekannte Eigenmarke "Gut & Günstig", deren Slogan "Niedriger Preis, verlässliche Qualität" verspricht. Sehr ähnliche Werbesprüche hat auch der Wettbewerb. Rewe, die Nummer 2, wirbt für die nicht minder populäre Handelsmarke "Ja!" mit "Ja zu Qualität. Ja zum Preis." Edeka und Rewe zielen mit ihren Eigenmarken "Gut & Günstig" bzw. "Ja!" auf Kunden von Discountern, insbesondere der beiden großen Ketten Lidl und Aldi. Der Preis für Produkte, die unter diesen Labels angeboten werden, soll – so wird beteuert – nicht höher sein als der Preis, den Lidl und Aldi für gleichwertige Produkte in der Preiseinstiegsklasse in ihren Geschäften verlangen. Da bei Lidl und Aldi der Anreiz eines solchen Wettbewerbs mit noch günstigeren Lebensmittel-Einzelhändlern fehlt, haben sie jeweils eine Reihe von unterschiedlichen Eigenmarken in der untersten Preiskategorie.

Bio-Butter der Eigenmarke "Milbona" von Lidl. Foto: Lidl
Markenbutter der Eigenmarke "Milsani" von Aldi Süd. Foto: Aldi Süd

So laufen die Cola-Eigenmarken von Edeka und Rewe unter den produktgruppenübergreifenden Labels "Gut & Günstig" bzw. "Ja!", während Lidl mit "Freeway"-Cola sowie Aldi Nord und Aldi Süd mit "River"-Cola den Traditionsmarken "Coca-Cola" und "Pepsi-Cola" Konkurrenz machen. Die Handelsmarken "Freeway" und "River" werden aber für keine weiteren Warengruppen eingesetzt.

Vielzahl von Eigenmarken

Stattdessen setzt Lidl im Preiseinstieg u.a. auf Saskia (Wasser), Solevita (Fruchtsäfte), Milbona (Milch und Milchprodukte), Bon Gelati (Speiseeis) sowie Dulano und Metzgerfrisch (Fleisch- und Wurstwaren). Zu den Eigenmarken von Aldi gehören Rio D´Oro (Fruchtsäfte), Karlskrone (Bier), Barissimo (Kaffee), Milsani (Milch), Meine Metzgerei (Aufschnitt und Frischfleisch), Almare (Fischspezialitäten), Pizz´Ah (Pizza und belegte Baguettes) und Tandil (Wasch- und Reinigungsmittel).

Im vergangenen Jahr lag der Anteil der Eigenmarken am Gesamtumsatz im Lebensmittel-Einzelhandel in Deutschland bei 40,2%. Der Anstieg um 1,7 Prozentpunkte im Vergleich zu 2021 klingt nicht nach viel, ist aber de facto der größte Sprung seit über einer Dekade.

40 Prozent Marktanteil

Die Entwicklung seit 2010 zeigt, dass sich der Marktanteil von Handelsmarken im Lebensmittel-Einzelhandel in Deutschland auf relativ stabilem Niveau bewegt. Im Jahr 2022 belief sich der Umsatzanteil gemäß dem Statistischen Bundesamt auf 40,2%. Der Anstieg um 1,7 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr ist aber ungewöhnlich – der größte seit über einer Dekade. Nach Einschätzung von GfK-Konsumexperte Kecskes wird er dieses Jahr weiter zulegen. Davon dürften die Discounter am stärksten profitieren: Der Anteil dieser Vertriebsschiene für FMCG war 2022 mit fast 37% der größte; zudem wuchs der Umsatz von Aldi, Lidl, Penny & Co. nach GfK-Angaben zwischen Januar und Ende Oktober um 11,3% im Vergleich zur Vorjahreszeit. Dieser Zuwachs wurde nur von den Drogerien (+12,3%) und dem E-Commerce (+11,6%) übertroffen. Die Vollsortimenter im Lebensmittel-Einzelhandel, z.B. Edeka und Rewe, hatten 2022 mit 29% zwar den zweihöchsten Umsatzanteil nach den Discountern, ihre Erlöse legten aber in den ersten zehn Monaten des Jahres nur um 6,4% zu.

Positive Reallohnentwicklung

Ein Hoffnungsschimmer für die Markenhersteller – trotz der insgesamt trüben Aussichten – ist die Reallohnentwicklung: Diese war zwischen dem zweiten Quartal 2021 und dem dritten Quartal 2022 im Sinkflug, bewegt sich seit dem ersten Quartal dieses Jahres aber aufwärts. Nachhaltig steigende Reallöhne vertreiben bei Verbrauchern tendenziell die Sorgen um die finanzielle Zukunft. Hält der Anstieg der inflationsbereinigten Gehälter an, könnte es doch ein kleines Comeback der Herstellermarken geben.

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