Luka Mucic

„Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht“

SAP-CFO Luka Mucic spricht im Interview mit der Börsen-Zeitung über die Cloud-Marge, eine mögliche Investitionszurückhaltung bei Kunden und die Wachstumspläne von SAP.

„Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht“

Sebastian Schmid.

Herr Mucic, Sie haben Anfang des Jahres das Programm „Rise with SAP“ vorgestellt, mit dem Sie Kunden bei der Migration in die Cloud helfen wollen. Geht das beschleunigte Cloud-Wachstum im dritten Quartal nun primär darauf zurück?

Das lag nicht allein an „Rise with SAP“, aber es hat sicher wesentlich dazu beigetragen. Wir haben das Programm im Januar eingeführt und seitdem in jedem Quartal eine steigende Cloud-Adaption unserer Kunden gesehen. Im ersten Quartal waren es bereits mehr als 100 Kunden, im zweiten zusätzlich mehr als 250 und im dritten kamen nochmal mehr als 300 weitere dazu. Dabei ist das dritte Quartal üblicherweise etwas schwächer als das zweite. Das Momentum steigert sich also. Hinzu kommt, dass nicht nur die Zahl, sondern auch die Qualität der Kunden zulegt. Das sehen Sie etwa daran, dass der Anteil von Verträgen mit einem annualisierten Cloud-Umsatz von mehr als 5 Mill. Euro am Gesamtauftragseingang sehr signifikant angestiegen ist von 31% im Vorjahresquartal auf nun rund 40% – und das dürfte sich auch im vierten Quartal so fortsetzen.

Vor allem das Kernprodukt S/4Hana hat sich mit einem Wachstum von fast 60% beim Current Cloud Backlog hervorragend geschlagen. Wie lief es in anderen Produktbereichen?

Das stärkere Wachstum strahlt natürlich auch auf die anderen Produkte ab. Wenn Sie allein den Auftragseingang betrachten, gab es kein Cloud-Produkt unseres Portfolios, das nicht zweistellig gewachsen ist. Selbst unsere Reisekostenabrechnungsplattform Concur, die im Umsatz noch unter der zurückhaltenden Reisetätigkeit leidet, hatte im Auftragseingang ein sehr starkes drittes Quartal.

Haben denn Sondereffekte geholfen oder rechnen Sie damit, dass sich das Wachstum so fortsetzen oder sogar noch beschleunigen wird?

Generell erwarten wir, dass sich unser Wachstum von S/4Hana Cloud und auch im Cloud-Geschäft insgesamt weiter beschleunigen wird. Das liegt auch daran, dass die wirklich großen Verträge jetzt erst kommen und wir statt einzelner Kundenverträge mittlerweile immer mehr Aufträge für End-to-End-Transformationen auf Basis von S/4Hana erhalten. Ich hatte nach dem zweiten Quartal schon gesagt, dass wir mit einer deutlichen Wachstumsbeschleunigung im zweiten Halbjahr rechnen und das schließt das vierte Quartal definitiv mit ein. Und das Schöne an der Cloud ist, dass sich aus Auftragseingang und Current Cloud Backlog sehr gut ableiten lässt, wie das Umsatzwachstum im kommenden Jahr aussehen dürfte – aus unserer Sicht heute noch einmal höher als in diesem Jahr. Das Ende der Fahnenstange ist also noch längst nicht erreicht. Daher war es auch genau der richtige Schritt, SAP im vergangenen Jahr stärker auf die Cloud auszurichten.

Hält die Implementierungsgeschwindigkeit mit dem Auftragseingang mit?

Wir sehen mit einer Beschleunigung der Nachfrage für S/4Hana in der Cloud auch eine schnellere Implementierung. Von unseren mehr als 17500 S/4Hana Kunden sind mittlerweile über 11400 live. Von den mehr als 4000 Kunden, die sich für S/4Hana in der Cloud entschieden haben, sind es gut 3000. Der höhere Anteil geht auch darauf zurück, dass eine Implementierung in der Cloud schneller geht. Und das ist letztlich auch ein Argument, warum Kunden immer öfter mit uns in die Cloud gehen. Im dritten Quartal hatten wir mehr als 1000 Live-Schaltungen bei S/4Hana.

Der Cloud-Anteil war dabei überproportional hoch. Während sich das Wachstum in der Cloud immer weiter beschleunigt, tritt die Brutto-Marge auf der Stelle. Ist bei 70% derzeit eine Art Deckel – zumindest in der Wachstums­phase?

Nein, das sehe ich so überhaupt nicht. Wir haben immer klar kommuniziert, dass wir 2025 auf ungefähr 80% Cloud-Marge kommen wollen.  Daran halten wir fest. Aber wir haben auch gesagt, dass die Marge in diesem und dem nächsten Jahr nur sehr geringfügig steigen wird. Das ist sie in den ersten neun Monaten auch mit währungsbereinigt zehn Basispunkten. Das geringere Margenwachstum liegt an Investitionen in unsere Cloud-Infrastruktur, die wir gegenüber früheren Planungen beschleunigt haben, weil wir mit mehr Cloud-Geschäft rechnen.

Über welche Investitionshöhe sprechen wir?

Für 2021 und 2022 geht es in Summe um einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag. Der dämpfende Einfluss dieser Investition schlägt sich eben auch in der Cloud-Marge nieder. Aber dafür haben wir eine robustere Infrastruktur für die schnellere Cloud-Adaption unserer Kunden. Ab 2023 wird es dann einen entsprechenden Schub bei der Marge geben. Allein im dritten Quartal hatten diese Investitionen einen Einfluss von 0,9 Prozentpunkten auf die Cloud-Marge. Ohne den Sondereffekt wäre die Marge also weiter gestiegen.

SAP ist Marktführer im Bereich Supply Chain Management. Das Geschäft dürfte angesichts der ex­tremen Lieferketten-Herausforderungen doch brummen, oder?

Das ist ein Bereich, auf den die Kunden derzeit sehr viel Aufmerksamkeit richten und in den sie auch sehr viel investieren. Wir sind hier klarer Marktführer, wie Sie richtig sagen. Daher schlägt sich der gestiegene Bedarf auch voll in unserem Wachstum nieder.

Die Supply-Chain-Planung ist ein Bereich, der gerade eine sehr hohe Nachfrage erfährt. Customer Re­lationship Management ist derweil ein Bereich, in dem SAP noch weit von der Marktführerschaft entfernt ist. Wie lief es hier zuletzt?

Hervorragend. Das war einer der fünf Produktbereiche, die bei uns das stärkste Wachstum gezeigt haben. Hier hat sich auch die Übernahme von Emarsys im vierten Quartal 2020 bezahlt gemacht. Die Plattform zur personalisierten Kontaktaufnahme mit Endkunden entwickelt sich noch besser als in unserem Business Case erwartet. Außerdem hilft uns hier natürlich die gestiegene Nachfrage nach S/4Hana, die auch auf andere Produkte abstrahlt.

Abstrahlen könnte auch die schwierige konjunkturelle Entwicklung auf das Geschäft Ihrer Kunden. Fürchten Sie eine Investitionszurückhaltung?

Wir haben keine Glaskugel, aber ich denke, dass gerade die Herausforderungen der Pandemie hier zu einem Umdenken geführt haben mit Blick auf Investitionen in die digitale Infrastruktur. Die Notwendigkeit, digitale Kundenkommunikation zu ermöglichen oder die Lieferketten flexibel zu steuern, hat viele Kunden eher veranlasst, noch schneller zu investieren. Ich erwarte daher nicht, dass den Kunden die Erkenntnis der Bedeutung digitaler Prozessfähigkeiten plötzlich abhandenkommt.

Das Interview führte