Inka Koljonen

„In China hat sich SAF-Holland die Finger verbrannt“

Inka Koljonen, die Finanzchefin des Nutzfahrzeugzulieferers, berichtet über Probleme in Asien, Engpässe in der Lieferkette und stark gestiegene Preise für Stahl.

„In China hat sich SAF-Holland die Finger verbrannt“

Joachim Herr.

Frau Koljonen, die Nutzfahrzeugmärkte in der Welt erholen sich stark. Liegt die Talsohle im Konjunkturzyklus hinter uns?

Ja, absolut. Die schnelle Erholung war nach dem deutlichen Rückgang im vergangenen Jahr in der Form nicht absehbar.

Wie ist die aktuelle Situation?

Die Nachfrage ist nach wie vor sehr stark, insgesamt hat sich die Lage aber stabilisiert. Wenn wir allerdings in unserer größten Region EMEA heute eine Anfrage ohne konkrete Angaben über Menge und Abruftermine bekommen, verkaufen wir diese Liefermengen aktuell für das erste Quartal 2022.

Manche Bestellungen, die SAF-Holland in Europa annimmt, können also erst Anfang 2022 geliefert werden. Ist das für Ihre Kunden nicht zu spät?

Für bestimmte Bestandskunden haben wir Kapazitäten in unserer Produktion auf Basis von rollierenden Forecasts für dieses Jahr reserviert, aber noch sind nicht alle diese Slots mit fixen Bestellungen gefüllt. Da haben wir also etwas Manövriermasse, auch dank zusätzlicher Schichten am Samstag.

Wie reagieren Sie außerdem auf die starke Nachfrage?

Wir arbeiten inzwischen wieder in drei Schichten in allen europäischen Werken und erhöhen die Kapazitäten überall, auch in der Türkei. Dafür haben wir auch Maschinen bestellt.

Müssen Sie trotzdem Aufträge ablehnen?

Wir versuchen unsere Kunden auch in Zeiten stark steigender Nachfrage bestmöglich zu unterstützen und finden meist immer eine Lösung. Aber unser limitierender Faktor ist die Verfügbarkeit von Material und die Preise dafür. In Nordamerika kommt hinzu, dass aufgrund der Konjunkturprogramme Personal in allen Branchen ein wesentlicher Engpass ist.

Gab es Unterbrechungen in der Lieferkette?

Nein, aber die Situation ist bei einigen Komponenten sehr angespannt. Wichtige Komponenten waren zum Beispiel auf dem Frachter „Ever Given“, der im März im Suezkanal stecken geblieben war. Das Material kam dann am Vorabend in der Produktion an, bevor wir es gebraucht haben.

Welches Material ist für SAF-Holland knapp?

Stahl ist das entscheidende. Das Chipthema trifft uns nicht direkt, sondern unsere Kunden – auch die, die Trailer herstellen. Zum Teil rüsten sie die Elektronikkomponenten nach.

Wie stark sind die Stahlpreise für SAF-Holland gestiegen?

Je nach Art und Region bis auf das Zwei- bis Dreifache.

Welche Folgen hat das?

Die zeigen sich vor allem im Umlaufvermögen. Für mich steht zwar das Motto „Cash is King“ ganz oben auf der Agenda, aber wir werden 2021 nicht so viel Cash generieren wie im vergangenen Jahr. Aktuell steht die Lieferfähigkeit im Fokus.

Warum sinkt der Mittelzufluss?

In diesem Jahr steigt das Umlaufvermögen auch gemessen am Umsatz. Denn wir mussten in den ersten Monaten die Lager auffüllen, um trotz der Engpässe und der hohen Preise unsere Lieferverpflichtungen zu erfüllen. Zum Jahresende erwarte ich wieder eine bessere Cash-Generation entsprechend dem Wachstumsumfeld. Aber sie wird im gesamten Jahr mit Abstand nicht so hoch sein wie im Vorjahr.

Können Sie die höheren Preise an Ihre Kunden weitergeben?

Wir sind aufgrund der außergewöhnlichen Umstände auf unsere Kunden zugegangen, und sie verstehen die Situation sehr gut. Generell geschieht die Weitergabe der Preise zeitverzögert: Im OEM-Geschäft dauert es drei bis sechs Monate, im Aftermarket-Geschäft geht es schneller.

Bleiben Knappheit und hohe Preise?

Experten wie Volkswirte rechnen damit, dass dieser Trend bleibt. Für uns entspannt sich die Lage jedoch, weil wir höhere Vertragspreise weitergeben können.

Was kann SAF-Holland noch tun?

Niemand hat ein Geheimrezept, alle sitzen im selben Boot. Hedging ist im Stahlmarkt nicht sinnvoll. Wir werden uns das Thema in den nächsten Monaten intensiv anschauen und an kreativen Ideen arbeiten. Besser geschützt sind Unternehmen, die einen hohen eigenen Wertschöpfungsanteil haben. Bei uns ist der Materialanteil relativ hoch.

Wie viel macht das von Ihrer Wertschöpfung aus?

Relativ viel: 40 bis 50%.

Wie haben sich die Marktanteile des Unternehmens während der Pandemie entwickelt?

In EMEA ist unser Umsatz im vergangenen Jahr um 12% gesunken, während der Markt für Trailer um rund 23% und für Trucks um ungefähr 27% zurückgegangen ist. Es gibt zwei Gründe dafür, dass wir Anteile gewonnen haben. Erstens ist der Anteil unseres Aftermarket-Geschäfts gestiegen, weil weniger investiert wurde und die Flotten mehr gewartet werden mussten. Das verdeutlicht auch die Resilienz unseres Geschäftsmodells. Zweitens hat uns unser Kundenmix geholfen, da mittlerweile auch viele kleine und mittelgroße Unternehmen dabei sind. Diese hatten nicht so starke Rückgänge verzeichnet.

Und in Amerika?

Dort ist unser Geschäft mit dem Markt um circa 38% geschrumpft. Diesem starken Rückgang folgte ein beispielloser Marktaufschwung im ersten Quartal 2021. Nachdem wir schon vor der Pandemie mit einer Restrukturierung begonnen haben, fehlt uns im Aufschwung zum Teil Personal. Im ersten Quartal sind wir deshalb etwas hinter dem Markt zurückgeblieben. Im April und Mai konnten wir aber ganz gut aufholen.

War die Neuordnung mit Stellenabbau in den USA also ein Fehler?

Nein, auf keinen Fall. Dank der Restrukturierung sind wir gestärkt aus der Krise gekommen. Schon im vierten Quartal 2020 war die Marge in Amerika besser als vor der Pandemie. Wegen Corona hatten wir die Kostensenkungsziele verschärft.

Welche Marktposition hat SAF-Holland in Amerika?

Mit unseren Sattelkupplungen sind wir die Nummer 1 im Markt, mit Achsen die Nummer 3. Allerdings sind wir im schnell wachsenden Markt für Achsen mit Scheibenbremsen in Amerika die Nummer 1. In Europa sind wir für Sattelkupplungen die Nummer 2 und mit Achsen die Nummer 1. Das sind unsere zwei größten Produktgruppen.

Warum spielt China, der größte Nutzfahrzeugmarkt der Welt, für Sie nicht so eine große Rolle?

In China haben wir noch nicht richtig Fuß gefasst, auch weil wir spät auf den Markt gekommen sind. Andere sind dort schon seit 10 bis 15 Jahren. Es ist schwer für eine mittelständisch geprägte Firma, sich allein gegen lokale und internationale Konkurrenten zu behaupten, obwohl unsere Fabrik dort unsere modernste ist.

Was plant SAF-Holland also?

Asien ist ganz klar unser nächster Schritt: Wir wollen dort ein drittes Standbein nach EMEA und Amerika etablieren. In Asien haben wir viel Potenzial nach oben. Momentan sind es etwa 10% unseres Umsatzes.

Erwägen Sie eine Akquisition in China, um dort stärker zu werden?

Nein. SAF-Holland hat sich schon einmal mit einer Übernahme in China die Finger verbrannt. Deshalb sind wir dort sehr vorsichtig. Es geht uns eher darum, unser Vertriebsnetz mit Kooperationen zu verstärken.

Und Akquisitionen in anderen Regionen?

Wir sind damit generell eher vorsichtig. Eine solide Bilanzstruktur hat aus meiner Sicht Priorität. Sie hat sich auch schon deutlich verbessert. Und eine Akquisition sollte nicht wie in der Vergangenheit nur eine kleine Ergänzung für uns sein, sondern eine, die einen strategischen Unterschied ausmacht.

Was könnte das sein?

Eine Verstärkung mit einer Zukunftstechnologie wie Elektrifizierung, Automatisierung oder Digitalisierung oder auch regional. Aber in China wäre es, wie gesagt, sehr riskant. Wir schauen uns im Vorstand regelmäßig mögliche Ziele an und lassen uns beraten. Momentan ist aber nichts Konkretes auf dem Tisch. Zudem sind die Bewertungen der Unternehmen derzeit sehr hoch.

Welche Technologien könnten für eine Übernahme interessant sein?

Hier kann man auch mit Partnerschaften sehr weit kommen, mit großen, wichtigen Playern. Vielleicht ist das eher in den nächsten Monaten unser Weg. Derzeit führen wir Gespräche auch über größere Kooperationen.

Auch mit Lkw-Herstellern?

Wir beschäftigen uns mit diversen Optionen, können aber zum jetzigen Zeitpunkt Details nicht nennen.

Zur Profitabilität des Konzerns: Im ersten Quartal erzielte das Unternehmen eine bereinigte Ebit-Marge von 7,7%. Ist das Ziel 8% spätestens im Jahr 2023 überhaupt noch ambitioniert?

Unser Ausblick für 2021 beträgt um die 7%. Im ersten Quartal war der Preiseffekt für Stahl noch kaum zu spüren. Im zweiten Quartal ist der aber zu sehen. Wir müssen die Risiken beachten und abwarten, die sich etwa aus möglichen Geschäftsbeeinträchtigungen wegen des Coronavirus oder der Stahlpreise ergeben. Andererseits ist die Nachfrage stärker als erwartet.

Erwägen Sie deshalb, die Jahresprognose zu erhöhen?

Vor der Veröffentlichung unserer Quartalszahlen am 12. August werden wir uns die Chancen und Risiken ansehen und unsere Guidance für 2021 kritisch prüfen. Uns geht es aber auch darum, Vertrauen in den Kapitalmärkten zurückzugewinnen. 2019 hat das Unternehmen die Jahresprognose zweimal nach unten revidiert. Deshalb sind wir jetzt lieber konservativ. Und auf 2023 schauen wir noch gar nicht.

Wie stehen die Chancen für das Unternehmen, aus eigener Kraft zu wachsen? In den wichtigsten Märkten ist SAF-Holland schon unter den ersten drei Anbietern.

In diesem Jahr werden wir ganz klar zweistellig wachsen. Wir sind in Feldern gut positioniert, die überdurchschnittlich zulegen.

Welche sind das?

Das sind Themen rund um die Digi­talisierung und Elektrifizierung. Elektrische Antriebe sorgen für einen Umbruch in der Nutzfahrzeugindus­trie mit Investitionen von vielen Milliarden. So bietet die Elek­trifizierung nicht nur bei Nutz­fahrzeugen, sondern auch bei Trailern großes Potenzial, um Umwelt­be­lastungen zu reduzieren und einen Beitrag zur CO2-Reduktion zu leisten.

Was bedeutet dieser Umbruch für SAF-Holland?

Generell bedeutet das, dass wir parallel fahren müssen, obwohl unsere Produkte aus heutiger Sicht für verschiedene Antriebsarten anwendbar sind. Trotzdem müssen wir die Entwicklung eng verfolgen und schauen, ob sich für uns Opportunitäten ergeben. Mit Kooperationen in den Bereichen Digitalisierung und Elektrifizierung, aber auch rund um das automatisierte Fahren wollen wir diese Entwicklung mitgestalten. Es weiß ja niemand, wie es mit den Megatrends der Nutzfahrzeugindustrie in den nächsten fünf bis zehn Jahren weitergeht.

Das Interview führte