Netflix & Co.

Mediale Großmächte

Die medialen Großmächte aus den USA weiten ihre Macht aus, nicht zuletzt dank tiefer Taschen. Einmauern wird Europas Medienbranche nichts nützen.

Mediale Großmächte

Der Siegeszug medialer Großmächte aus den USA, der im Gleichklang mit wachsender Internet-Zugangsgeschwindigkeit – besonders im Mobilfunk – vonstatten ging, wird in der deutschen und europäischen Medien- und TV-Branche seit Jahren mit Argwohn und vor allem mit Wehklagen begleitet. Die privaten Fernsehsender sehen sich mit einer stetig zunehmenden Fragmentierung des Film- und Videomarktes sowie der Nutzergewohnheiten konfrontiert. Damit ist das klassische Geschäftsmodell der Free-TV-Sender, das noch immer überwiegend von Werbeeinnahmen abhängig ist, bedroht. Denn das Werbevolumen und die Bepreisung entwickeln sich in Relation zu – möglichst hohen – Zuschauerquoten für einzelne Sendungen. Teure Werbeblöcke zur abendlichen Prime Time im linearen Fernsehen sind hierzulande das Brot-und-Butter-Geschäft von ProSiebenSat.1 und RTL. Aber diese Prime-Time-Nutzergruppe wird immer kleiner.

Stattdessen haben Streaming-Riesen wie allen voran Netflix und Amazon Prime oder Disney+ Bezahlmodelle für den individuellen Video- und Filmkonsum etabliert. Hinzu kommt die Google-Plattform Youtube sowie nicht zuletzt der Kurznachrichtendienst Twitter, die beide mit einem Mischkonzept zwischen Information und Entertainment eine Milliarden-Community an sich gebunden haben. Die Vorstellung, dass die „Influencer-Plattform“ Twitter ihre Beiträge künftig unter der Privatregie des steinreichen und reichlich unberechenbaren Tesla-Gründers drehen sollte, erscheint zudem als weiterer Weckruf für die Medienbranche.

Die aktuellen Bremsspuren bei Netflix können die TV-Branche hierzulande, die sich teilweise noch immer in einem halbherzigen Abwehrkampf übt, nicht beruhigen. Denn sie sind vor allem Folge der starken Konkurrenz im eigenen Land. Hinzu kommt das Verpuffen der Pandemie-Sonderkonjunktur. RTL und ProSiebenSat.1 haben zwar die Zeichen der Zeit erkannt. Beide haben eigene unterschiedliche Streamingdienste am Start, die auch durchaus Zuwächse zeigen. Allerdings sind sie damit reichlich spät dran. Und im globalen Maßstab sind 10 Millionen Kunden, die RTL hier bis 2026 erreichen will, keine relevante Größenordnung. Auch das ProSieben-Pendant Joyn wächst. Für beide Unternehmen gilt jedoch, dass die Werbeeinnahmen den größten Anteil am Konzerngewinn haben. Darüber hinaus bemühen sich beide Sender um eine aktive Portfolio-Arbeit. Bei ProSieben geht es dabei allerdings noch um Hoffnungswerte, wie den geplanten milliardenschweren Börsengang der Online-Dating-Sparte Meet Group. Die Bertelsmann-Tochter RTL trägt derweil durch reges M&A-Treiben zur Bildung „nationaler Champions“ bei, etwa in Frankreich durch den Zusammenschluss der eigenen Beteiligung M6 mit TF1.

Aber auch wenn Bertelsmann-CEO Thomas Rabe „keinen guten Grund“ sieht, warum man „etwas Ähnliches“ nicht auch in Deutschland machen könnte, gibt es bei dem seit Jahren angedachten Schulterschluss der beiden TV-Häuser bisher keinen Fortschritt. Möglicherweise wird indes die zunehmend feindliche Attacke des italienischen Medienmoguls Silvio Berlusconi den Druck erhöhen. Media for Europe hat sich den Aufbau einer europäischen Senderfamilie zum Ziel gesetzt und will in der Konsolidierung der Branche mitmischen. ProSiebenSat.1 ist unmittelbar im Visier der Gruppe, die ihren Anteilsbesitz auf mehr als 25% ausgebaut hat. Den Münchnern wäre also gegebenenfalls ein Weißer Ritter aus der Heimat willkommen.

Ein Zusammenschluss von RTL und ProSiebenSat.1 würde ein deutsches Medienunternehmen in neuer Gewichtsklasse schaffen, das die nötigen Mittel für eigene Produktionen oder den Einkauf von Zielgruppen-Content weitaus leichter aufbringen könnte. Ob entsprechende Synergien auch in europäischer Dimension vorhanden wären, ist zu prüfen. Dies rundheraus auszuschließen, erscheint kaum verständlich. Gerade im Filmgeschäft ist manches, aber nicht alles Geschäft „lokal“. Auch das haben die medialen Großmächte unter Beweis gestellt. Und der von ihnen angestoßene strukturelle Umbruch des deutschen Medienmarktes, in dem Pay-TV über Jahre ein Rohrkrepierer war, bevor es durch Streaming-Abos salonfähig wurde, nimmt auch kartellrechtlichen Bedenken gegen zu viel Machtkonzentration bei Fernsehsendern viel Wind aus den Segeln. Für Europas Medienbranche ist es Zeit für neue Maßstäbe, wenn es nicht auch in diesem Sektor zur totalen feindlichen Übernahme durch US-Riesen kommen soll.

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